Die Zahl der Todesopfer durch den aggressiven Durchfallerreger ist in Deutschland auf zehn gestiegen:
Allein am Samstag wurden vier neue Todesfälle bekannt: In einem Krankenhaus in Schleswig-Holstein starb zunächst eine 84 Jahre alte Frau an der schweren Komplikation HUS, später eine 86-Jährige. HUS steht für hämolytisch-urämisches Syndrom. Im Hamburger Uniklinikum Eppendorf starb daran in der Nacht zu Samstag eine 87-jährige Frau. Eine 38 Jahre alte Frau aus Schleswig-Holstein war der Infektion bereits am Donnerstagabend in einem Kieler Krankenhaus erlegen. "Die Frau wurde einige Tage zuvor bereits in einem sehr kritischen Zustand bei uns eingeliefert." Bundesweit schweben mehrere Menschen weiter in Lebensgefahr.
Nach Informationen des Robert-Koch-Instituts steigt die Zahl der Neuerkrankungen vor allem in Norddeutschland weiter an. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Infektionsquelle noch aktiv ist, berichtete das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Binnen eines Tages erkrankten bundesweit weitere 60 Patienten HUS - so viele wie sonst binnen eines Jahres.
Die weitaus meisten Ehec-Fälle gibt es derzeit in Hamburg, dort erreichten die Kliniken die Kapazitätsgrenze bei der Versorgung der Patienten. "Es ist offensichtlich, dass wir auf Versorgungskapazitäten in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel in Hannover, zurückgreifen müssen, um die Versorgung von Neufällen auch am Wochenende zu gewährleisten", erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).
Von einer Ehec-Epidemie wollte man beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin noch nicht sprechen. Der Ausbruch sei noch zu regional und dauere nicht lange genug an, sagte eine Sprecherin. Bislang wurden - binnen etwa einer Woche - insgesamt rund 1000 bestätigte und Ehec-Verdachtsfälle registriert. Normalerweise werden in Deutschland im gesamten Jahr etwa 900 Infektionen mit den Bakterien gemeldet.
Aus Angst vor dem gefährlichen Durchfallerreger Ehec achtet die Mehrheit der Deutschen einer Umfrage zufolge derzeit besonders auf ihre Gemüseauswahl. 58 Prozent der Deutschen folgen dem Rat des Robert-Koch-Instituts und verzichten auf den Verzehr von rohen Gurken, ungekochten Tomaten und Salat. 41 Prozent folgen dem Expertenrat nicht.
Die Sorge vieler Menschen, sich über Rohkost mit Ehec anzustecken, macht den Gemüsebauern vor allem in Norddeutschland zu schaffen. Sie werfen mittlerweile tonnenweise Salatköpfe, Tomaten und Gurken auf den Müll. "Allein in Niedersachsen haben fünf Großabnehmer im Einzelhandel ihre Gemüsebestellungen storniert," sagte Axel Boese von der Fachgruppe Gemüsebau Norddeutschland. Auch andere Erzeugergemeinschaften meldeten Absatzeinbrüche.
Der Vizepräsident des schleswig-holsteinischen Bauernverbands Hans-Peter Witt sieht "irrsinnige Schäden" bei heimischen Bauern durch die Ehec-Krise. Salat sei praktisch nicht zu verkaufen, sogar bei Erdbeeren sei der Verkauf mancherorts um 50 Prozent zurückgegangen.
Da es sich bei den Bauernhöfen heute hauptsächlich um Spezialbetriebe handele, die sich auf den Anbau eines Produktes konzentrieren, komme es teilweise zum Totalschaden. Die Bauern hätten dann ein erntereifes Feld und würden nichts verkaufen. "Für einige Betriebe ist das existenzbedrohend." Die finanziellen Schäden ließen sich noch nicht in Euro beziffern, gingen aber wohl "in die Zigtausende", sagte Witt.
Unterdessen haben mehrere Verbände das staatliche Krisenmanagement im Kampf gegen die Ausbreitung des gefährlichen Ehec-Erregers kritisiert. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVL) bemängelte die Zusammenarbeit zwischen den Lebensmittel-Überwachungsbehörden der Länder, dem Bundeslandwirtschaftsministerium und der Wirtschaft. Es habe "nicht optimal" funktioniert, sagte ein BVL-Sprecher der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es habe an zügiger Bereitstellung von Informationen gehakt.
"Obwohl wir in der Lebensmittelkette das letzte Glied vor dem Verbraucher sind und deshalb hohe Verantwortung tragen, haben wir vom Ehec-Darmkeim erst aus den Medien erfahren", sagte der Sprecher. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham, befürchtete einen wirtschaftlichen Schaden von 15 bis 40 Millionen Euro, falls die Quelle für den Ehec-Erreger nicht bald klar identifiziert sei.
Die Suche nach der Quelle läuft deshalb unter Hochdruck. Nach Auskunft der EU-Kommission sind vorübergehend zwei Betriebe in den spanischen Städten Almería und Málaga geschlossen worden. Die spanischen Behörden dementierten die Schließung. Man habe lediglich verdächtige Gurken sichergestellt.
Die Betriebe sollen für die Verbreitung der mit den gefährlichen Ehec-Keimen befallenen Gurken in Deutschland verantwortlich sein, hatte die Kommission am Freitagabend mitgeteilt. Die Namen der Betriebe nannte die Kommission nicht. Boden-, Wasser und Produktproben seien genommen worden. Die Untersuchungen dauerten an.
Spanien habe bei der EU inzwischen Beschwerde gegen die deutschen Berichte eingelegt, teilte das Madrider Agrarministerium mit. Deutschland habe gegen EU-Regeln verstoßen, sagte der Staatssekretär Josep Puxeu. Die Behörden hätten zuerst die Presse unterrichtet und nicht - wie vorgeschrieben - die Instanzen der EU. Dadurch drohten der spanischen Landwirtschaft große Verluste.
Zudem werde eine weitere mögliche Quelle - Gurken aus den Niederlanden oder aus Dänemark - untersucht. Das Hamburger Hygiene-Institut hatte den Durchfall-Erreger bei vier Salatgurken vom Hamburger Großmarkt nachgewiesen. Drei seien spanischen, eine niederländischen Ursprungs, hieß es.
Die Niederlande aber wiesen dies als unzutreffend zurück. "Wir haben bislang keinerlei derartigen Erkenntnisse", sagte Marian Bestelink, Sprecherin der zuständigen Behörde für Warenprüfung (VWA). Die Angabe über die mit Ehec-Bakterien verunreinigte Gurke aus Holland beruhe "vermutlich auf einem Missverständnis." Sie gehe wohl darauf zurück, dass einer der in Spanien betroffenen Gemüsebauern Niederländer sei.