Gefährdete Artenvielfalt:Die bedrohtesten der Bedrohten

Lesezeit: 2 min

3947 Arten sind in Gefahr auszusterben, warnt die internationale Artenschutzorganisation IUCN. Forscher haben nun die am stärksten bedrohten 100 Arten zusammengestellt. Sie könnten überleben, wenn sie nicht nur nach ihrem unmittelbaren Nutzen für den Menschen bewertet würden. Allerdings fehlt oft die wissenschaftliche Basis, um die Gefährdung einzuschätzen.

Marlene Weiss

Es ist eine seltsame Bestenliste, welche die internationale Artenschutzorganisation IUCN und die Zoological Society of London ( ZSL) gemeinsam veröffentlicht haben: Die 100 am stärksten bedrohten unter den bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Jene Arten also, die als nächste aussterben werden, wenn sich an den Umwelt- und Lebensbedingungen nichts ändert.

Unter den am stärksten bedrohten Arten haben Wissenschaftler der Zoological Society of London hundert ausgewählt, um auf die Gefahr für diese Tiere hinzuweisen. Auf der Liste steht auch das Zwergfaultier (Bradypus pygmaeus), das auf einer Insel vor der Küste Panamas lebt. (Foto: AP)

Das Zwergfaultier aus Panama und eine wilde Yamswurzel aus Südafrika etwa stehen auf der Liste, ebenso wie das Tarzan-Chamäleon aus Madagaskar, die Geister- Orchidee von den Kayman-Inseln oder die chinesische Qiaojia-Kiefer. Die anderen der 3947 als "vom Aussterben bedroht" eingestuften Arten auf der Roten Liste der IUCN tauchen dagegen nicht auf. Auffallend ist auch, dass nur wenige Amphibien auf der Liste stehen, obwohl diese stark vom Artensterben betroffen sind.

Den Autoren Jonathan Baillie und Ellen Butcher von der ZSL dürfte es dabei weniger um eine objektive Bewertung gegangen sein als um öffentliche Aufmerksamkeit. Nur ein Bewusstseinswandel könne die 100 aufgeführten Arten noch vor der Ausrottung bewahren, hieß es bei der Vorstellung der Liste auf dem internationalen Artenschutzkongress auf der Jeju-Insel in Südkorea. Nach Ansicht der Autoren können die 100 aufgeführten Arten gerettet werden, wenn die Gesellschaft aufhöre, sie nur nach ihrem unmittelbaren Nutzen für den Menschen zu bewerten.

Der ist zumindest nach derzeitigem Stand bescheiden. "Wenn die 100 Arten morgen aussterben würden, hätte das kaum Folgen für Weltwirtschaft, Arbeitsplätze oder die Sicherheit", schreibt Co-Autor und ZSL-Direktor Baillie im Vorwort des Berichts - ähnlich sei es bei Millionen anderer Arten.

Die Todesliste der Biologie ist also wohl als Aufruf zu einer ethisch-moralischen Betrachtung der Vielfalt gemeint. "Bei immer mehr Arten an der Schwelle der Ausrottung muss die Gesellschaft sich entscheiden: Haben diese Arten ein Recht auf Existenz?", schreibt Baillie.

Artenvielfalt
:Top Ten der neu entdeckten Tierarten

20.000 neue Tiere und Pflanzen entdecken Biologen jährlich, die ungewöhnlichsten schaffen es in eine Top-Ten-Liste.

Valentin Frimmer

Diese Frage ist allerdings leicht zu beantworten: Nein, haben sie nicht, denn schon immer sind nicht nur Arten neu entstanden, sondern auch Arten ausgestorben. Der Mensch hat das Sterben jedoch bekanntlich dramatisch beschleunigt.

Einen ungewöhnlichen Namen trägt das Tarzan-Chamäleon (Calumma tarzan). Es lebt auf Madagaskar. Noch. (Foto: AP/Frank Gaw)

Darum lobt Volker Homes, Artenschutz-Leiter beim WWF Deutschland, den Bericht - auch wenn er einräumt, dass die Auswahl der 100 bedrohtesten Arten eher willkürlich und wissenschaftlich schwer zu belegen ist. "Es ist wichtig, sich Gehör zu verschaffen", sagt er. "Ein solches Massensterben, das durch eine Spezies - den Menschen - hervorgerufen wird, das gab es noch nie."

Das genaue Ausmaß des Artensterbens ist schwer abzuschätzen: Weltweit soll es laut Vereinten Nationen zwischen fünf und 30 Millionen Arten geben, andere Berechnungen liegen höher. Bekannt sind aber nur 1,7 Millionen Arten, und nur bei 63.837 von diesen kann die IUCN etwas über die Gefährdung sagen. Dennoch schätzt die Organisation, dass die Aussterbe-Rate derzeit um das 1000- bis 10.000-fache über ihrem natürlichen Wert liegt.

Den meisten Arten auf der Liste wäre schon geholfen, bliebe ihr Lebensraum bewahrt. Aber nicht bei allen ist es damit getan. Etwa zwölf Prozent der Erdoberfläche sind in der einen oder anderen Form als Schutzgebiete ausgewiesen, weit mehr als früher - doch das Artensterben hat das nicht gestoppt, auch weil nicht alle dieser Gebiete wirklich geschont und vor Wilderei geschützt werden.

Die Schnabelbrust-Schildkröte aus Madagaskar etwa, von der es nur noch wenige hundert Exemplare gibt, leidet vor allem unter illegalem Handel - immer wieder werden Exemplare aus Parks und Aufzuchtstationen gestohlen.

© SZ vom 12.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: