Forschungssatellit Cryosat 2:Zweiter Anlauf ins All

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Der Satellit Cryosat versank 2005 nach dem Start im Ozean. Nun soll sein Nachfolger die Dicke des Polareises vermessen.

Alexander Stirn

Duncan Wingham, Klimaphysiker am Londoner University College, wird diesen Donnerstag mit besonderer Anspannung erleben. Einen neuerlichen Fehlschlag wie im Jahr 2005 will er sich nicht mal vorstellen.

Damals stürzte der unter Winghams Leitung aufwendig gebaute Erdbeobachtungssatellit Cryosat nach dem Start unweit des Nordpols in den Ozean. Eigentlich sollte das Instrument die Dicke der polaren Eisschichten vermessen. Es war ein enormer Rückschlag für Europas Raumfahrt und die Klimaforschung.

An diesem Donnerstag soll der Verlust wieder gutgemacht werden. Cryosat 2, eine verbesserte Kopie des vor fünf Jahren verunglückten Satelliten, ist bereit, die Eispanzer und Permafrostflächen der Erde unter Beobachtung zu nehmen. Vom kasachischen Baikonur aus soll der Späher ins All geschossen werden. Seine Entwickler haben alles daran gesetzt, ihn zäher und besser zu bauen als das Vorgängermodell.

Wegen Softwarefehler abgestürzt

Die Anspannung der Geoforscher vor dem Start ist spürbar. Nur vier Monate hatte es nach dem Absturz des Jahres 2005 gedauert, bis Duncan Wingham die Erlaubnis bekam, einen zweiten Satelliten zu bauen.

Auch Volker Liebig, Direktor des Erdbeobachtungsprogramms der europäischen Raumfahrtagentur Esa, nimmt den herben Rückschlag mittlerweile sportlich. "Eigentlich hat der erste Cryosat ja die Arktis erreicht, nur leider auf dem Meeresgrund", sagt er trocken.

Damals, am 8. Oktober 2005, hatte sich aufgrund eines Softwarefehlers die dritte Stufe der Trägerrakete Rockot, eine umgebaute SS-19-Atomrakete, nicht von der zweiten getrennt. Kurz nach dem Start vom Kosmodrom im russischen Plesetsk stürzte die Oberstufe mitsamt dem Satelliten ins Nordpolarmeer.

Dieses Mal soll alles anders werden - ohne dass sich grundsätzlich etwas ändert: Cryosat wurde innerhalb von drei Jahren nach den Originalplänen noch einmal gebaut, er wurde punktuell verbessert, weniger fehleranfällig gemacht und soll nun vom viel weiter südlich gelegenen Baikonur seine polare Umlaufbahn anfliegen.

Gestartet wird die Eis-Mission diesmal mit einer Dnepr - auch sie ein Überbleibsel des sowjetischen Atomwaffenarsenals, und auch sie ein womöglich unsicheres Vehikel: Wenige Tage vor dem ursprünglich schon für Ende Februar geplanten Cryosat-Start stellten die russischen Ingenieure fest, dass der Tank der zweiten Raketenstufe möglicherweise zu klein dimensioniert ist. Mittlerweile soll das Problem behoben sein - durch eine Änderung an der Flugsoftware.

Cryosats Auftrag ist indes unverändert: Er soll erstmals die Menge der Eismassen bestimmen, die noch an den Polen der Erde zu finden sind. "Wir haben derzeit keine Ahnung, wie dick das Eis dort wirklich ist", sagt Volker Liebig. "Wir ahnen nur, dass der Rückgang dynamischer und dramatischer verläuft als vorhergesagt."

In der Vergangenheit hatten Satelliten festgestellt, dass die Fläche der Eiskappen um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahrzehnt zurückgegangen ist. Verlässliche Aussagen zur Dicke des Meer- und Landeises konnte bislang allerdings kein europäischer Satellit machen. Von Fläche und Dicke, also dem Volumen des schmelzenden Eises hängt aber ab, wie sich künftig die Meeresströmungen entwickeln und wie stark der Spiegel der Ozeane steigen wird. "Ohne Satelliten haben wir keine Chance, dieses Verhalten zu modellieren", sagt Duncan Wingham.

Cryosat 2 soll die fehlenden Informationen liefern. Bis auf einen Zentimeter genau soll der Satellit die jährliche Veränderung der Eisdicke bestimmen. Er soll zeigen, wo das Eis besonders schnell schmilzt und wo es - wie etwa in der Antarktis - sogar in Zeiten des Klimawandels noch dicker wird.

Möglich macht das ein spezielles Radar, das die Erhebungen der eisigen Schichten äußerst exakt bestimmen kann. Dazu tastet der Satellit aus seiner 717 Kilometer hohen Bahn alle 50 Millisekunden den Boden ab. Die ausgesandten Radarpulse bestreichen dabei einen Streifen von 250 Metern Breite. Ein ganzes Jahr ist nötig, um auf diese Weise Nord- und Südpol komplett zu kartieren. " Cryosat verwendet wahrscheinlich das anspruchsvollste Radar, das jemals ins All geschossen wurde", sagt Wingham.

Der Satellit bleibt dreieinhalb Jahre im All

Fünfeinhalb Jahre sollen die empfindlichen Komponenten durchhalten, entsprechend viel Treibstoff ist an Bord des 720 Kilogramm schweren Spähers. Offiziell liegt die Missionsdauer dennoch (wie schon beim ersten Cryosat) nur bei dreieinhalb Jahren.

Um die zwei zusätzlichen Jahre garantieren zu können, wären viele neue Tests nötig gewesen, sagt Esa-Projektmanager Richard Francis. Dafür waren aber weder Zeit noch Geld vorhanden. Doch es könnte wie bei den Mars-Robotern Spirit und Opportunity laufen: Auch diese funktionierten weit über die geplante Frist hinaus.

Der zweite Cryosat ist mit Baukosten von etwa 75 Millionen Euro etwa genauso teuer wie das Original - und das obwohl die wesentlichen Blaupausen übernommen wurden. Volker Liebig begründet das damit, dass schon der erste Cryosat weitgehend aus handelsüblichen, nicht speziell entwickelten Komponenten bestanden habe. Außerdem wurde im neuen Modell eine zweite Steuerelektronik eingebaut - eine Sicherheitsreserve, die der havarierte Cryosat nicht hatte.

Vier Jahre nach dem Bau des Originals seien zudem einige Komponenten nicht mehr lieferbar gewesen, berichtet Eckard Settelmeyer, Wissenschaftschef beim Cryosat-Bauer Astrium. Stattdessen seien verbesserte Bauteile montiert worden, die allerdings wieder kostspielig getestet und für weltraumtauglich befunden werden mussten.

Wie schon sein Vorgänger ist auch Cryosat 2 nicht versichert - ein bei wissenschaftlichen Satelliten übliches Vorgehen, das innerhalb der Esa allerdings umstritten ist, wie Liebig einräumt. Auf dem Versicherungsmarkt müsste die Esa etwa 15 bis 20 Prozent des Preises ihrer Satelliten für die notwendigen Prämien ausgeben.

"Für fünf versicherte Satelliten könnten wir somit einen neuen bauen", sagt Liebig pragmatisch. Der erste Cryosat war seinen Angaben zufolge der erste Fehlschlag im Erdbeobachtungsprogramm der Esa. Noch geht die Rechnung also auf. Cryosat 2 soll daran nichts ändern.

© SZ vom 08.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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