Essverhalten im Erbgut:Hungrig wie die Oma

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Verhängnisvolle Epigenetik: Großmütter vererben ihr Essverhalten an die Enkel. Darben Frauen während der Schwangerschaft, ist auch der Appetit zwei Generationen später groß - und das Risiko für Leiden wie Diabetes erhöht.

Von Kathrin Zinkant

Viele Mütter können es nicht mehr hören: Ja, die Ernährung in der Schwangerschaft ist ungeheuer wichtig für die Gesundheit des Nachwuchses. Aber das ist leider nicht alles. Wissenschaftlern zufolge kann der Appetit der Mutter im letzten Schwangerschaftsdrittel auch schon das Diabetesrisiko möglicher Enkel entscheidend beeinflussen ( Science, online).

Wie ein internationales Team von Molekularbiologen jetzt an Mäusen gezeigt hat, verändert Unterernährung zunächst das genetische Aktivitätsmuster des Ungeborenen - was sinnvoll erscheint, weil das Mausbaby nach der Geburt ebenfalls mit Hunger rechnen muss. Doch selbst wenn dem Neugeborenen reichlich Nahrung zur Verfügung steht, bleibt der Eindruck aus Muttis hungrigem Bauch erhalten. Er bleibt konserviert in den Spermien der männlichen Nachkommen, als epigenetischer Stempel.

Der Nachwuchs litt ebenfalls unter der Mangelernährung

Solche chemischen Abdrücke können die Aktivität von Genen dauerhaft aber reversibel beeinflussen. Meistens werden dafür kleine Molekülgruppen, sogenannte Methylreste, an das Erbgut geheftet oder aber vom Erbgut entfernt. Das zugehörige Gen bleibt unverändert, es kann nur bis auf Weiteres nicht - oder erst später - gelesen werden. Finden solche Methylierungen in den Keimzellen statt, bekommt der Nachwuchs sie in vielen Fällen vererbt.

Dieser Mechanismus wurde auch in der aktuellen Studie beobachtet: Die Forscher fanden 111 Abschnitte in der Spermien-DNA der Söhne, die besonders schwach methyliert waren. Die zugehörigen Gene funktionierten in den Enkeln nicht richtig. Der Nachwuchs zeigte daher klare Symptome einer Vorstufe von Diabetes, des metabolischen Syndroms. Offenbar richtet sich die Biologie gern auf dauerhafte Änderungen der Versorgungslage ein - und nicht auf Diäten oder plötzlichen Überfluss.

Wissenschaftler haben schon früher gezeigt, dass epigenetische Muster Generationen überdauern. Nikotinsucht, Pestizidbelastungen, Vitaminmangel, Liebesentzug - heute sind etliche Einflüsse bekannt, die dem Genom einen erblichen Stempel aufdrücken und sich Generationen später noch bemerkbar machen. Im Fall der großmütterlich geprägten Spermien scheint der chemische Abdruck bei den Enkeln aber zu verblassen - vielleicht als verspätete, aber sinnvolle Reaktion auf die Wohlstandsernährung. Als Nächstes wollen die Forscher deshalb untersuchen, wie es den Urenkeln ergeht.

© SZ vom 11.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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