Erneuerbare Energien:Es geht aufwärts

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Nahe München plant ein italienischer Investor Deutschlands größtes Erdwärmekraftwerk. Andernorts tut sich die Geothermie aber weiterhin schwer.

Von Karl Urban

Antonio Cammisecra redet stolz von einer grünen Wiese im oberbayerischen Weilheim. Sein Arbeitgeber, der italienische Energiekonzern Enel Green Power, will dort ein großes Erdwärmekraftwerk errichten lassen. Das Unternehmen ist eine Tochter von Italiens größtem Energiekonzern - und dort Vorreiter in Sachen Geothermie. Die Toskana deckt ein Viertel ihres Strombedarfs mit vulkanischer Erdwärme. Daran könnte man sich nördlich der Alpen ruhig orientieren, finden die Italiener. Bayern sei "momentan eines der spannendsten Erdwärmegebiete in ganz Europa", sagt Cammisecra.

In Deutschland ist die Geothermie bisher der Nachzügler unter den erneuerbaren Energien. Mithilfe der Technologie wandeln Ingenieure Wärme aus dem Erdinneren in Energie um. Aber während Wind, Photovoltaik und Bioenergie gemeinsam mittlerweile rund ein Drittel des Strombedarfs decken, ist die Geothermie weit abgeschlagen. Bis heute speisen gerade mal elf der 33 kleinen Kraftwerke, die es bundesweit gibt, überhaupt Strom ins Netz ein. 30 Megawatt liefern sie über das Jahr verteilt - und entsprechend kaum mehr Kilowattstunden als eine Handvoll Windräder.

Immer wieder treffen Bohrungen auf trockenes Gestein statt auf heißes Grundwasser

Da lässt das geplante Kraftwerk nördlich von Weilheim aufhorchen: Bis zu 26 Megawatt sollen hier in spätestens zweieinhalb Jahren aus dem Untergrund gefördert werden, verspricht Enel. Das Kraftwerk würde die in Deutschland durch Erdwärme bereitgestellte Strommenge also beinahe verdoppeln. 22 Millionen Euro haben die Italiener bereits investiert, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Zwei Dinge machen Bayern für die Italiener attraktiv: In Deutschland wird jede eingespeiste Kilowattstunde Ökostrom vergütet; der Betrag wurde kürzlich auf 25 Cent angehoben. Daneben hat die Geothermie nördlich der Alpen ein großes Potenzial. Nicht nur unter dem sogenannten Molassebecken im bayerischen Alpenvorland, auch im Oberrheingraben und unter fast dem ganzen Norden Deutschlands schlummern Unmengen von technisch nutzbarer Wärmeenergie. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag schätzt, dass die jährlich förderbare Wärmemenge gut zehn Prozent des deutschen Strombedarfs decken könnte.

Aber um dieses Reservoir anzuzapfen, ist der Wille zu unternehmerischem Risiko nötig. Erst in drei bis fünf Kilometer Tiefe steigt die Temperatur des Erdinneren auf 150 Grad - bei dieser Temperatur kann sich Geothermie lohnen. Um die Wärme zu nutzen, wird das heiße Wasser an die Oberfläche gepumpt, in ein Kraftwerk geleitet und anschließend zurück in die Tiefe befördert. Nicht immer führt eine Bohrung jedoch zum gewünschten Erfolg. Stoßen die Ingenieure im Untergrund am Ende auf zu wenig oder zu kaltes Wasser, kann damit im besten Fall noch ein Heizkraftwerk oder ein Thermalbad versorgt werden.

Im schlechtesten Fall war die Tiefenbohrung umsonst. So war es zuletzt im oberbayerischen Geretsried: Dort traf die Bohrung auf trockenes Gestein statt auf heißes Grundwasser. Rund 35 Millionen Euro waren da bereits in das Projekt geflossen. Trotz solcher Rückschläge nehmen bei Investoren wie Enel aber mittlerweile die Sorgen ab, Geld in den Sand zu setzen. Rund um München stehen bereits zwei Drittel aller erfolgreichen Geothermiekraftwerke Deutschlands, die neben Strom auch viel Wärme liefern. Die Stadtwerke planen, München bis 2040 komplett erneuerbar zu beheizen, den Löwenanteil sollen neue Erdwärmekraftwerke beisteuern.

Das scheint aus zwei Gründen ein realistischer Plan zu sein. Zum einen liegen unter dem Voralpenraum zwei Kalksteinschichten im Untergrund. Sie haben Risse, weshalb sich rund zwei bis vier Kilometer unter der Erde heißes Wasser sammeln kann. Zum anderen, weil Scans mit Schallwellen heutzutage den Untergrund immer besser abbilden können. Dadurch werden bereits vor dem Projektstart jene durchlässigen Schichten sichtbar, die der Bohrmeißel dann nur noch treffen muss.

Neben detaillierten Bildern aus der Tiefe kann speziell das Weilheimer Vorhaben von vielen Bohrungen profitieren, die auf der Suche nach Erdöl vor Jahren entstanden sind: "Wir haben uns so ziemlich alle Bohrungsdaten angesehen, die es vom Untergrund in der Region gibt", sagt Markus Wiendieck, der Geschäftsführer von Erdwärme Bayern, das für Enel das Geothermie-Kraftwerk bauen will. Deshalb will das Unternehmen es auch wagen, die Bohrlöcher deutlich dicker zu machen als bei allen bisherigen Bohrungen. So kann potenziell mehr Wasser nach oben strömen und das Kraftwerk mehr Leistung liefern als alle bisher gebauten Anlagen in Deutschland. Ob die Berechnungen stimmen, wissen die Weilheimer Geologen allerdings erst, wenn der Bohrmeißel im Laufe des Jahres das erste Loch fertiggestellt hat.

Kalkstein oder Granit? Davon hängt oft ab, wie riskant Geothermie ist

Fernab des Voralpenlands haben es die Planer neuer Erdwärmeprojekte hingegen noch immer schwer. "Der Ausbau geht momentan vielerorts nicht schnell genug voran", sagt Ingo Sass von der Technischen Universität Darmstadt. Zwar gibt es auch im Oberrheingraben zwischen Frankfurt am Main und Freiburg in Kalk- und Sandsteinschichten vergleichbar heißes Grundwasser. Dort ist das finanzielle Risiko aber größer, weil es bisher weniger Erdwärmevorhaben gab, mit denen Ingenieure die Gegebenheiten unter Tage erkunden konnten. Auch steht das Gestein in diesen Gegenden stärker unter Spannung, wodurch Erdbeben wahrscheinlicher sind.

Besonders in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg protestieren Bürger gegen Geothermie-Vorhaben, weil sie unter anderem Schäden an ihren Häusern befürchten. Im pfälzischen Landau schreckten 2009 die Bewohner nach einem Beben der Stärke 2,7 auf. Sie machten eine neu errichtete Erdwärmeanlage für die leichten Gebäudeschäden verantwortlich. Zusätzlich begann sich dort vier Jahre später die Umgebung um wenige Zentimeter zu heben - vermutlich durch ein undichtes Förderrohr in der Tiefe.

Wie gefährlich Geothermie-Projekte in der Realität sind, hängt maßgeblich von der Beschaffenheit des Gesteins im Untergrund ab. Am liebsten sind den Planern Kalksteinformationen wie die nahe München. Das Gestein ist oft rissig, sodass sich in Kavernen heißes Wasser sammelt, die per Bohrloch erschlossen werden können. Allerdings ist nur ein Prozent der nutzbaren Gesteine in Deutschland so beschaffen. Meist besteht der Untergrund aus Granit, der kaum Wasser führt. Wer daraus Wärme und Strom gewinnen will, muss ein weitverzweigtes Geflecht von Rissen erzeugen, in das Wasser hineingepresst wird.

Im Vergleich mit dem Fracking zur Erdgasgewinnung, das ähnlich funktioniert, birgt das Verfahren zwar geringere Umweltrisiken, da weniger gefährlich Chemikalien eingesetzt werden. Aber die Granit-Geothermie geht trotzdem nicht gerade sanft mit dem Gestein um. Bis heute steht sie im Ruf, spürbare Erdbeben auszulösen. In Basel wurde 2006 ein sogenanntes "Hot Dry Rock"-Vorhaben nach einem Beben der Stärke 3,4 kurzerhand eingestellt. Eine Untersuchungskommission stellte später fest, dass der in die Tiefe gepresste Wasserdruck viel zu hoch war.

Befürworter der Technologie pochen daher darauf, der Granit-Geothermie eine zweite Chance zu geben. "Wir bräuchten jetzt dringend ein neues Demonstrationsvorhaben für solche wasserarmen heißen Gesteine", fordert Erwin Knapek, Präsident des Bundesverbands Geothermie. Für Ingo Sass ist dagegen nichts Falsches daran, zunächst weiter das heiße Kalkstein-Grundwasser wie unter München anzuzapfen: "Das ungenutzte Potenzial ist immer noch immens", sagt er.

Dass in Bayern nun ein italienischer Konzern den Zuschlag bekommen hat, ist für Erwin Knapek kein Zufall: Nur einer der vier großen deutschen Stromkonzerne sei noch Mitglied seines Verbands - die anderen kümmerten sich kaum noch um die Geothermie. Ob die Erdwärmebranche in Reichweite anderer erneuerbarer Energien rücken kann, ist daher fraglich: Das Ziel der letzten schwarz-gelben Bundesregierung, bis 2020 Erdwärmeanlagen mit einer Leistung von rund 280 Megawatt ans Netz anzuschließen, ist beim derzeitigen Ausbautempo kaum noch zu erreichen.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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