Erdbeben in Japan: Atomkatastrophe:Letzter Versuch mit Meerwasser

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"Es ist eine Situation auf der Kippe:" In zwei Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima hat offenbar die Kernschmelze begonnen. Was genau im Inneren der beschädigten Nuklearanlage vor sich geht, scheint jedoch nicht einmal Japans Regierung zu wissen. Hektisch wird Meerwasser in die überhitzten Reaktorkessel gespült.

Christopher Schrader

Es scheint sich die Katastrophe nach der Katastrophe anzubahnen. Nach dem gewaltigen Erdbeben vom Freitag melden bis zu zehn japanische Kernkraftwerke nach ihrer Notabschaltung Probleme mit den Kühlsystemen. Bei zwei dieser Atommeiler vermutete die Regierung am Sonntag mangels besserer Informationen, eine Kernschmelze könnte bereits eingesetzt haben. Später nahm ein Sprecher diese Einschätzung teilweise zurück. Bei einem der betroffenen Blöcke wurden am Samstag Dach und Teile der Gebäudehülle weggesprengt, beim anderen warnte Tokio am Sonntag vor einer ähnlichen Explosion. Noch dazu liegen beide Reaktoren wenige hundert Meter voneinander entfernt. Alles, was zur Eindämmung der Katastrophe nötig wäre, ist also knapp. "Eine derartige Situation ist bisher so noch nicht aufgetreten", sagt Wolfgang Renneberg, ehemals Leiter der Atomaufsicht des Bundes. "Es ist eine Situation auf der Kippe."

Das Kernkraftwerk Fukushima 1. Zum Vergrößer klicken Sie auf das Bild. Graphik: SZ. (Foto: N/A)

Bei den hochgefährdeten Reaktoren, dem ersten und dritten Block im Kraftwerk Fukushima 1, haben die Betreiber in Abstimmung mit der internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu verzweifelten Mitteln gegriffen: Sie pumpen Meerwasser in die Meiler. "Das steht in keinem Betriebshandbuch, so etwas macht man, wenn man sonst nicht weiter weiß", sagt Karsten Smid von Greenpeace. Gerd Rosenkrantz von der Deutschen Umwelthilfe ergänzt: "Wenn jemand die Illusion gehabt hätte, die Reaktoren retten zu können, kann er sie jetzt begraben." Das Salzwasser ruiniere die Technik. "Die das versuchen, sind die künftigen Helden. Wenn es schiefgeht, sind sie alle tot."

Allerdings ist den Meldungen aus Japan nicht genau zu entnehmen, in welchem Zustand die beiden Blöcke sind. Offenbar sind jeweils eine oder beide inneren Sicherheitsummantelungen noch leidlich intakt, sonst wäre das Pumpen von Meerwasser sinnlos. Die beschädigten Blöcke waren sogenannte Siedewasserreaktoren. Im Normalbetrieb erhitzen sich ihre Brennstäbe aufgrund einer kontrollierten nuklearen Kettenreaktion. Die Wärme wird von Wasser aufgenommen, das sich in Dampf verwandelt. Dieser strömt zu der Turbine im Maschinenhaus, die den elektrischen Generator treibt. Alles, was der Dampf berührt, ist radioaktiv kontaminiert. Er kondensiert dann in einem Wärmetauscher, das Wasser wird zurück zu den Brennstäben gepumpt. Meerwasser im Wärmetauscher nimmt die restliche Hitze auf. Diese Kühlung muss nach der Abschaltung weitergehen, weil radioaktive Zerfälle Wärme erzeugen.

Der Reaktorkern ist nach dem Zwiebelprinzip von Hüllen umgeben: innen mit dem Druckbehälter aus Spezialstahl und weiter außen mit dem sogenannten primären Containment aus Stahlbeton. Außerhalb davon gibt es noch die Gebäudehülle. Die Meldungen aus Japan legen den Schluss nahe, dass die Explosion im ersten Block außerhalb der inneren beiden Hüllen geschehen ist und nur die Fassade zerstört hat. Beim dritten Block wird eine ähnliche Explosion befürchtet.

Das Meerwasser ist nun, wie die Betreibergesellschaft berichtet, in den Druckbehälter gepumpt worden, um den Reaktorkern zu kühlen. Manche technischen Einzelheiten der Aktion bleiben widersprüchlich; deutsche Experten hatten vermutet, das Meerwasser umspüle den Druckbehälter nur von außen. "Wie die Betreiber können wir nur hoffen, dass es nicht trotzdem zur Kernexplosion kommt", sagt Karsten Smid. Im schlimmsten Fall würde sich der Reaktorkern in glühenden Brei verwandeln und sich nach unten ins Erdreich brennen. Aus dem dritten Block würde dann auch viel Plutonium frei, weil der Reaktor mit Brennelementen aus sogenannten Mischoxid betrieben wurde.

Von einem schweren nuklearen Unfall kann man aber schon jetzt sprechen. Der Nachweis von radioaktivem Cäsium außerhalb der Anlage sowie die Ansammlung von Wasserstoff, der den ersten Block zur Detonation brachte, sind schlechte Zeichen. Wasserstoff bildet sich nur, wenn die Speziallegierung der Brennelemente etwa 800 Grad Celsius erreicht, also weit über Betriebstemperatur liegt. Auch die Freisetzung von Cäsium, einem Spaltprodukt bei der Kettenreaktion, kündet von Schäden an den Brennelementen. Beide Stoffe könnten Druckbehälter und Containment beim Ablassen von Druck oder durch Lecks in beiden Sicherheitsbarrieren verlassen haben, Experten werten die Information unterschiedlich.

Große Aufmerksamkeit erfordern auch die Reaktoren des zwölf Kilometer entfernten Kraftwerks Fukushima2. Dort meldeten drei der vier Blöcke Kühlprobleme. Der Betreiber wollte Überdruck ablassen, wodurch weitere Radioaktivität in die Umwelt gerät. Auf diese Weise hatten die Operatoren der Blöcke, die nun in der Kernschmelze sind, noch versucht, das Unheil abzuwenden - vergeblich.

© SZ vom 14.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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