Epidemien:Seuchenalarm auf Madagaskar

Lesezeit: 4 min

Die Pest breitet sich auf der afrikanischen Insel aus. Infektionsexperten erinnert der Verlauf auf bedrohliche Weise an die Ebola-Epidemie. Noch ist allerdings unklar, ob das Land die Krankheit in den Griff bekommt.

Von Leslie Roberts

Über Madagaskar fegt eine beispiellose Pestepidemie hinweg. Gesundheitsexperten sehen darin beunruhigende Parallelen zur Ebola-Epidemie in Westafrika vor zwei Jahren. Wieder verbreitet sich eine beängstigende Krankheit von Mensch zu Mensch und wird durch lokale Gewohnheiten und ein marodes Gesundheitssystem verstärkt. Und wie im Fall von Ebola verlagert sich auch die Pest vom Landesinneren in die Städte, wo sie außer Kontrolle gerät. "Genau wie bei Ebola ist es eine Herausforderung, die Krankheitsherde in den Städten einzudämmen", sagt Eric Bertherat, Pestexperte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, die Madagaskar bei der Koordination von Hilfsmaßnahmen unterstützt.

Im Gegensatz zu Ebola kann die Pest mit Antibiotika behandelt werden, zudem sind die Fallzahlen im Vergleich zur Ebola-Epidemie bisher gering. Laut Bekanntgabe der WHO vom 20. Oktober haben sich auf Madagaskar bislang 1297 Menschen mit der Pest infiziert, 102 sind daran gestorben. Diese Daten beziehen sich auf bestätigte, wahrscheinliche und mutmaßliche Fälle von Pest, die Zahlen verdoppeln sich nahezu wöchentlich. In der Hauptstadt Antananarivo wurden Schulen geschlossen und öffentliche Veranstaltungen untersagt. In der vergangenen Woche rief Madagaskars Gesundheitsminister Ärzte und andere Angestellte im wichtigsten Krankenhaus des Landes dazu auf, derzeit keinen Urlaub zu nehmen. Hunderte Epidemiologen und Experten kommen auf die Insel im Indischen Ozean, eine der ärmsten Nationen der Welt.

Menschen steckten sich morgens an und starben noch in derselben Nacht

Die Krankheit trifft nicht nur dicht bevölkerte städtische Gebiete wie Antananarivo und die Hafenstadt Toamasina, sie ist auch zu einer ungewöhnlichen Bedrohung geworden: Lungenpest - die sich von Mensch zu Mensch durch Husten oder Niesen verbreitet. Ohne Behandlung ist sie zu 100 Prozent tödlich, zumeist innerhalb von 48 Stunden. "Ich glaube kaum, dass es eine andere Krankheit gibt, die so schnell tötet", sagt Bertherat. "Ich habe einen Menschen gesehen, der sich morgens ansteckte und noch in derselben Nacht starb."

Madagaskar ist eines der wenigen Länder, die immer noch von der Pest heimgesucht werden. Im Mittelalter dezimierte der Schwarze Tod weite Teile der europäischen Bevölkerung. Die Pest, verursacht durch das Bakterium Yersinia pestis, ist endemisch im zentralen Hochland und anderen dünn besiedelten Gegenden, sie bricht regelmäßig während der Regenzeit von September bis April aus. Typischerweise infizieren sich dabei etwa 400 Menschen. Bei diesen Ausbrüchen handelt es sich meist um die Beulenpest, die von Ratten übertragen wird und nur gelegentlich durch den Biss eines Flohs auf den Menschen übergeht. Wird die Beulenpest jedoch nicht behandelt, kann sie auch die Lunge befallen und sich zur Lungenpest entwickeln. Dann wird sie von Mensch zu Mensch übertragen.

Weil die frühen Symptome jenen der Grippe ähneln, wird die Pest oft zu spät erkannt

Offenbar ist es so zum ersten dokumentierten Fall von Lungenpest in Madagaskar gekommen: Ein 31-Jähriger mit Malaria-ähnlichen Symptomen verließ den Ankazobe-Distrikt und fuhr am 27. August in einem überfüllten Buschtaxi durch Antananarivo. Er starb noch auf dem Weg. In der Folge infizierten sich 31 Menschen, die im direkten oder indirekten Kontakt zu ihm standen, vier davon starben.

Pestschutz konkret: Ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen hilft einem kleinen Kind dabei, den Mundschutz richtig zu befestigen. Die Lungenpest wird – anders als die Beulenpest – per Tröpfcheninfektion übertragen. (Foto: Rijasolo/AFP)

Der Ausbruch wurde erst am 13. September bekannt, zwei Tage nachdem eine 47-jährige Frau mit Atemnot in einem Krankenhaus in Antananarivo starb. Das Pasteur-Institut in Antananarivo bestätigte die Lungenpest als Todesursache. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Seuche bereits Fahrt aufgenommen.

Dass der Ausbruch außer Kontrolle geraten ist, liegt auch daran, dass Ärzte und Pflegekräfte der Hauptstadt die ersten Anzeichen der Seuche nicht erkannten. Sie geht mit grippeähnlichen Symptomen einher. "Es kam zu Verzögerungen, bis die Diagnose gestellt wurde, sodass sich die Übertragung fortsetzen konnte", sagt Bertherat. Bis Mitte Oktober waren mindestens 39 Krankenhausbeschäftigte infiziert.

Das Institut Pasteur in Madagaskar hat Tausende Schnelltests verteilt, aber die sind ungenau, wenn man keine Erfahrung damit hat. Jeder Fall wird vom Institut untersucht, was etwa acht Stunden in Anspruch nimmt. Das Pestlabor sei gründlich abgeschirmt, versichert André Spiegel, der Leiter des Instituts.

Bisher haben die Pasteur-Wissenschaftler elf Stämme von Yersinia pestis isolieren können, alle sprechen auf Antibiotika an. Internationale Partner haben bereits neun Pest-Behandlungszentren und Isolationsstationen beigesteuert, sechs davon in der Hauptstadt. Die WHO drängt aber auf weitere Hilfsmaßnahmen, da immer mehr Menschen mit Symptomen in die Krankenhäuser kommen und eine weitere Verbreitung droht. "Man muss sichergehen, dass Patienten mit Pest-Verdacht nicht durch die Klinik laufen", sagt Nyka Alexander, der für die WHO in Madagaskar ist. Die WHO und ihre Partner, darunter die US-Seuchenschutzbehörde CDC, die Unicef, das Europäische CDC und zahlreiche nichtstaatliche Organisationen, koordinieren die Verteilung von Lieferungen im ganzen Land, einschließlich der mehr als 1,2 Millionen Dosen Antibiotika und der 150 000 Sets an Schutzkleidung für Ärzte und Krankenpfleger.

Desinfektion sowie die Bekämpfung von Ratten und Flöhen sind der Schlüssel zur Eindämmung der Beulenpest. Im Fall der Lungenpest muss das medizinische Personal jedoch jeden finden und prophylaktisch behandeln, der mit einem Infizierten in Kontakt gekommen ist. Die WHO hat seit dem 12. Oktober fast 2000 Pflegekräfte aus Antananarivo ausgebildet, um die Spuren der Seuche zu verfolgen. Von den bis heute etwa 2500 identifizierten Menschen, die wohl Kontakt zu Infizierten hatten, wurden 66 Prozent beraten und mit einem oralen Antibiotikum behandelt. In 40 schweren Fällen bekamen die Betroffenen über sieben Tage lang Infusionen.

Auch der Kontakt mit Toten kann riskant sein. Ähnlich wie bei der Ebola-Epidemie kollidieren die Bemühungen, das Risiko bei Bestattungen zu verringern, mit tiefen kulturellen Überzeugungen und Traditionen, etwa dem Waschen des Körpers und der Rückkehr zum Geburtsort des Verstorbenen. "Wenn wir diese Traditionen nicht respektieren, riskieren wir, dass die Menschen ihre verstorbenen Angehörigen verstecken", sagt Bertherat.

Die WHO befürchtet, dass sich die Krankheit über die Grenzen Madagaskars hinweg ausbreiten könnte. Demnach gelten neun benachbarte Länder und Regionen als Hochrisikogebiete, vor allem aufgrund von Handels- und Reiseverbindungen. Abreisende Passagiere werden auf Madagaskars internationalem Flughafen genau untersucht. Technische Berater helfen den gefährdeten Ländern, Kontrollsysteme zu etablieren und Spuren der Erreger zu verfolgen; zudem bieten sie vorbereitend medizinisches Material und Schutzkleidung an.

Das Bedrohungsszenario ändert sich: Kommt es zum nächsten Ausbruch in den Metropolen?

Für Infektionsexperten verdeutlichen der aktuelle Ausbruch und die jüngsten Gelbfieber-Fälle die Lektion aus der Ebola-Epidemie: Da die Bevölkerung rasch wächst und immer mobiler wird, erreichen ehemals isolierte Krankheiten immer häufiger auch große Städte, wo sie in kurzer Zeit außer Kontrolle geraten können. "Wir müssen damit rechnen, nächstes Mal mit einer Seuche im städtischen Umfeld zurechtkommen zu müssen", sagt Bertherat .

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: bart. Weitere Informationen: www.aaas.org

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: