Ein Jahrhundertbauwerk entsteht:San Franciscos Projekt der Angst

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Die Golden Gate Bridge steht für San Francisco wie nichts anderes, doch die Stadt könnte ein neues Wahrzeichen bekommen: In ihrer Bucht entsteht die größte selbsttragende Hängebrücke der Welt. Bleibt die bange Frage, ob der Bau den Erdbeben in der Region standhält. Mehrere Ingenieurskniffe sollen ihn schützen.

Hubertus Breuer

Sie ist eines der größten Bauvorhaben der Welt und ein Projekt der Angst: die neue Bay Bridge, an der seit neun Jahren in der San Francisco Bucht gebaut wird. Seismologen haben vorausgesagt, dass die Region innerhalb der nächsten 30 Jahre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein großes Erdbeben treffen wird. Die neue Brücke soll stark genug werden, den kommenden Erdstößen zu widerstehen, um als Lebensader zumindest noch Rettungseinsätze zu ermöglichen. 2013 soll sie eingeweiht werden. Bis dahin, so die stille Hoffnung, halten die Erdplatten an der unweiten San-Andreas-Verwerfung und Hayward-Spalte still.

Bauarbeiten an der größten Hängebrücke der Welt in San Francisco in Kalifornien. (Foto: AFP)

Als die dann größte selbsttragende Hängebrücke der Welt könnte die neue Bay Bridge der berühmten, fast drei Kilometer langen Golden Gate Bridge ihren Rang als Wahrzeichen San Franciscos streitig machen. Erst im November hatte das kalifornische Verkehrsministerium Caltrans den 75. Geburtstag der alten, doppelstöckigen Bay-Bridge mit Reden, Oldtimerparade und Kuchen gefeiert. Es war ein Abschiedsfest.

Nur noch bis zur Eröffnung des neuen Jahrhundertbauwerks darf der östliche Brückenteil seinen Dienst verrichten und den täglich 280 000 Autos die Überfahrt ermöglichen. Dann wird er voraussichtlich Stück für Stück abgetragen, da eine Sprengung das Ökosystem der Bucht empfindlich stören würde. Abgelöst wird er von der 6,3 Milliarden Dollar teuren ungewöhnlichen Hängebrücke, deren Fahrbahn an der höchsten Stelle 42 Meter über dem Schifffahrtskanal verläuft und dessen weißer, schon errichteter Stützpfeiler 160 Meter aus dem Wasser aufragt.

Das Problem ist der Meeresgrund

Zuletzt 1989 hatte ein Erdbeben der Stärke 6,9 auf der Richterskala die Region getroffen. Auf dem östlichen Teil der Bay Bridge stürzte damals ein Fahrbahnsegment auf die untere Ebene; ein Autofahrer kam ums Leben. Eine Untersuchungskommission von Caltrans empfahl nach jahrelangen Debatten, die westliche, von Yerba-Buena-Island nach San Francisco führende Brücke erdbebensicher nachzurüsten, den Ostteil aber komplett zu ersetzen.

Der Neubau soll sicher genug ausgelegt sein, um das für die nächsten drei Jahrzehnte angekündigte große Erdbeben heil zu überstehen. Nach Expertenmeinung wird es mindestens 6,7 Punkte auf der Richterskala erreichen, womöglich sogar 7,5. Für ein Beben der Stärke zwischen acht und neun - das katastrophale Erdbeben in Japan in diesem Jahr erreichte einen Wert von neun - besteht immerhin noch eine zehnprozentige Chance. Ein solches Megabeben sucht die Region rund alle 500 Jahre heim, auch dem soll die Brücke notfalls standhalten.

Doch es gibt ein Problem: Der Meeresgrund in der Bucht vor Oakland ist mit einer 100 Meter dicken Schicht aus Schlamm und Sandsedimenten bedeckt, erst darunter beginnt das feste Gestein. Es ist dort kaum möglich, eine Brücke sicher zu verankern. Deshalb nutzen die Planer für die Brücke ein ungewöhnliches Design. Sie haben eine selbstverankerte Hängebrücke konstruiert, eine sogenannte Zügelgurtbrücke, die zudem mit nur einem einzigen tragenden Stützpfeiler auskommen muss. Während bei gewöhnlichen Hängebrücken Ankerblöcke die Tragseile halten, wird hier ein Stahlkabel am Brückenträger unter der Fahrbahn befestigt, über die Brückenpylone geführt und auf der anderen Seite wieder am Fahrbahnunterbau festgemacht. Auf diesem Wege werden die auf die Tragseile wirkenden Zugkräfte auf die Stützpfeiler und die Brückenträger verteilt. Das Stahlkabel hält die Fahrbahn im Gleichgewicht. Sie schwebt gewissermaßen. Ein Deutscher und ein Amerikaner haben ihr Prinzip unabhängig voneinander in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt.

Weltweit wurden nur wenige Brücken nach diesem Konstruktionsprinzip erstellt. So wurden in den 1920er Jahren einige Rheinbrücken auf diese Weise gebaut. Im japanischen Osaka eröffnete 1990 die Konohana-Brücke mit 300 Metern Spannweite. 2000 schließlich übergab Seoul die 550 Meter lange Yeongjong-Brücke der Öffentlichkeit. Sie verbindet die Hauptstadt mit dem auf einer Insel liegenden Incheon-Flughafe. Die neue Bay Bridge wird mit 614 Meter Spannweite die längste selbstverankerte Brücke der Welt sein. Dabei soll ein einziges, eineinhalb Kilometer langes Tragkabel die Last tragen. Es ist verdrillt aus 137 Stahlsträngen, die wiederum aus 127 bleistiftdicken Stahldrähten bestehen. Dieses Kabel wird derzeit von der Oakland zugewandten Seite über den Pylon zur westlichen Fahrbahn geführt, unter ihr hindurch und über den Stützpfeiler wieder zurück gezogen.

Mehrere Ingenieurskniffe sollen das Bauwerk vor Erdbeben schützen. So besteht der Stützpfeiler aus vier einzelnen Schäften, die untereinander mit Stahlstreben verbunden sind, die sich im Falle eines Erdbebens verformen, aber nicht brechen. Einzelne Fahrbahnsegmente sind flexibel miteinander verbunden, so dass sie sich bei Erdstößen bewegen können, ohne einzustürzen. Schließlich steht die Fahrbahn Richtung Oakland - Skyway genannt - auf Stützen, die im alten Schlamm mit einem Bündel ausgespreizter, 100 Meter langer Stahlpfähle verankert sind - sie verleihen Stabilität, sind aber im Falle eines Erdbebens ebenfalls noch beweglich genug.

Mit Sicherheit wird die Hochbrücke ein neues Wahrzeichen der nordkalifornischen Metropole sein, für das die Stadtvätern in Oakland und dem benachbarten begüterten Berkeley auch bereit waren, mehr als unbedingt nötig zu investieren. So ist die extreme lichte Höhe über dem Wasser für den Schifffahrtsverkehr ein unnötiger Luxus, denn Hochseeschiffe nehmen den Weg unter dem Westteil der Brücke zwischen San Francisco und der Yerba-Buena-Insel. Vielleicht hätten sie mehr Geld zur Seite legen sollen, um den Radweg fertig zu bauen, der von Oakland die neue Brücke entlang führt. Er endet vorerst auf der Mittelinsel.

© SZ vom 30.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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