Draußen im Land ballt sich die gefühlte Kompetenz. Je nach Anlass reklamieren die Menschen unterschiedliches Expertentum. Bewährt hat sich die Anmaßung, Spiele der Nationalmannschaft auf eine Weise zu kommentieren, als teile Jogi Löw seinen Job mit ein paar Millionen weiteren Bundestrainern. Zuletzt ist das jedoch etwas aus der Mode geraten: zum einen, weil die Liebe zur Nationalmannschaft erschlafft; und zum anderen, weil die Tätigkeit als selbsternannte Virologen gerade alle Energien bindet. Die Corona-Pandemie weckt in vielen den Drang, sich dazu mit einer Gewissheit zu äußern, als sei man Christian Drostens Doktorvater. Doch je vehementer und extremer die Meinung ausfällt, desto weniger Substanz steckt meist dahinter. Das ist frustrierend, doch es existiert ein Gegenmittel.
"Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel", soll der britische Philosoph Bertrand Russell gesagt haben. In diesem Zitat steckt ein Teil der Lösung: Wenn sich Weisheit durch die Anwesenheit von Zweifeln auszeichnet, dann sollten in den selbstgewissen Dampfplauderern Zweifel geweckt werden. Man sollte durch konkrete Fragen zum Thema die Grenzen des Wissens aufzeigen und Gefühle von Unwissenheit wecken, sagen Psychologen um Ethan Meyers von der kanadischen Universität Waterloo. Derart eingenordet, vertrauten die Studienteilnehmer stärker dem Urteil ausgewiesener Experten statt ihrem oder dem gefühlten Wissen anderer Laien.
Die Anmaßung, als Hobby-Bundestrainer oder Vorstadt-Virologe Pseudowahrheiten zu verkünden, ist kein Privileg der Bürger einer einzelnen Nation - es ist urmenschlich. "Angesichts der Komplexität der Welt ist es für ein Individuum völlig unmöglich, über alles relevante Wissen zu verfügen", sagen die Psychologen um Meyers. In den hochspezialisierten Gesellschaften der Moderne existiert daher so etwas wie "kognitive Arbeitsteilung" - es gibt Experten für jegliches Gebiet. Dummerweise verleitet das zu einem Fehlschluss, wie zahlreiche Studien gezeigt haben: Wenn andere etwas wissen, glauben Menschen oft, sie wüssten es auch selber. Kognitive Arbeitsteilung erleichtert kognitive Konfusion.
Diesen Zusammenhang beobachteten die Forscher auch in ihren Versuchen mit fast 3000 Teilnehmern, die sie mit Fragen aus der Ökonomie konfrontierten. In der Regel hatten die Probanden zu jedem Thema eine Meinung, egal wie komplex dieses war. Erst als die Psychologen sie aufforderten, zum Beispiel politische Auswirkungen des Handels mit China zu erklären, platzte die Blase des gefühlten Wissens. Dann erkannten die Studienteilnehmer die Grenzen ihrer Kenntnis und vertrauten dem Urteil von Experten auch eher als zuvor. Dies galt auch dann, wenn sie an der Erklärung eines vollkommen fremden Themas scheiterten, das mit dem Gegenstand ihrer Hybris nichts zu tun hatte: Ein generelles Gefühl der Unwissenheit reicht.
Wer also mit Corona-Schwurblern konfrontiert ist, könnte sie etwa auffordern, das Prinzip eines mRNA-Impfstoffes zu erklären. Es ist egal, wenn man das selbst auch nicht hinbekommt: Die geteilten Gefühle der Unwissenheit sollten in eine gemeinsame intellektuelle Demut münden.