Biotechnologie:Die blaue Apotheke

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Europa will Meeresorganismen für medizinische Zwecke nutzbar machen - und appelliert an seine Mitgliedsstaaten, Blaue Biotechnologie stärker zu fördern.

Moritz Koch

Während er von den ungeborgenen Schätzen der Meere spricht, klappt Frank Oliver Glöckner seinen Laptop auf und deutet mit dem Kugelschreiber auf die Zahl 10.

Unwillkürlich denkt man an versunkene Goldstücke oder verborgene Perlen, doch Glöckner fährt fort mit einem Vortrag über Bakterien, Pilze und Algen. "Bis zu zehn Millionen unterschiedliche Mikroorganismen leben im Meer", sagt er. "Sie sind eine Fundgrube für die Forschung, und eine Goldgrube für die Wirtschaft."

Glöckner ist Mikrobiologe am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und Spezialist für Blaue Biotechnologie. Die EU will diesen Forschungszweig jetzt verstärkt fördern. Die Beratungen darüber waren ein Schwerpunkt auf ihrer Konferenz zur europäischen Meerespolitik, die am Freitag in Bremen zu Ende ging.

Im Prinzip machen die Meeresbiotechniker das gleiche wie die Biotechnologen auf dem Festland: Sie gucken ab und machen nach. Lebewesen dienen ihnen als Blaupause und Produktionsstätte bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe für Medizin, Landwirtschaft, Kosmetik und die chemische Industrie.

Doch die blauen Biotechniker haben es mit einem komplexeren und ergiebigeren Lebensraum zu tun. "Etwa 60 Prozent der Biomasse der Erde entsteht im Wasser", sagt Glöckner. "Noch entscheidender aber ist die Vielfältigkeit der Organismen, die uns dort begegnen."

Ökonomisch interessant

Das Leben entwickelte sich im Ozean mehrere Milliarden Jahre früher als auf dem Land. Diesen evolutionären Vorsprung nutzten die Bewohner der Unterwasserwelt, um ein biologisches Spektrum zu entwickeln, das weitaus größer ist, als das der Lebewesen, die über der Wasseroberfläche siedelten.

32 der 33 existierenden Tierstämme kommen im Meer vor. 15 Stämme leben ausschließlich im Wasser. Hinzukommen die Mikroorganismen, auf die Glöckner sich konzentriert und die bis heute kaum erforscht sind.

Marine Mikroben konnten sich den unterschiedlichsten Umweltbedingungen anpassen und sind heute unter dem Eis der Antarktis ebenso zu Hause wie an den glühend heißen Schloten der Tiefseevulkane.

Die Erforschung des Stoffwechsels unter Extrembedingungen macht die Blaue Biotechnologie ökonomisch so interessant. "90 Prozent der marinen Organismen leben bei unter vier Grad Celsius", sagt Glöckner.

"Von den Niedrigtemperaturprozessen, die in ihren Zellen ablaufen, können wir lernen, Energie zu sparen. Zum Beispiel könnten wir Waschmittel entwickeln, die bei 30 Grad genauso gut funktionieren wie bei 60 Grad."

Doch noch schrecken viele Firmen vor Investitionen zurück. Zum einen ist blaue Biotechnologie extrem teuer: Allein der Betrieb eines Forschungsschiffes kostet etwa 50 000 Euro pro Tag. Zum anderen wird es noch Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die ersten Produkte verkauft werden können.

Der deutsche Chemiekonzern BASF gehört zu den wenigen europäischen Firmen, die schon jetzt auf die Blaue Biotechnologie setzen. Firmenforscher haben Rapspflanzen mit Genen von Algen kombiniert, um Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren künftig auf dem Feld herstellen zu können.

Algen-Gene im Raps

Diese Fettsäuren könnten Herzkreislauferkrankungen vorbeugen und bei Demenz helfen. Normalerweise werden sie aus Fischen gewonnen, die solche Fettsäuren produzierenden Algen fressen und die Lipide speichern.

"Wir wollen eine neue Quelle für Fettsäuren schaffen, die schonender genutzt werden kann und kontinuierlich nachwächst", sagt eine Firmensprecherin. In Schweden hat das Unternehmen bereits einen Feldversuch mit dem Algen-Raps gestartet. Im Jahr 2016 soll der kommerzielle Anbau beginnen.

Investitionen wie diese sind aber bisher eine Ausnahme. Das Geld aus der Privatwirtschaft reicht nicht, um die Erforschung des biotechnologischen Potenzials der Meere zu finanzieren. Die EU appelliert daher an ihre Mitgliedsstaaten, die Blaue Biotechnologie stärker zu fördern und schlägt einen blauen Investitionsfonds zur Finanzierung mariner Grundlagenforschung vor.

Ein Beispiel dafür, wie private und staatliche Anschubfinanzierung ineinander greifen, ist die Firma Biotecmarin, die deutsche Forscher gegründet haben, um etwa ein neues Medikament gegen Leukämie zu entwickeln. Die Wirkstoffe dafür wollen sie aus einem Meerespilz gewinnen.

Molekularbiologin Ute Hentschel ist an dem Unternehmen beteiligt. "Das Startkapital haben wir vom Bundesforschungsministerium bekommen", sagt sie. "Auch etwas Risikokapital konnten wir einsammeln - obwohl es mindestens zehn Jahre dauern wird, bis das Medikament verschrieben werden kann."

An der Uni Würzburg widmet sich Hentschel außerdem dem Kampf gegen aggressive Bakterienstämme in Krankenhäusern, die mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr bekämpft werden können. Für einen Wirkstoff will Hentschel die chemischen Selbstverteidigungswaffen von Meeresschämmen nutzen.

Die Schwämme gewähren gutartigen Bakterien Unterschlupf, die Stoffe produzieren, die das Wachstum anderer Bakterien hemmen. So schützt sich der Schwamm davor, von schleimigen Biofilmen überwuchert zu werden. "Das Meer ist eine blaue Apotheke", sagt Hentschel. "Wir müssen es schützen, damit wir lernen können, uns darin zurecht zu finden."

© SZ vom 05.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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