Belastete Babyschnuller:Beunruhigende Sauger

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Babyschnuller sondern offenbar die umstrittene Chemikalie Bisphenol A ab. Durch Auskochen der Sauger wird es nur noch schlimmer.

Wiebke Rögener

"Wo ist der Nucki?", lautet der Hilferuf vieler Eltern, wenn ihr Säugling nicht zur Ruhe kommt. Doch was als Beruhigungssauger in Handel und Babymund gelangt, könnte Eltern nun um den Schlaf bringen: Die Schnuller sondern womöglich Bisphenol A (BPA) ab. Die Substanz wirkt ähnlich wie Östrogen; über die Gefährlichkeit streiten Experten seit Jahren. Anfang Oktober hatten vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beauftragte Labors festgestellt, dass Babyschnuller die umstrittene Chemikalie enthalten.

Widersprüchliche Untersuchungsergebnisse

Für den Test wurden zehn Schnullerfabrikate analysiert. Bis zu 400 Mikrogramm BPA pro Kilogramm fanden die Chemiker im weichen Schnullerteil aus Silikon oder Latex. Die Belastung ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn anders als Polycarbonat, aus dem auch viele Babyfläschchen bestehen, werden Silikon oder Latex nicht aus BPA hergestellt. Allerdings könnte es sein, dass BPA den Kunststoffen als Antioxidans zugesetzt wird. Gut möglich auch, dass das BPA aus dem Plastikschild stammt, das verhindert, dass der Schnuller im Mund verschwindet. Anders als der weiche Sauger besteht dieses Stoppschild bei vielen Schnullern aus Polycarbonat. Womöglich gelangt BPA daraus in den Silikon- oder Latex-Teil.

Dies könnte die schwankenden Laborergebnisse erklären, die Sauger desselben Fabrikats mal hoch, mal gar nicht mit BPA belastet fanden. "Das könnte ein Effekt der Lagerzeit sein", so BUND-Mitarbeiter Jurek Vengels. Je länger der Schnuller nach der Produktion im Verkaufsregal liegt, desto mehr Zeit hat das BPA, aus dem Schild in den Sauger zu wandern. Die Frage ist nun, wie viel BPA aus dem Sauger in den Kindermund gelangt. Hierzu gibt es neue, widersprüchliche Untersuchungsergebnisse.

Auskochen in Wasser treibt die Werte noch höher

Das Labor Chemcon in Wien testete Schnuller im Auftrag des BUND und seiner österreichischen Partnerorganisation Global 2000. Die Chemiker schüttelten jeweils eines der Gummisaugteile ohne Schild eine Stunde lang in künstlicher Spucke und fanden darin bis zu zehn Mikrogramm BPA pro Liter Flüssigkeit. Besonders hoch waren die Werte, wenn die Wissenschaftler der Empfehlung der Hersteller folgten, die Schnuller vor Gebrauch in Wasser auszukochen.

Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) in Berlin unternahm ähnliche Versuche und entdeckte kein BPA im künstlichen Speichel. Selbst wenn man annehme, dass sich BPA in Mengen unter der Nachweisgrenze von 250 Nanogramm pro Liter aus den Schnullern löse, sei für Kinder akut nichts zu befürchten, folgert das BfR.

Dennoch: BPA gehört nicht in Babyschnuller, und ist dort ja auch leicht vermeidbar", sagt BfR-Sprecherin Miriam Ewald. Mehrere Hersteller hätten angekündigt, ihre Produktion umzustellen und kein Polycarbonat mehr zu verwenden, sagt die Chemieexpertin des BUND, Patricia Cameron - obwohl die gemessenen Werte als unbedenklich gelten. 50 Mikrogramm BPA pro Tag dürfe jeder Mensch schlucken, setzte die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA vor zwei Jahren fest. Bis dahin galt ein niedriger Wert von nur zehn Mikrogramm".

Die EFSA war zu dem Schluss gekommen, dass Babys auf BPA weniger empfindlich reagierten als die für Tests eingesetzten Ratten. Die Obergrenze könne daher heraufgesetzt werden. Der Schritt war umstritten, zumal wichtige Ergebnisse, auf die sich die EFSA stützte, zunächst nicht veröffentlicht wurden, und die Studien, die BPA als harmlos bewerteten, industriefinanziert waren.

Demnächst Initiativen einzelner EU-Länder

Seitdem gab es neue Hinweise auf Gesundheitsgefahren durch BPA, so auf ein womöglich erhöhtes Risiko für Diabetes und Herzleiden. "Wir erwarten, dass in die Grenzwertdebatte wieder Bewegung kommt", sagt Patricia Cameron. Zum einen würden neue Aufnahmewege für BPA entdeckt. Zum anderen müsste bei vergleichbaren Stoffen - also hormonähnlich wirkenden Chemikalien - auch die Gesamtwirkung aller Substanzen in Betracht gezogen werden. Bisher wird nach der EU-Chemikalienverordnung REACH nur jeder Stoff einzeln bewertet. "Es wird demnächst Initiativen einzelner EU-Länder geben, Sammelbewertungen vorzunehmen", kündigt Cameron an.

© SZ vom 17.10.2009/jug - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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