Automobiltechnik:Biss unter der Motorhaube

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Lecker - oder eklig? In einem Testzentrum verraten Marder, welche Kabel sie mögen und welche nicht. Ihre Vorlieben sind schwer zu durchschauen, denn Marder beißen weder aus bösem Willen noch aus Hunger.

Von Andrea Hoferichter

"Achtung, Hochspannung" signalisieren die orangefarbenen, daumendicken Kabel unter der Motorhaube von Elektro- und Hybridautos. 400 Volt können hier anliegen. Steinmarder allerdings schreckt das nicht ab. Sie beißen genauso beherzt in die farbigen wie in die schwarzen 12-Volt-Leitungen von Benzinern oder Dieseln. Doch die Folgen sind deutlich teurer.

"Hochvoltkabel lassen sich aus Sicherheitsgründen nicht einfach reparieren und müssen in der Regel komplett ausgetauscht werden", sagt Arnulf Thiemel vom ADAC-Technik-Zentrum in Landsberg. "Auch wenn nicht eindeutig zu erkennen ist, ob die Isolierung durch ist oder nicht." Statt ein paar Hundert stünden schnell ein paar Tausend Euro auf der Reparaturrechnung. "Gefährlich ist der Biss aber nicht, denn die Kabel werden im Kurzschlussfall von der Stromversorgung getrennt." Es kann zwar passieren, dass das Auto nicht mehr fährt, aber weder Mensch noch Marder bekommen einen tödlichen Schlag.

Marder sind ausgesprochen misstrauisch gegenüber Neuem

In Statistiken schlagen Marderschäden an E-Autos noch nicht zu Buche. Doch schon jetzt verursachen die Tiere dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungsgesellschaft zufolge Autoschäden von rund 60 Millionen Euro im Jahr. Hinter den kostenintensiven Beißattacken stecken weder böser Wille noch Hunger. "Marder nutzen ihr Gebiss wie wir unsere Hände", sagt Hans-Heinrich Krüger vom Otter-Zentrum Hankensbüttel bei Gifhorn in Niedersachsen. Sie erkunden damit die Umgebung, wollen Platz schaffen, einfach nur spielen, oder sie beißen aus Ärger über den Geruch eines Konkurrenten zu.

Marder unter der Motorhaube
:Mein Auto, mein Revier

Zwischen 14.000 und 18.000 Autos werden in Deutschland jährlich von Mardern beschädigt. Inzwischen weiß man, dass es nicht der Appetit auf Kabel ist, der die Tiere im Motorraum wüten lässt. Was die Marder tatsächlich anlockt und wie man sein Auto schützen kann.

Lennart Pyritz

Der Wildbiologe Krüger prüft seit zehn Jahren, wie attraktiv Autokabel für Steinmarder sind und wie gut sie deren Bissen standhalten. Für die Tests kommen die Steinmarder Kate und William zum Einsatz, die in einer Scheune des Otter-Zentrums leben. Im Domizil des Pärchens ragen Testkabel frei zugänglich wie Henkel aus der Wand. Es kann allerdings Tage oder sogar Wochen dauern, bis es zum ersten Kabelkontakt kommt.

Kompromiss aus Mardersicherheit, Materialkosten und Kabelgewicht noch nicht gefunden

"Marder sind ausgesprochen misstrauisch gegenüber Neuem", erklärt Krüger. Das sei auch der Grund dafür, dass Duftsprays, Hundehaare, Mottenkugeln oder Ultraschallgeräte durchaus kurzfristig Wirkung zeigen können. "Fühlt sich der Marder aber irgendwann sicher, helfen diese Mittel auch nicht mehr", betont er.

Die Zahl der Aufträge steigt Krüger zufolge stetig, und immer öfter geht es dabei um die orangenen Hochvoltkabel. Doch offenbar ist der ideale Kompromiss aus Mardersicherheit, Materialkosten und Kabelgewicht auch für sie noch nicht gefunden. Generell gilt, dass Gewebe- und Metallverstärkungen die Kabel stabiler machen. Ein zusätzlicher Mantel aus Metall oder festem Kunststoff ist laut Krüger ein wirksamer Schutz, schlägt aber mit zusätzlichen Kosten und vor allem mit mehr Gewicht zu Buche, ein Tabu für Elektrofahrzeuge.

Elektrische Schläge wie Kühe am Weidezaun

Zurzeit testet der Forscher eine eher exotische Kabelvariante. Sie ist mit Anti-Marder-Geschmacksstoffen gespickt. "Das bringt aber wahrscheinlich auch nichts, denn die Tiere prüfen nicht erst, ob das Kabel schmeckt, sondern beißen gleich rein", vermutet er.

So bleibt den mardergeplagten Autobesitzern vorerst nichts übrig, als die Tiere mit noch mehr Elektronik zu vertreiben, nämlich mit geschickt platzierten Metallplättchen im Motorraum, durch die schwache Ströme fließen. Kommen die potenziellen Kabelkiller damit in Kontakt, kriegen sie einen elektrischen Schlag wie Kühe am Weidezaun. "Das scheint bisher das einzige Mittel zu sein, das Marder auch für längere Zeit vom Auto fernhalten kann", sagt der Biologe.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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