Artenvielfalt:Die Ernährung der Welt

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...hängt von etwa 30 Pflanzenarten ab. Die Spezialisierung auf wenige Getreide- und Gemüsesorten mit hohem Ertrag macht die Menschheit verwundbar. Es reicht nicht, genetische Vielfalt nur in Samenbanken zu bewahren.

Heiko H. Parzies

Während das Aussterben seltener Wildpflanzenarten zu Recht für Schlagzeilen sorgt, ist der Verlust genetischer Vielfalt bei Nutzpflanzen ein vergleichsweise wenig beachtetes Thema. Nur etwa 30 der mehr als 30000 essbaren Pflanzenarten haben signifikante Bedeutung als Nahrungs- oder Futterpflanzen.

Weizen, Gerste und Roggen stammen aus dem Nahen Osten. (Foto: Foto: dpa)

Von diesen wenigen Pflanzenarten hängt letztlich die Welternährung ab. Die genetische Vielfalt dieser Nahrungspflanzen hat mit dem Beginn des intensiven Anbaus in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stetig abgenommen - ein Phänomen, das gegenwärtig häufig mit dem plakativen Begriff "genetische Erosion" bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich nicht um den Verlust einzelner Arten, sondern um den Verlust der genetischen Mannigfaltigkeit innerhalb einer Art.

Aber wofür brauchen wir überhaupt genetische Vielfalt in unseren Nutzpflanzen? Genügen nicht ein paar wenige gute Weizen- oder Kartoffelsorten? Während in Entwicklungsländern häufig noch mannigfaltige Gemische, sogenannte Landsorten, auf den Feldern stehen, die sich über viele Generationen an die besonderen Umweltbedingungen des jeweiligen Standortes anpassen konnten, sind in den entwickelten Ländern überwiegend Hochertragssorten im Anbau, deren Einzelpflanzen sich genetisch so ähnlich sind wie eineiige Zwillinge.

Eine einzige Winterweizensorte kann in Deutschland leicht auf hunderttausend Hektar Anbaufläche kommen. Bei etwa 250 Pflanzen pro Quadratmeter sind dies dann etwa 250 Milliarden Pflanzen, die alle genetisch identisch sind.

Für die mechanische Ernte sowie gleichmäßig hohe Erträge und Mehlqualität ist dies von großem Vorteil. Zeigt jedoch eine dieser Pflanzen eine Anfälligkeit gegen eine Pilzkrankheit, dann sind alle Pflanzen dieser Sorte anfällig. Es gibt viele Beispiele aus der Praxis, bei denen diese genetische Verwundbarkeit einer Pflanzenart aufgrund ihrer Uniformität zu dramatischen Ertragsausfällen geführt hat.

Das wohl bekannteste ist der Ausbruch der Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, welche im 19.Jahrhundert in Irland eine Hungersnot und eine Auswanderungswelle nach Nordamerika auslöste. Die wenigen Kartoffelknollen, die Seefahrer vor etwa 500 Jahren aus der Neuen Welt mitbrachten und die die Grundlage der Züchtung in Europa bildeten, hatten keine ausreichenden Resistenzen. Sie waren genetisch verarmt.

Nahezu alle unsere wichtigen Nahrungspflanzen haben ihren Ursprung in anderen Teilen der Welt. Weizen, Gerste und Roggen stammen aus dem Nahen Osten, Mais und Kartoffeln sowie viele Gemüsearten aus Mittel- und Südamerika. In den Ursprungsgebieten der Kulturpflanzen findet sich auch deren größte genetische Vielfalt.

Was die Züchter in Deutschland bearbeiten, ist nur ein winziger Ausschnitt dessen, was dort vorhanden ist - oder einmal vorhanden war -, denn auch dort gibt es genetische Erosion. Vermehrt werden Hochertragssorten angebaut, die alte, mannigfaltige Landsorten verdrängen. Man kann den Landwirten beispielsweise in Syrien, einem der Herkunftsgebiete der Getreidearten, nicht verübeln, dass sie mit dem Anbau von modernen Sorten am Züchtungsfortschritt teilhaben wollen.

Gerade in den Trockengebieten der Welt ist das Bevölkerungswachstum hoch und somit der Druck auf die Landwirtschaft groß, um jeden Preis Ertragssteigerungen zu erzielen. Genetische Vielfalt ist dort kein großes Thema.

Es bedarf einer internationalen Anstrengung aller Nutznießer dieser Vielfalt, um den Verlust wichtiger Gene zu verhindern. Dazu wurden in den letzten Jahrzehnten Genbanken eingerichtet, in denen große Mengen an Samenmustern in Kühlräumen lagern.

Das jüngste Beispiel ist die gigantische Genbank in einem Tunnel im (hoffentlich) ewigen Eis von Spitzbergen, die durch den Global Crop Diversity Trust (GCDT) und die norwegische Regierung gebaut und kürzlich eröffnet wurde. Weltweit sind insgesamt etwa sechs Millionen Samenmuster eingelagert - die genetischen Ressourcen aller wichtigen Nutzpflanzen und ihrer nächsten verwandten Wildarten.

Wofür wird dieser Aufwand betrieben? Da wir heute noch nicht wissen, mit welchen Pilzkrankheiten, Umweltbedingungen oder Insekten es der Weizen in 20 Jahren zu tun bekommt, wissen wir auch nicht, welche Gene in 20 Jahren für die Gesundheit und Ertragsfähigkeit des Weizens von Bedeutung sein werden. Deshalb müssen schon heute alle möglichen Genotypen erhalten werden.

Die Hauptnutzer dieser eingelagerten Vielfalt sind die Pflanzenzüchter. Diese sitzen quasi zwischen zwei Stühlen. Einerseits sollen sie uniforme Hochertragssorten züchten, die den steigenden Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Weltbevölkerung sichern, andererseits werden sie für die Verarmung des modernen Pflanzenzuchtmaterials verantwortlich gemacht.

Einlagerung reicht nicht aus

Dabei ist Pflanzenzüchtung ohne Vielfalt gar nicht möglich. Nur wenn genügend Ausgangsdiversität vorhanden ist, besteht die Chance, eine Pflanze ausfindig zu machen, die alle günstigen Eigenschaften auf sich vereint. Zur modernen Pflanzenzüchtung gibt es keine Alternative, und alle Genbanksammlungen dienen letztlich künftigen Züchtungsaktivitäten.

Vermehrt nutzen Pflanzenzüchter heute genetische Ressourcen, um ihr häufig eingeschränktes Zuchtmaterial zu erweitern. Hierbei ist der große Leistungsunterschied zwischen oft primitiven genetischen Ressourcen und dem modernen Hochzuchtmaterial ein großes Hindernis.

Die Einlagerung reicht aber nicht aus, um die Vielfalt für die Zukunft zu erhalten. Während die Samenmuster in der Genbank schlummern, geht im Feld das Leben weiter. Hier entwickeln sich Insekten und Schädlinge. Klimabedingungen ändern sich, mit denen die konservierten genetischen Ressourcen viele Jahre später konfrontiert werden. Zur "In-situ-Konservierung", der Erhaltung genetischer Ressourcen im Feldanbau unter den Bedingungen, unter denen sie entstanden sind, gibt es auch in Deutschland ein klares Bekenntnis.

Mit einem nationalen Fachprogramm verpflichtet sich Deutschland zu einem ganzen Katalog von Aktivitäten. Während in den Behörden dazu noch heftig diskutiert wird, gibt es bereits konkrete Projekte in privater Trägerschaft. Engagierte Landwirte, Freilichtmuseen und Vereine betreiben aktiv die Erhaltung alter und seltener Kulturpflanzen und machen sie über Saatgutkataloge zugänglich.

Da hier jedoch nur einzelne Sorten bestimmter Kulturpflanzen erhalten werden, bedarf es wissenschaftlich konzipierter Projekte, um im großen Umfang "In-situ-Konservierung" genetischer Ressourcen realisieren zu können. Aus der Wissenschaft liegen hierzu langfristig angelegte Strategien vor, die nur in Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Trägern verwirklicht werden können. Dank der klaren Bekenntnisse der Bundesregierung zur Erhaltung der genetischen Diversität sollte es dabei am Geld nicht scheitern.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenzüchtung, Saatgutforschung und Populationsgenetik an der Universität Hohenheim und beschäftigt sich mit Nutzpflanzen aus den Trockengebieten Afrikas und Asiens.

© SZ vom 15.05.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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