"Die Säulen der Kirche sind wie ein Wald, die Geometrie ist wie Musik"
(Foto: Foto: dpa)Die Formen stehen am Anfang, und das tiefere Verständnis, wie alles entstanden ist und entstehen muss, steht ganz am Ende. Dieses schrittweise Denken kann man zum Beispiel an Gaudís berühmtem Kirchen-Hängemodell studieren. Es beruht auf einem einfachen, aber genialen Prinzip: Stellt man alles auf den Kopf, verhalten sich Druckkräfte wie Zugkräfte.
So legte Gaudí über Jahre hinweg das Gesamtkonzept fest. Er schuf ein ausbalanciertes Tragwerk aus schräggestellten Säulen, die in einem kontinuierlichen Verlauf miteinander verschmelzen und einen großen Lichteinfall durch die Kuppeln erlauben. Wenn die Stützpfeiler sich dabei unterhalb der Decke zu Ästen verzweigen, folgt die Konstruktion einem exakten Regelwerk.
Nur so ist es möglich, dass derart zart wirkende Säulen ein solches Gebäudevolumen tragen. Während bei anderen Kathedralen wie dem Kölner Dom die Außenfassaden auch statische Funktion haben, erarbeitete sich Gaudí fast völlige gestalterische Freiheit. Seine strenge Geometrie machte es möglich.
Vor allem mit drei Elementen beschäftigte sich Gaudí in endlosen Experimenten: Säulen, Fenstern und gewölbten Decken. Er studierte sie an Gipsmodellen im Maßstab 1:10 und 1:25, veränderte Proportionen, entwarf meterlange Schablonen auf Papier. Und er nutzte sein hervorragendes Zeichentalent auch auf der Baustelle der Sagrada Família, um den Handwerkern neue Ideen zu erklären.
Nach Gaudís Unfalltod 1926 konnte zunächst ein Team von Architekten und Modellbauern in seinem Sinne weiterarbeiten, sie alle hatten seine Ideen immer wieder vernommen. Doch dann kam der spanische Bürgerkrieg. 1936 drangen Anarchisten während der Besetzung der Sagrada Família in Gaudís Werkstatt ein, zerstörten die Modelle und damit auch den Bauplan der Kirche.
Forensische Arbeit an den Modellen
Viele der Modelle sind heute wieder zusammengeklebt. Sie lagern in einem Raum unterhalb der Kirche. In langen Reihen stehen Kellerregale voller Gussformen, Modellbruchstücken und Säulenresten. In dem archäologischen Lager wird die Vergangenheit rekonsturiert. "Die Bruchstücke zusammenzusetzen ist wie eine forensische Arbeit", sagt Mark Burry. Die Architekten mussten dabei die Botschaft Gaudís lesen lernen, mussten aus dem Verlauf der Oberflächenformen auf geometrische Ideen schließen.
Ohne diese alte Schatzkammer mit all den zerstörten Formen hätte sich die Frage gar nicht mehr gestellt, ob man die Kirche weiterbauen sollte. Sie waren schlicht alles, was Gaudí hinterlassen hat. In seinem Büro seitlich unterhalb der Sagrada Família erzählt Mark Burry, wie er aus den Bruchstücken nach und nach am Bildschirm eine virtuelle Version der Sagrada Família erstellt hat.
Überall an den Wänden hängen Konstruktionsskizzen, manche aus dem Computer, aber auch Handzeichnungen sind noch darunter. Damit hatte Burry begonnen. Er zeichnete die rekonstruierten Modelle zunächst per Hand, später begann er mit digitalen Zeichenprogrammen.
Software aus dem Autobau
Jedes Objekt musste aufwändig erfasst werden, 3-D-Designprogramme aber gab es für Architekten damals nicht. "Ich hatte ein altes Motorrad, das kaputt war, zerlegte den Motor, und als ich ihn wieder zusammensetzen wollte, dachte ich: Das entspricht doch genau der Aufgabe bei der Sagrada Família." Also suchte Burry eine Software aus dem Automobilbau.
Heute ist die gesamte Sagrada in seinem Laptop. "Wir arbeiten mit erstklassiger Technik an einem erstklassigen Projekt." Möglich machen das bis zu 2,6 Millionen Besucher jährlich mit ihren Eintrittsgeldern. Von Beginn an war die Sagrada Família durch Spenden finanziert, und schon Gaudí wusste, dass er den Spendern hin und wieder etwas bieten musste in den 43 Jahren, die er an der Kirche arbeitete.
So gab er zwar, angesichts der Unmöglichkeit, die Sagrada zu vollenden, die Losung aus: "Meine Kunde hat keine Eile." Doch beschloss er 1892, wenigstens die Weihnachtsfassade zügig zu bauen und brachte zu Werbezwecken eine aufwändige Broschüre mit Zeichnungen und Fotografien der Baustelle heraus.