Anthropologie:Europas Urahnen

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Das Erbgut aus einem 10 000 Jahre alten Backenzahn hilft, die Herkunft der heutigen Europäer aufzuklären. Vor etwa 5000 Jahren wanderten demnach Menschen aus dem Kaukasus ein, die dort die letzte Eiszeit überlebt hatten.

Von Hubert Filser

Die Spur führt in den Norden Georgiens an der Grenze zu Russland. Und sie weist gleichzeitig weit zurück in der Zeit. Es geht um die Frage, woher die Europäer menschheitsgeschichtlich betrachtet stammen. Dort am Fuße des Kaukasus in einem Korridor vom Schwarzen Meer im Westen bis hin zum Kaspischen Meer im Osten, konnte offenbar eine relativ große Menschenpopulation die Eiszeit überstehen und dann vor etwa 5000 Jahren nach Europa einwandern. Dies jedenfalls legen neue Untersuchungen von Paläogenetikern der Universitäten von Cambridge und Dublin nahe, die sie im Fachmagazin Nature Communication s veröffentlichten.

Die Forscher isolierten Erbgut aus einem gut 10 000 Jahre alten Backenzahn und verglichen es mit dem alter Populationen und heute lebender Menschen. Spuren der DNA der alten kaukasischen Jäger und Sammler finden sich in praktisch allen Bevölkerungsgruppen des heutigen Europas. Damit konnten die Forscher einen bedeutenden Teil unseres Erbguts einer Ursprungsregion zuordnen. Es sei, so schreiben sie, der vierte wichtige Beitrag zum Erbgut heutiger Europäer. Vor 40 000 Jahren waren die ersten modernen Menschen aus Afrika eingewandert, dann folgten weitere Jäger und Sammler. Als dritte Welle kamen schließlich vor rund 7500 Jahren Bauern.

Vor 5000 Jahren wanderten dann aus nördlich des Kaukasus gelegenen Steppengebieten massiv Menschen der sogenannten Jamnaja-Kultur nach Westeuropa ein. Sie läuteten dort möglicherweise den Beginn der Bronzezeit ein. Jedenfalls brachten sie zahlreiche Techniken und Neuerungen mit, etwa das Wissen über die Bearbeitung neuer Metalle oder auch darüber, wie man sich um große Viehherden kümmert. Woher diese Jamnaja-Kultur kam und wie die Menschen dort die Eiszeit überlebt hatten, war bis jetzt nicht klar - auch weil es in der Region viel zu wenige Fundorte gab.

In der Herkunftsregion haben auch viele indogermanische Sprachen ihren Ursprung

Mehrere Höhlen der Steinzeit waren erst in jüngster Zeit in einer archäologisch lange wenig beachteten Region südlich des Kaukasus aufgetaucht, darunter der Felsüberhang von Kotias Klde, wo das Skelett gefunden wurde, aus dem die Forscher die DNA isolierten. Oder Höhlen wie die von Dzudzuana, wo man die ältesten Fasern und Kleidungsstücke der Menschheitsgeschichte entdeckt hat. Offenbar, das belegen die neuen genetischen Untersuchungen, hatte dort eine Bevölkerungsgruppe die letzte Eiszeit mit ihrem Maximum vor etwa 25 000 Jahren überlebt. Sie hatten an den wasserreichen Flanken der kaukasischen Berge vor allem Wildschweine und kleine Säugetiere gejagt und während der Eiszeitwinter in den Steppenlandschaften Wildgetreide gesammelt.

Viele Populationen in Europa überlebten die harten Winter nicht. Geografische Nischen mit etwas moderateren Temperaturen waren für die Menschen überlebenswichtig. In diesem Kaukasus-Korridor waren die Menschen wohl Jahrtausende isoliert - bis das Eis taute und sich die Menschen mit anderen Populationen aus Asien vermischten.

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Die geografische Lage war nach dem Ende der Eiszeit ideal. Die Region im Kaukasus liegt an einem Knotenpunkt der großen West-Ost-Migrationsrouten. Ein Teil der Menschen zog, als es das Klima wieder zuließ, nach Südasien, ein Teil später Richtung Europa. Dieses vierten Anteils der frühen Europäer war man sich bislang nicht bewusst, sagt Cambridge Forscher Andrea Manica. Die Region um den Kaukasus ist auch genau der Ort, den Linguisten jüngst als Kandidaten für die Urheimat einiger indogermanischer Sprachen identifiziert haben. Das Puzzle der frühen europäischen Menschheitsgeschichte fügt sich Stück für Stück zusammen.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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