Amphibiensterben:Lurchis letzte Reise

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Der Feuersalamander wird in den Niederlanden von einer Pilzinfektion bedroht, die sich rasant ausbreitet (Foto: Aah-Yeah / Flickr / CC-by-2.0)

Ein Millionen Jahre alter asiatischer Pilz soll für ein massenhaftes Amphibiensterben verantwortlich sein. Etliche Salamander- und Schwanzlurcharten sind der grausamen Infektion wehrlos ausgeliefert, viele drohen auszusterben.

Von Kim Björn Becker

Der Feuersalamander Lurchi hat es gut: Seit mehr als 60 Jahren erlebt die Werbefigur des Schuhherstellers Salamander eine aufregende Geschichte nach der anderen, alle paar Monate erscheint ein Comicheft aus der Serie "Lurchis Abenteuer". Im Mai war es die Nummer 152 - und der Titel könnte passender kaum sein: "Besuch aus der Steinzeit".

Fakt ist, dass etliche Spezies aus der Familie der Schwanzlurche - darunter Salamander und Molche - seit einiger Zeit ein Abenteuer durchleben, das im schlimmsten Fall ihr letztes gewesen sein könnte: Mit einem Mal werden die Tiere von einem Millionen Jahre alten Pilz befallen. In den Niederlanden sind der Pilzinfektion bereits 96 Prozent der Feuersalamander zum Opfer gefallen. Vermutlich hat der weltweite Handel mit Amphibien die Ausbreitung des Pilzes bewirkt - gegenwärtig gibt es kein Mittel dagegen. Wissenschaftler fürchten daher, dass sich die als Chytridiomykose bekannte Infektionskrankheit auf Schwanzlurche in ganz Europa und Nordamerika ausbreiten könnte - mit fatalen Folgen: Ein Massensterben der Tiere ist nicht unwahrscheinlich, heißt es in einer neuen Studie im Magazin Science. Manche Arten, darunter der charakteristische Feuersalamander, könnten sogar ganz aussterben.

Dass die Chytridiomykose zahlreichen anderen Amphibienarten gefährlich werden kann, ist seit Ende der Neunzigerjahre bekannt. Damals vermuteten Wissenschaftler erstmals das als Chytridpilz bekannte Batrachochytrium dendrobatidis als Hauptursache für ein Massensterben von zahlreichen Froscharten in tropischen und subtropischen Gefilden. Hat der Chytridpilz seinen Wirt einmal befallen, nistet er sich in den oberen Hautschichten der Tiere ein und führt dort zu tiefen Schäden. Woran die infizierten Frösche letztlich sterben, ist noch nicht ganz geklärt - da Amphibien auch über ihre Haut atmen, könnte eine Chytridiomykose ein Ersticken der Tiere verursachen.

Im Laborversuch überlebte kein Tier länger als 18 Tage

Andere Forscher vermuten, dass die Hautschäden den Stoffwechsel der Amphibien auf fatale Weise stören. Zugleich gibt es nach wie vor keine belastbare Antwort auf die Frage, warum dieser uralte Pilz den Tieren erst jetzt so gefährlich wird. Immer wieder werden daher auch andere mögliche Ursachen für das jüngste Amphibiensterben ins Feld geführt, darunter Umweltverschmutzung und der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft.

Gut möglich, dass am Ende eine Kombination mehrerer Faktoren dazu geführt hat, dass in den vergangenen Jahren etwa 200 Amphibienarten weltweit ausgestorben sind - offenkundig war der Chytridpilz in beinahe jedem dieser Fälle zumindest beteiligt.

Als es in den Niederlanden von 2010 an mit einem Mal zu einem Massensterben bei Feuersalamandern kam und die toten Tiere ähnliche Veränderungen der Haut zeigten, glaubte man, die Ursache zu kennen - doch alle Tests auf Batrachochytrium dendrobatidis waren negativ. Vor einem Jahr entdeckte ein internationales Forscherteam um die Biologin An Martel von der Universität Gent in Belgien einen engen Verwandten des bereits bekannten Chytridpilzes: Batrachochytrium salamandrivorans, wie sie den Pilz tauften, war offenkundig für den plötzlichen Tod der Feuersalamander in den Niederlanden verantwortlich.

Nachdem sie den Pilz isoliert hatten, infizierten die Forscher im Labor fünf gesunde Feuersalamander mit Zoosporen des Pilzes - kein Tier überlebte länger als 18 Tage. In einem zweiten Versuch brachten die Forscher einen Salamander mit dem Pilz in Kontakt und gaben das Tier in ein Terrarium, in dem sich zwei gesunde Feuersalamander befanden. Bald steckten sich auch die gesunden Tiere an und starben drei bis vier Wochen später.

In Science warnen An Martel und ihre Forscherkollegen nun davor, dass die Pilzerkrankung ganze Populationen von Schwanzlurchen in Europa und Nordamerika bedrohen könnte. "Die Lage ist ernster als gedacht", sagt Martel. "Für etliche westliche Tierarten ist der Pilz hochgefährlich." In ihrer Studie steckten die Forscher Tiere von 35 Spezies an. Frosch- und Schleichenlurche waren zwar resistent gegen den Pilz, doch bei den 22 untersuchten Schwanzlurch-Arten endete die Infektion bei zwölf Spezies als tödlich, drei weitere zeigten sich anfällig. Da asiatische Arten häufiger resistent gegen B. salamandrivorans sind, könnte der Pilz dort seinen Ursprung haben - die Tiere, so die Vermutung, haben sich mit der Zeit bereits an die Bedrohung angepasst, die Spezies im Westen allerdings noch nicht.

"Der Schaden für die Natur wäre immens"

In Europa wurden bislang in Belgien und in den Niederlanden Tiere gefunden, die an den Folgen einer Infektion mit B. salamandrivorans gestorben sind. "Es gibt hier allerdings keine natürlichen Barrieren, daher könnte sich die Erkrankung in den nächsten 25 Jahren auf nahezu alle europäischen Molch- und Salamanderarten auswirken", sagt Martel. In den Vereinigten Staaten droht ein ähnliches Szenario. "Es ist eine Frage wann, nicht ob der Pilz Nordamerika erreicht", sagt die Biologin Carly Muletz von der Universität von Maryland, Co-Autorin der Studie. In den USA sollen mehr als 150 der 655 bekannten Salamander-Arten heimisch sein. Vor allem der Chinesische Feuerbauchmolch reagiert sensibel - allein zwischen 2001 und 2009 wurden mehr als 2,3 Millionen dieser Tiere in die Vereinigten Staaten importiert.

Zusätzlich zu ihrer Laborstudie haben die Forscher fast 5400 Tiere unterschiedlicher Spezies weltweit auf den Pilz untersucht. Aus Deutschland hat Stefan Lötters vom Institut für Biogeographie an der Universität Trier an der Studie mitgearbeitet. "Von den in Deutschland untersuchten Tieren war keines von dem Pilz befallen. Es spricht allerdings viel dafür, dass sich das in der Zukunft ändern kann. Dann wären größere Populationseinbrüche denkbar, manche Arten könnten lokal oder sogar völlig aussterben", sagt Lötters. In Deutschland sind zwei Salamander- und fünf Molcharten heimisch. In Potenziell gefährdet sind neben dem Feuersalamander noch der Kammmolch und der Bergmolch.

Noch ist völlig unklar, was ein Massenaussterben der Schwanzlurche für die Ökosysteme Europas und Nordamerikas bedeuten würde. "Die Tiere fressen Insekten und erfüllen wichtige Funktionen", sagt An Martel. "Der Schaden für die Natur wäre immens." Zumindest dem Menschen können die beiden Pilzarten wohl nicht gefährlich werden. Zwar haben Laborversuche gezeigt, dass die Pilzsporen bei menschlichen Zellen zu ähnlichen Veränderungen führen wie es bei Amphibien der Fall ist. Der Pilz übersteht allerdings nur Temperaturen bis höchstens 28 Grad Celsius - im menschlichen Körper kann er daher nicht überleben.

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