Alternative Heilverfahren an Hochschulen:Wissenschaft in homöopathischen Dosen

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Der Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Uni Zürich ist etwas Besonderes: Er ist im deutschsprachigen Raum der einzige, der nicht durch Interessengruppen finanziert wird. Ausgerechnet hier hat die Kandidatur einer deutschen Homöopathie-Forscherin nun zum Eklat geführt. Edzard Ernst, einer der renommiertesten Kritiker der Komplementärmedizin, wurde aus der Berufungskommission gedrängt.

Markus C. Schulte von Drach

Globuli sind ein beliebtes "Heilmittel", auch wenn sie keine Wirkstoffe mehr enthalten. Viele Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathika untersucht haben, sind nicht gut gemacht, sagen Kritiker. (Foto: voodoo! / photocase.com)

Ungewöhnliches geht vor sich an der Universität Zürich. Das Universitätsklinikum sucht derzeit nach einem geeigneten Kandidaten für den Lehrstuhl für Naturheilkunde. Auf den ersten Blick sieht das nach einem alltäglichen Vorgang aus - doch nun ist es zu einem Eklat gekommen, der zwei der bekanntesten Wissenschaftler aus dem Bereich der Naturheilkunde betrifft.

Die Kandidatensuche am "UniversitätsSpital" ist schon wegen der Bedingungen, die der dortige Lehrstuhl bietet, etwas Besonderes: Es ist der einzige im gesamten deutschsprachigen Raum, der nicht durch Lobbygruppen, Wirtschaftsunternehmen oder Krankenversicherungen finanziert wird.

Üblicherweise erforschen Wissenschaftler in Deutschland, Österreich und der Schweiz alternative Heilverfahren mithilfe von Geldern, die zum Beispiel vom Homöopathika-Hersteller Biologische Heilmittel Heel, der Krupp-Stiftung, der Carstens-Stiftung oder anderen Interessengruppen kommen. So hat die Carstens-Stiftung das ausdrückliche Ziel, "Naturheilkunde und Homöopathie in Wissenschaft und Forschung zu integrieren".

Das ist in Zürich anders. Hier soll Forschung auf hohem Niveau, völlig unabhängig und hundertprozentig durch staatliche Gelder finanziert stattfinden, sagt ein Mitglied der Berufungskommission, die über die Besetzung des Lehrstuhls entscheidet. Und er betont, dass hier sogenannte komplementäre Heilverfahren kritisch auf ihre Wirksamkeit geprüft werden.

Zum Beispiel die Homöopathie? Die nun gerade nicht, denn sie sei nicht evidenzbasiert, sagt der Wissenschaftler, der ungenannt bleiben will. Mit anderen Worten, es gibt zu wenig Hinweise auf eine Wirksamkeit, als dass man sich mit ihr noch beschäftigen möchte. Kritiker dieser umstrittenen Alternativmedizin dürften aufhorchen.

Um unter den Kandidaten auf den Lehrstuhl denjenigen Forscher auszuwählen, der die Ansprüche am ehesten erfüllt, hat man einen besonderen Fachmann in die Kommission eingeladen: Edzard Ernst von der britischen University of Exeter ist der wohl bekannteste Kritiker der Komplementärmedizin. Seit zwei Jahrzehnten beobachtet er mit Argusaugen die Arbeit seiner Kollegen und stellt ihre Behauptungen kritisch auf den Prüfstand.

In Zürich wurden inzwischen aus 15 Bewerbern fünf Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt, die sich öffentlich vorstellen durften. Über vier davon lässt sich relativ wenig sagen: Benno Brinkhaus von der Charité in Berlin setzt auf Akupunktur, Mind-Body-Medizin, Neuraltherapie und Pflanzenheilkunde. Jost Langhorst von den Kliniken Essen-Mitte hat ähnliche Schwerpunkte. Florian Pfab vom Münchner Klinikum rechts der Isar beschäftigt sich bislang vor allem mit traditioneller chinesischer Medizin und Phytotherapie. Und Ursula Wolf von der Universität Bern hat als Schwerpunkt die anthroposophische Medizin.

Umstrittene Homöopathie-Studien

Schließlich aber steht auch noch Claudia Witt auf der Liste. Witt hat derzeit den von der Carstens-Stiftung finanzierten Lehrstuhl an der Berliner Charité inne. Und aus mehreren Gründen darf man sich wundern, dass ausgerechnet Witt es bis unter die ersten fünf geschafft hat. Zuerst einmal hat sie sich ausgerechnet mit Arbeiten zu jenem Verfahren einen Namen gemacht, mit dem man sich in Zürich nicht mehr beschäftigen will: der Homöopathie. Zum anderen gibt es an diesen Studien und der Interpretation der Daten durch Witt und ihre Kollegen massive Kritik.

Edzard Ernst etwa hatte sich bereits vor seiner Arbeit in der Berufungskommission intensiv mit Witts Studien auseinandergesetzt. Auf eine Nachfrage von Süddeutsche.de verweist der Homöopathiekritiker auf seine Schweigepflicht über die Arbeit der Kommission in Zürich. Doch was er sagen kann, ist: "Aufgrund ihrer Publikationen halte ich die Kandidatin nicht für fähig, den Bereich der Komplementärmedizin kritisch zu beleuchten". Genau das aber soll der zukünftige Lehrstuhlinhaber tun.

Frau Witt, so sagt Ernst, komme seiner Ansicht nach regelmäßig zu Schlussfolgerungen, die die Homöopathie in einem guten Licht erscheinen lassen, aber durch die Daten nicht gestützt würden. Ein Fachartikel von ihm dazu ist gerade im Sceptical Inquirer (November 2012) erschienen.

Dass es Kritik an Witts Arbeit gibt, bestätigt Jürgen Windeler vom unabhängigen Institut für Qualitätskontrolle und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Windeler hat sich eine der wichtigsten Arbeiten von Witt und ihren Kollegen genauer angeschaut. 2006 veröffentlichten die Wissenschaftler eine Studie zur Behandlung von Patienten mit homöopathischem Arnika nach einer Knieoperation ( Complementary Therapies in Medicine, Bd. 14,4). Eine Vergleichsgruppe war mit einem Scheinmedikament behandelt worden. Die Forscher kamen zu dem Schluss: Die beobachteten Effekte "scheinen den Gebrauch von homöopathischer Arnika bei der Wiederherstellung des Kreuzbandes zu rechtfertigen".

Das geben die Daten Windeler zufolge aber nicht her. "Diese Arbeit als Argument für den Nutzen homöopathischer Therapie anzusehen, ist schlechterdings absurd", meint der Experte. "Sie belegt nicht, dass es zwischen Nichts und Nichts einen Unterschied gibt." Gemeint ist das Nichts an Wirkstoff, welches in den extrem verdünnten homöopathischen Mitteln enthalten ist, und das Nichts im Scheinmedikament.

Wenn man Claudia Witt auf solche Kritik anspricht, verweist sie lediglich auf die Info-Broschüre der Charité zur Homöopathie, die sie gemeinsam mit Stefan Willich, Direktor des Instituts, an dem sie arbeitet, erstellt hat. Darin heißt es, es sei "nicht belegt, dass homöopathische Arzneimittel mehr als Placebo sind, aber auch nicht das Gegenteil. Es scheint insbesondere die individuelle und umfassende Art der Behandlung relevant für den Behandlungserfolg zu sein."

Das wirkt auf den ersten Blick, als wäre die Positionierung der Professorin zur Homöopathie klar. Doch wieso kommen die Studien, an denen sie beteiligt war, dann regelmäßig zu positiven Ergebnissen? Und an prominenter Stelle äußerte sich Witt auch schon deutlich zweideutiger. So hat sie gemeinsam mit Klaus Linde von der TU München im "Kursbuch Homöopathie" (2008) erklärt, dass "die Frage nach der Überlegenheit homöopathischer Arzneimittel über Placebo noch nicht abschließend geklärt ist".

Man muss diesen Satz Wort für Wort betrachten: Die "Überlegenheit" ist "noch" nicht "abschließend" geklärt - für manche Kritiker liest sich dies so, als wollten die Forscher andeuten, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Homöopathie ihre Überlegenheit über Scheinmedikamente doch beweist. Das würde zwar zugleich bedeuten, dass die bekannten Naturgesetze für dieses Verfahren nicht gelten.

Doch Anhänger paramedizinischer Methoden zitieren solche Äußerungen Witts genauso gern wie die häufig positiven Schlussfolgerungen ihrer Studien zur Homöopathie. Studien übrigens, die gerne auch mal mit Geldern der Carstens-Stiftung unterstützt wurden. Schon die Finanzierung von Witts Lehrstuhl hatte nach Angaben der Stiftung von Anfang an "die wissenschaftliche Untermauerung der Komplementärmedizin und langfristige Sicherung ihrer Therapieverfahren" zum Ziel.

Doch es gibt einen weiteren irritierenden Aspekt in Bezug auf die Kandidatur von Frau Witt: Sie war, bevor sie sich um den Posten als Professorin in Zürich beworben hat, Mitglied der Strukturkommission in Zürich. Sie saß also genau in jenem Gremium, das die Ausrichtung des Lehrstuhls neu bestimmt hat. Hat die Kandidatin dadurch nicht einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerben?

"Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich mich zu einem laufenden Berufungsverfahren, das vertraulich ist, nicht äußern kann", teilt Witt auf die entsprechende Frage von Süddeutsche.de schriftlich mit.

Genauso antworten fast alle Mitglieder der Berufungskommission auf diese Frage: Kein Kommentar. Und auch die Universitätsleitung hüllt sich in Schweigen. Auf eine entsprechende Anfrage von Süddeutsche.de reagiert man dort ebenfalls lediglich mit einem Hinweis auf Vertraulichkeit.

Lediglich Edzard Ernst ist bereit zu reden. Schließlich hat er Witts Studien bereits vor seiner Arbeit in der Berufungskommission kritisiert. Und auch die Entscheidung, die Wissenschaftlerin als Kandidatin zu akzeptieren, obwohl sie in der Strukturkommission saß, war zuvor gefallen. Demnach unterliegt auch dieser Punkt seiner Meinung nach nicht der Schweigepflicht. "Aus meiner Sicht ist das nicht statthaft", sagt Ernst. "Natürlich kenne ich die diesbezüglichen Regeln der Uni Zürich nicht im Einzelnen. An jeder Uni, an der ich angestellt war, wäre das jedoch eine grobe Verletzung der Regeln."

Eine Meinungsäußerung als Vertrauensbruch?

Diese Äußerungen dagegen betrachtet der Dekan der Medizinischen Fakultät, Klaus Grätz, nun wiederum als Regelverletzung. Er wirft Ernst vor, einen Vertrauensbruch begangen zu haben, weshalb er aus der Kommission ausscheiden soll, berichtet der Experte von der University of Exeter.

"Die Mitgliedschaft in einer Berufungskommission darf niemanden an der freien Meinungsäußerung hindern, solange diese nicht die Arbeit der Kommission betrifft", sagt Ernst. Falls man das in Zürich anders sieht, hätte man ihm dies mitteilen müssen. "Dann wäre ich der Kommission wohl niemals beigetreten."

Er hat nun den Verdacht, dass man seinen Ruf als prominenten Kritiker der alternativen Heilverfahren benutzen wollte, um jemanden für den Lehrstuhl holen zu können, der den aufgestellten hohen Ansprüchen gar nicht genügt. Anschließend hätte man sich dann darauf berufen können, immerhin sei Edzard Ernst Mitglied der Kommission gewesen.

"Dafür gebe ich meinen Namen nicht her", sagt Ernst. Deshalb, und weil keine Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit mehr existiere, sei er inzwischen tatsächlich aus der Kommission ausgetreten. Nun liegt der Ball wieder in Zürich.

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