Er war kaum älter als zwanzig Jahre, als er sich die Frage vorlegte, ob das, was wir täglich sehen, nicht das Ergebnis unserer alles in allem unzuverlässigen Nerven und Muskeln sein könnte. Also nahm Isaac Newton eine lange Nadel zur Hand und fing an, sich das Ding in die Augenhöhle einzuführen, ließ sie ein wenig zwischen Augapfel und Lid spielen und zog sie dann unter Schmerzen wieder heraus, um seine Erfahrungen in einem seiner Notizhefte niederzulegen.
Ein anderes Mal setzte sich Newton ins Freie vor einen Spiegel, weil er doch mal wissen wollte, wie lange ein Mensch in die Sonne starren kann, ohne wahnsinnig zu werden. Bei beiden Versuchen stellte er fest, dass sich vor seinem Auge weiße und farbige Kringel tummelten, immerhin dies. Heute, im Zeitalter der inflationären Studien, weiß man zumindest, dass Isaac Newton zwar schon relativ nah dran war, er aber zielführender hätte bohren können, wenn er sich mit der Nadel etwas weiter hinten im Hirn umgeschaut hätte.
Es ist ja so: Von den Dingen, die uns täglich bewegen, sind nur die wenigsten hinreichend erklärt. Die Liebe gehört nicht dazu, die damit verbundene oder unabhängig von ihr auftretende schlechte Laune auch nicht, und die Frage, warum wir sterben müssen, und vor allem: wann, muss vermutlich auf immer unbeantwortet bleiben. Andererseits sind wir unablässig von Erklärungsangeboten umgeben, die Wissenschaft versorgt uns regelmäßig mit Antworten auf unsere Fragen, ja, sie gibt uns sogar Antworten auf Fragen, die wir nie gestellt haben, entweder, weil wir zum Beispiel wissen, dass sich regelmäßiges Wandern positiv auf den Cholesterinspiegel auswirkt (Studie des Berufsverbandes Deutscher Internisten). Oder weil wir finden, dass die Handreichung, ein Föhn auf maximaler Stufe dürfe nicht lauter als achtzig Dezibel sein, nicht so entscheidend ist (Studie des deutschen Öko-Instituts). Und dass Hamster, wenn sie nachts bei Licht schlafen, depressiv werden (Studie der Ohio State University Columbus), ist nur für jene überraschend, die nur gut schlafen können, wenn irgendwo eine Funzel brennt. Fast jeden Tag weist uns irgendein Forscherteam mit einer Studie auf Wahrheiten hin, die entweder evident, verstiegen, verstörend oder in einer Weise überflüssig sind, dass man eigentlich lieber wissen möchte, warum erwachsene Wissenschaftler ihre Zeit und ihre Mittel dafür hergeben.
Im Bad brauchen Männer nur sechs Minuten weniger als Frauen. Diesen geringen Zeitabstand bei der Morgentoilette hat TNS Infratest ermittelt, und es waren Befragte beiderlei Geschlechts, die einräumten, das Duschen stünde für sie bei der Hygiene an erster Stelle. Und hier eine entweder enttäuschende oder ermutigende Neuigkeit für romantisch veranlagte Menschen, die bisher immer dachten, Frauen schauten Männern als Erstes ins Gesicht, ja vor allem in die Augen: Frauen schauen beim Mann als Erstes auf den Penis. Im Centers for Behavioral Neuroscience in Atlanta mussten Männer und Frauen pornographische Fotos betrachten. Die Männer haben den abgebildeten Frauen als erstes ins Gesicht geschaut. Muss die Kulturgeschichte der sexuellen Nachstellung neu geschrieben werden? Und schließlich eine Forschungsfrucht, die nur Hochnäsige für evident und damit überflüssig halten: Selbstzweifel machen unzufrieden.
Schlangen im Gebüsch
Diese und andere Erkenntnisse werden täglich über Presseagenturen in die Redaktionen gespült, auf Internetforen, mal ernst, mal frivol diskutiert und in Fachzeitschriften wie dem European Journal of Physics oder dem Mathematics Magazine und im Laborjournal im seriösen Ton der Wissenschaftler erörtert. Dass Selbstzweifel unzufrieden machen, hat der Heidelberger Psychologe Steve Ayan herausbekommen, und wenn man diese These mit aller gebotenen Plattheit auf die Umtriebe der Wissenschaft münzen möchte, könnte man sagen: Ein Teil jener Studien, die mit grotesken Ergebnissen aufwarten, sind unter Ausschaltung bestimmter Zweifel zustande gekommen.
Gerd Antes, der Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums am Institut für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik, kann eine erfrischende Schärfe in seine Stimme legen, wenn er den Gehalt bestimmter Erhebungen nachmessen soll. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass Frauen, die kurz vor dem Eisprung stehen, am besten geeignet sind, Schlangen in Gebüschen zu entdecken. Die Nachricht liest sich auf den ersten Blick erfreulich, denn immerhin löst sie das dringliche Problem, welche Frauen man vor Büsche stellen kann, in denen es vor Schlangen wimmelt, die man unbedingt einfangen sollte. Gerd Antes sieht sich allerdings in seiner Annahme bestätigt, dass viele Wissenschaftler ihre Daten wie in einem Mixer zusammenmanschen, um ein irgendwie originelles Ergebnis zu produzieren.
"Diese Studie ist absolut schrottig", sagt Antes. Ihr Ergebnis sei vermutlich dadurch zustande gekommen, dass ein Eimer Daten hergenommen und fröhlich zusammengemixt worden sei. "Die vielen Daten, welche der These entgegenlaufen, werden einfach unterschlagen." Schubladenproblem nennt Antes diese allzu gängige Praxis, unliebsame Daten oder Ergebnisse, welche die gewünschte These nicht belegen, zu verschweigen: "Das ist eine schamlose Verletzung von Wissenschaftsprinzipien", sagt Antes, und sie finde sich auch in ernst zu nehmenden Studien. Aber die stehen auf einem anderen Blatt.