Zwischen den Zahlen:Praise the Stream!

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Frühschoppen heißt jetzt "Day Drinking" und exzessiver Fernsehkonsum "Binge-Watching". So werden mittelmäßige Aktivitäten modern. Was eine klerikale Videoplattform damit zu tun hat? Eine kleine Namenskunde.

Von Janis Beenen

Leicht antiquierte und völlig mittelmäßige Freizeitaktivitäten kommen wieder in Mode. Grundlage des Erfolgs sind neue Namen und damit ein frisches Image. Frühschoppen zum Beispiel. Das klingt zunächst nach alten Herren, die sich am Sonntag das Dorfleben ein wenig schöner trinken. Junge Leute reden beim Bier vor Vier von "Day Drinking". Das klingt modern, urban, nach Longboards und Prenzlauer Berg. Ähnlich ist es beim Camping. Wenn die Nachbarn mit dem Bulli heimkehren, schwärmen sie vom "traumhaften Vanlife-Wochenende im Outdoor-Resort". Nichts erinnert an die quälend langsame Fahrt und die Parzellen des Campingplatzes, in denen sich die Vanlife-Nachbarn aufreihen wie Masthähnchen.

Fraglos gehört auch das sogenannte Binge-Watching, also eine Art Komaglotzen, in diese Aufzählung. Menschen, die früher noch vor dem Fernseher hingen, als im Ersten das Testbild flimmerte, sind heute cool. Sie gucken eine angesagte Serienfolge nach der anderen - natürlich nicht im linearen Fernsehen, sondern auf Streaming-Portalen. Alles für den Smalltalk im Büro: "Eigentlich wollte ich gestern um elf ins Bett, aber eine Folge musste ich mir einfach noch gönnen."

Mit marginaler Verspätung folgt nun ein Sender dem Trend, den die meisten wohl zwischen den Nummern 235 und 894 auf der Fernbedienung finden: Bibel TV startet den Streaming-Dienst Yesflix. Praise the Stream! Werteorientiertes Programm ohne die Darstellung von Sex und Gewalt verspricht der Sender. Für Fans der Fantasy-Erfolgsserie Game of Thrones ist das vielleicht nichts. Ohne Sex und Gewalt hätten sie in den vergangenen Wochen auf einen schwarzen Bildschirm gestarrt. Dafür haben Menschen, die den Freitagabend im dritten Programm mögen, mit Yesflix einen optimalen Anbieter gefunden. Ob der eine oder andere Teil des Alten Testaments durch den Vorsatz der Gewaltfreiheit von der Übertragung ausgeschlossen ist, wird sich noch zeigen müssen.

Doch es ist nicht die Zeit, kleinlich zu sein, wenn Glaube in der Moderne seinen Platz findet. Yesflix sollte dabei nur der Anfang sein. Folgerichtig wären nun der Lieferdienst Christirando und das Musikportal Klerify mit den schönsten Kirchengesängen der 80er und 90er und dem Besten von heute. Die Spitze der Charts ist sicher, bekanntlich kommt es nur auf den richtigen Namen an.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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