Im Jahr 2011 brach ein junger Hacker in die Online-Datenbank JStor ein, indem er das Computernetzwerk am Massachusetts Institute of Technology (MIT) austrickste. JStor ist ein Speicherplatz für Millionen wissenschaftlicher Artikel, Aufsätze und Quellen. JStor lässt sich das Lesen der Texte bezahlen, auch wenn die Autoren gar kein Geld mit ihren Artikeln machen wollen.
Dem jungen Hacker passte das nicht und so stahl er wohl bis zu 4,8 Millionen Artikel aus dem System. Er wollte sie nicht verkaufen, sondern frei zugänglich machen, und zwar weil er glaubte, auf diese Art eine bessere Welt zu schaffen. Eine, in der Wissen frei zugänglich ist auf dem günstigsten und schnellsten Weg für alle, die lernen wollen. Der Einbruch war also weniger ein profaner Diebstahl als ein politischer Akt.
Der junge Hacker hieß Aaron Swartz. Er nahm sich am vergangenen Freitag in New York City das Leben. Bereits vor seinem Einbruch bei JStor war Swartz eine Legende. Er hatte unter anderem eine Firma gegründet, die in Reddit aufging, dem berühmten Forum für Netzkultur. Er hatte als 14-Jähriger Programmierstandards definiert, die noch heute gelten . Und er arbeitete maßgeblich an der technischen Umsetzung der Creative-Commons-Lizenzen mit, ein System, das Urherberrechte im Netz auch für Privatpersonen einfach einsetzbar und verständlich macht.
Immer wieder stellte er zum Beispiel staatliche Dokumente, die amerikanische Bürger nur gegen Geld erhalten können, kostenlos ins Netz, um seine Vision einer freien Gesellschaft zu demonstrieren. Dabei gehörte Swartz zu den wenigen Hackern, die sich auf politischer Ebene für die digitale Gesellschaft einsetzen und er war umgekehrt ein Aktivist, der die technischen Grundlagen seiner eigenen Forderungen verstehen konnte. Er konnte beide Felder, Politik und Technik, miteinander verbinden und leitete seine Ideen stets aus dem Wissen um das technisch Mögliche ab.
Dabei fiel es dem Hacker manchmal schwer, sich verständlich zu machen. Ausgerechnet dem Kämpfer für freie Kommunikation fehlten hin und wieder die richtigen Worte. Weggefährten wie der Autor und Aktivist Cory Doctorow schreibt anlässlich seines Todes von einem brillanten jungen Denker, mit dem nicht immer leicht auszukommen gewesen sei. Swartz' Freunde bei der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation erinnern in ihrem Nachruf an seinen Wunsch, lieber Bücher zu lesen als mit Menschen zu reden.
Zwei Tage bevor Swartz starb, kündigte Jstor an, wesentlich mehr Dokumente als bislang kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen hatte - ebenso wie das MIT - von einer Klage gegen Swartz abgesehen. Allerdings hatte ein Staatsanwalt ungeachtet der Einigung zwischen JStor und Swartz das Verfahren vorangetrieben. Im Fall einer Verurteilung hätten dem Aktivisten bis zu 35 Jahre Gefängnis gedroht, vor allem deshalb, weil er bei seiner Tat einen Computer einsetzte.
Das entsprechende Gesetz gilt Bürgerrechtlern in den USA seit Jahren als unverhältnismäßig. In einem kurzen Statement bewertet seine Familie und seine Freundin seinen Tod auch als "Ergebnis eines Justizsystems der Einschüchterung ". Swartz selbst hatte außerdem bereits vor fünf Jahren über seine Krankheiten, darunter auch Depressionen geschrieben. Der Hacker wurde nur 26 Jahre alt.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung im Fall Swartz gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.
Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.