ZF Friedrichshafen:Vom Zahnrad zum Chip 

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ZF-Chef Wolf-Henning Scheider rechnet derzeit nicht mit Kurzarbeit in seinem Unternehmen. (Foto: Felix Kaestle/ZF)

Konzernchef Scheider will den Wandel ohne Jobabbau stemmen, prophezeit aber Probleme für Mittelständler.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Wolf-Henning Scheider spricht von einer "ausgesprochen anspruchsvollen" Situation. Die Umstände seien "so schwierig wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg". Der 57-Jährige ist seit 2018 Vorstandschef des Autozulieferers ZF Friedrichshafen, vorher war er für die Stuttgarter Wettbewerber Mahle und Bosch tätig. Im Wirtschaftspresseclub Stuttgart gibt Scheider zwei Stunden lang einen tiefen Einblick in die derzeit sehr angespannte Lage der Automobilindustrie, dabei verkündet er sowohl schlechte als auch gute Nachrichten.

Vor allem räumt er mit einer Annahme auf, die unter Experten bislang als Konsens gilt: Der Umstieg vom Verbrennermotor zum Elektroantrieb werde viele Arbeitsplätze in Deutschland kosten, heißt es stets. Manche Studien sprechen davon, dass für den Bau eines Stromautos viel weniger Personal nötig sei als bei Benzin- oder Diesel-Modellen. "Von solchen Aussagen halte ich wenig", sagt Scheider. Die negativen Hochrechnungen gingen nur auf, wenn man ausschließlich die Leistungselektronik und den E-Motor sehe. "Aber wenn man das Gesamtfahrzeug betrachtet, wird die Wertschöpfung nicht geringer sein", sagt Scheider. "Die Herstellung von Elektroantrieben mit Batterien ist nicht weniger aufwendig als ein Verbrennermotor." Allein das ganze Batteriesystem bringe eine "riesige Wertschöpfung" in die Industrie.

Der Elektromotor sei zwar tatsächlich weniger komplex als ein Diesel-Aggregat. Aber dies könne "arbeitskräftemäßig" kompensiert werden mit anderen Komponenten - vor allem im "Software- und Elektronik-Bereich" sowie bei "Batteriemodulen und Batteriemontage". Unter dem Strich werde die Zahl der Jobs also stabil bleiben, weil in jedem Fahrzeug der Anteil an Elektronik zunehme. Scheider spricht von teuren "Super-Computern", die künftig in jedes Auto verbaut würden.

"Die Kompetenzen verlagern sich dramatisch."

Die Herausforderung für den Arbeitsmarkt in Deutschland wird demnach nicht der Wegfall von Jobs sein, sondern der Wandel von Schwerindustrie (Motoren zeichnen und gießen) hin zu Hightech (Mikrochips entwickeln und herstellen). "Die Kompetenzen verlagern sich dramatisch", prophezeit Scheider. Für breit aufgestellte Konzerne wie ZF sei das "eine beherrschbare Herausforderung". Nicht zuletzt, weil ZF selbst einen derartigen Super-Computer im Angebot habe. Aber so manchen traditionsreichen Mittelständler sieht er durchaus in Gefahr: "Es gibt sicherlich kleine Zulieferer, die werden sich sehr schwertun. Viele Unternehmen werden diesen Weg nicht schaffen."

ZF gilt als drittgrößter Autozulieferer Deutschlands hinter Bosch und Continental. Während die zwei führenden Unternehmen angesichts der bevorstehenden Konjunkturschwäche und des Wandels im Autobau zuletzt massiven Stellenabbau angekündigt haben, will ZF zunächst ohne derartige Einschnitte auskommen. Bisher sind folgende Sparmaßnahmen beschlossen: Vor den Weihnachtsferien werden an diversen Standorten die Schließtage um vier Tage verlängert. Zum Jahreswechsel verzichten die Führungskräfte auf Gehaltssteigerungen, und bei einigen Tausend Mitarbeitern wurden die Verträge um einige Arbeitsstunden gekürzt. Bislang geht Scheider davon aus, dass er keine Kurzarbeit anmelden muss. Aber mittelfristig sei das nicht auszuschließen: "Das hängt davon ab, wie 2020 losläuft."

ZF beschäftigt derzeit 150 000 Mitarbeiter, davon 50 000 in Deutschland. Diese Zahlen würden bis Ende 2020 stabil bleiben, kündigt Scheider an. Dies mit einem weiteren Wandel weg von der "Zahnradfabrik", für die das Kürzel ZF steht, hin zum Elektronikanbieter. Wie weit dieser Wandel bereits fortgeschritten ist, zeigt ZF mit seinen autonomen Stadt-Kleinbussen. In Rotterdam, Abu Dhabi und Singapur sind die Shuttles des zugekauften niederländischen Unternehmens 2getthere schon unterwegs. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen lässt ZF seine Wagen - in Kooperation mit der Verwaltung - auf eigenen Fahrspuren verkehren. Das vereinfacht die Technik, ein Ingenieur kontrolliert via Video sechs Fahrzeuge gleichzeitig.

Daimler und Bosch dagegen haben in San José in den USA nun gemeinsam ihren autonomen Mitfahrservice im normalen Straßenverkehr gestartet, dort muss zur Sicherheit in jedem Auto ein Fahrer sitzen. ZF-Chef Scheider berichtet von einer zweistelligen Zahl von Projekten aus Deutschland, Europa, USA und dem Nahen Osten. Es könnten sogar mehr sein, doch der Konzern komme der Nachfrage nicht hinterher.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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