WTO:Stichtag

Toy Factories In China Face Slowdown

Einblicke in die Werkbank der Welt: Puppenköpfe in einer Spielzeugfabrik im chinesischen Xietang.

(Foto: Kevin Frayer/Getty Images)

Die EU hat einen Plan, wie sie künftig mit chinesischem Dumping umgehen möchte. Das Problem: Eine qualifizierte Mehrheit muss her, und Peking bearbeitet gezielt EU-Mitgliedsstaaten.

Von Christoph Giesen und Alexander Mühlauer, Peking/Brüssel

Der 11. Dezember, das ist der Stichtag, das Datum, auf den die Zeitungen in China hinschreiben. Das Datum, mit dem Peking Politik macht. An diesem Sonntag, eben jenem 11. Dezember, jährt sich der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) zum 15. Mal und das ist wichtig für die Führung in Peking. Denn: Im Beitrittsprotokoll heißt es im Artikel 15, dass die bisherigen Anti-Dumping-Schutzmaßnahmen nach spätestens 15 Jahren abgebaut sein müssen. Die Volksrepublik muss dann von allen anderen WTO-Mitgliedern als Marktwirtschaft behandelt werden, genauso wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten oder Japan.

Für China hätte das den großen Vorteil, dass Staatsunternehmen ihre gewaltigen Überkapazitäten etwa bei Stahl, Aluminium oder Zement in der Europäischen Union abladen könnten, ohne gleich ein Strafverfahren fürchten zu müssen.

In Brüssel sieht man dem Stichtag jedoch eher gelassen entgegen. Die EU hat sich nämlich einen Trick einfallen lassen, wie sie Chinas Begehren aushebeln kann. Denn eines ist ganz klar: Die Europäer wollen ihre Industrie auch künftig mit aller Macht vor einer Flut chinesischer Billigprodukte schützen. Die EU-Kommission hat zu diesem Zweck im November einen Vorschlag gemacht, über den zurzeit die Mitgliedsstaaten beraten. Demnach soll es für die Verhängung von Strafzöllen nicht mehr entscheidend sein, ob ein Staat von der WTO als Marktwirtschaft eingestuft wird, sondern ob ein Land Preise durch staatliche Eingriffe verzerrt. Die Frage, ob ein Land als Marktwirtschaft eingestuft wird oder nicht, soll also künftig gar keine Rolle mehr spielen.

Damit das nicht nach einer "Lex Peking" aussieht, sollen die neuen Regeln für alle WTO-Mitglieder gelten. Die bisherige Liste mit Ländern, die als nicht marktwirtschaftlich gebrandmarkt wurden, soll de facto abgeschafft werden. Die Kommission verkauft ihre Reform natürlich so, dass sie vorgibt, nun alle Handelspartner gleich zu behandeln. Harte Anti-Dumping-Schritte sollen immer dann möglich sein, wenn ein Staat die direkte Kontrolle über ein Unternehmen hat, die Preise oder Herstellungskosten beeinflusst oder heimische Firmen bevorzugt behandelt.

Bedeutend ist die Frage, wie sich Großbritannien gegenüber China positioniert

Jetzt geht es darum, ob diese Regeln von den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament angenommen werden. In einer ersten Ratsdebatte konnte noch keine qualifizierte Mehrheit dafür gefunden werden. Doch diese ist notwendig, um die Veränderungen zu beschließen. Besonders bedeutend ist dabei die Frage, wie sich Großbritannien positioniert. Vor einem Jahr erzielten Pekings Kader beim Staatsbesuch von Parteichef Xi Jinping in Großbritannien einen Erfolg. Die damalige Regierung um David Cameron versicherte schriftlich die britische Unterstützung für den Marktwirtschaftsstatus. Auch die Tschechen und Ungarn haben Chinas Höflingen ähnliche Garantien gegeben. In Großbritannien kam dann allerdings das Brexit-Votum dazuwischen, seitdem ist die Lage unübersichtlich, was aus der fest eingeplanten Amtshilfe aus London wird. Die Briten sind schließlich auf dem Weg raus aus der EU.

Momentan zeichnet sich aber ab, dass die Briten an ihrer Unterstützung festhalten. Der Grund: Nach dem Ausscheiden aus der EU wird London in Windeseile Dutzende neue Handelsverträge abschließen müssen, eines der wichtigsten Abkommen dürfte das britisch-chinesische Dokument sein. Kein Wunder, dass die Briten ein Interesse daran haben, es sich mit China als Handelspartner nicht zu verscherzen. Von den anderen Mitgliedsstaaten wird die abwartende Taktik der Briten jedoch mit Argwohn beobachtet.

Spätestens im März, wenn London wie angekündigt die offizielle Austrittsnotifizierung in Brüssel einreichen sollte, werden die Briten von den restlichen EU-Mitgliedern am Verhandlungstisch nur eines hören: Ihr wollt raus, also habt ihr auch nichts mehr mitzubestimmen. Ganz so einfach wird das natürlich nicht, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Regierung in London stets an die Zeit nach dem Brexit denkt. Besonders stark zeigt sich das in der Steuer- und Handelspolitik.

Doch was passiert, wenn ab Sonntag die EU-Kommission versucht, ein Anti-Dumping-Verfahren etwa gegen einen chinesischen Stahlhersteller anzustrengen, weil dieser mal wieder deutlich unter Preis verkauft? Das wahrscheinlichste Szenario: Die EU wird nach altbewährtem Muster vorgehen. Kurzer Prozess, Strafzoll. Peking , so die Erwartung in Brüssel, wird daraufhin das WTO-Schiedsgericht anrufen und unter Verweis auf Artikel 15 darum bitten, den Fall klären lassen. Juristisch, das weiß man in Brüssel, hat die EU kaum eine Chance, stattdessen setzt man auf den Faktor Zeit. Bis ein Urteil vorliegt, könnten gut und gerne zwei Jahre vergehen. Genug Zeit, eine gemeinsame Regelung zu finden.

Die Europäer haben noch einen weiteren Vorteil, den sie für sich genommen zwar nicht als einen solchen betrachten, aber in der Auseinandersetzung mit der Volksrepublik dürfte er hilfreich sein. Die Trumpfkarte heißt Trump. Der designierte US-Präsident gilt nicht nur in Handelsfragen als unberechenbar. "Wir müssen Trump überzeugen, dass er nicht unilateral agieren darf", sagt ein EU-Diplomat. "Wir Europäer haben mit den USA ein gemeinsames Interesse: China darf nicht zu stark werden."

Wenig hassen die Genossen in Peking mehr als Unsicherheit, und dafür steht dieser Donald Trump. Ein eventuell von ihm losgetretener Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten und dann auch noch womöglich zeitgleich ein schwerer Disput mit den Europäern? Das wird sich Peking nicht antun. Strafmaßnahmen könnte es allerdings geben. Eine verschleppte Importgenehmigung für EU-Unternehmen hier. Eine nicht nachvollziehbare Entscheidung eines chinesischen Gerichts dort. Und natürlich Dauerbeschallung in den staatlich kontrollierten Medien, die den 11. Dezember schon jetzt zum "Tag der Gerechtigkeit" ausgerufen haben.

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