Wohnungsbau:Eine Stadt für Sansibar

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Auf der Insel vor Ostafrika bauen deutsche Ingenieure Häuser und Wohnungen für 20 000 Menschen. Das Projekt wird von privaten Investoren finanziert, ganz ohne Entwicklungshilfe. Es könnte ein Modell für den ganzen Kontinent sein.

Von Andrea Tapper

Autoreifen quietschen, ein Jeep kommt mitten im Kreisverkehr zum Stehen, heraus springen drei junge Männer in Badehosen, mit Sand an den Füßen. "Hey Said", rufen sie dem Kioskverkäufer zu, "gib uns bitte Säfte, Cola und ein paar Bier. Daddy kommt später zum Zahlen." Seine Kunden lassen gerne anschreiben, sagt Said schmunzelnd und schiebt die Getränke über den Holztresen. Sein Büdchen "Kwetu Kwenu", Swahili für "Meins ist deins", und der noch kaum befahrene Kreisverkehr bilden den sozialen Mittelpunkt von Fumba Town, eine Stadt vom Reißbrett am Indischen Ozean.

Vor ein paar Monaten hielt die weltberühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall just hier bei Mondschein - und begleitet von einem veganen Afro-Buffet - einen Vortrag über Affen, Menschen und die Zukunft grüner Städte. Hunderte lauschten der 85-jährigen Wissenschaftlerin, die meisten hatten es sich auf einem improvisierten Matratzenlager aus recycelten Stoffresten bequem gemacht. Ungewöhnliche Auftritte, kreative Lösungen, so könnte man auch die Eigenschaften von Fumba Town beschreiben, der ersten Öko-City Ostafrikas, ein Vorbild möglicherweise für den ganzen Kontinent. Auf der Halbinsel Fumba auf Sansibar vor der Küste Ostafrikas, etwa 20 Autominuten südlich von Hauptstadt und Flughafen, entstehen derzeit 3000 Wohneinheiten für etwa 20 000 Menschen, in bester Lage, auf 150 Hektar direkt am Meer. Die ersten 500 Einheiten - weiße Familienreihenhäuser und Apartments - sind verkauft und gebaut, die ersten hundert Bewohner eingezogen. "Hier kann sich jeder Meerblick leisten", sagt der einheimische Ingenieur Arif El Mauly. "Wir lieben es", sagen Nasser und Ruqqi Al Maqbaly, die zu den ersten Käufern gehören und aus Muskat im Oman zurück in ihre alte Heimat gezogen sind: "Es tut gut, wieder zu Hause zu sein."

"Hier kann sich jeder Meerblick leisten", sagt der einheimische Ingenieur

Studio-Apartments gibt es ab 18 000 Euro, ein 65-Quadratmeter-Reihenhaus mit drei Schlafzimmern im Ikea-Look kostet etwa 50 000 Euro - selbst für Afrika in vergleichbarer Lage laut "Global Property Guide" ein Schnäppchen; im benachbarten Kenia werden für solche Immobilien etwa ab 1600 Euro pro Quadratmeter, in Kapstadt gar 3800 Euro aufgerufen. "Die Menge macht's", erklärt Projektentwickler Sebastian Dietzold den günstigen Preis. Dem Baustart schickte er eine Facebook-Umfrage unter tansanischen Jugendlichen voraus, und deren Prioritäten wurden zur Richtschnur für das Projekt.

Viel Grün, viel Freiraum, das wünschen sich die Menschen auf Sansibar. Das ergab eine kleine Umfrage der Öko-City-Planer unter jungen Menschen. (Foto: CPS)

Die Macher der Musterstadt stammen aus Leipzig, allen voran Bauingenieur Sebastian Dietzold, 43, und seine Frau Katrin, die für die Finanzen zuständig ist, sowie der jüngere Bruder Tobias Dietzold, ein Elektroingenieur. Nach der Wende als Missionarskinder an den Hängen des Kilimandscharo groß geworden, lernten die Brüder nicht nur Swahili, sondern auch die Probleme des Landes kennen. "Erschwinglicher urbaner Wohnraum ist weltweit ein Problem", sagt Sebastian Dietzold, "aber in Afrika ist die Krise besonders existenziell. Hier stehen Mütter nachts um drei Uhr auf, um zu weit entfernten Arbeitsstätten zu gelangen." Sein 120-Millionen-Euro-Projekt auf Sansibar wird von der Regierung unterstützt, aber durch Privatinvestoren finanziert - ohne Entwicklungshilfe. Für Dietzold "der einzig richtige Weg, denn: Entwicklung muss wirtschaftlich sein, um sie kopierbar zu machen."

"Ein Leben ohne Gitter vor den Fenstern, ohne Abfallhaufen vor der Tür, mit Trinkwasser aus der Leitung", verspricht der Bauingenieur Besuchern, wenn er sie über die Großbaustelle führt. "Eine Stadt mit perfekter Infrastruktur, mit Biotonnen und 94 Prozent Abfallrecycling, mit Wasseraufbereitung, Sportplätzen und Schulen." Ein Vorgarten mit Tropenbaum vor jedem Haus dient als Regendrainage zur Erhaltung des Grundwasserspiegels. Mit tonnenweise selbst erzeugtem Erdreich und Begrünung nach Permakultur-Prinzipien bereiteten Chefgärtner Franko Göhse und seine Frau Bernadette sprichwörtlich den Boden für die neue Ansiedlung. "Zunächst einmal haben wir nur Pappe ausgelegt und eine Regenzeit abgewartet", sagt der 49-Jährige, der ebenfalls aus Leipzig stammt und als Gourmetkoch einer Safari-Lodge nach Afrika kam.

Ein halbes Jahr gab es keinen Bausand, ein Jahr lang lagen die Fenster im Hafen fest

"Nur Strom ist bei uns noch nicht öko", räumt Tobias Dietzold ein. Es fehle "ein rentables Angebot für die Speicherung von Solarenergie", erklärt er; auch die Einspeisung ins Netz sei in Tansania bisher nicht gesetzlich geregelt. Gebaut wird die Zukunftsstadt im Busch in erster Linie für den afrikanischen Mittelstand, denn gerade der wächst schnell, in Tansania soll er laut Weltbank in zwanzig Jahren 28 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Allein im Einzugsgebiet der Hauptstadt der boomenden Ferieninsel, die mit 1,3 Millionen Einwohnern halb so groß ist wie Mallorca, fehlt in den nächsten zehn Jahren Wohnraum für 600 000 Menschen.

Es geht aufwärts: Die Zukunftsstadt im Busch wird in erster Linie für den afrikanischen Mittelstand gebaut. (Foto: CPS)

Die Fumba-Hauskäufer kommen nicht nur aus Sansibar, sondern auch aus Oman und Dubai, aus Europa. Die Historie Sansibars erklärt das Kundenprofil: Viele Einheimische flohen 1964, als Tanganjika und das damals omanische Sultanat Sansibar zum sozialistischen Tansania zwangsvereinigt wurden. Während Stone Town, die Altstadt mit ihren historischen Sultanspalästen, seit 2000 Weltkulturerbe, zerfiel und neuerdings - ähnlich wie auf Kuba - revitalisiert wird, leben bis heute Tausende Menschen in von DDR-Staatschef Walter Ulbricht gespendeten, arg verwitterten Plattenbauten. Luxushotels sind in der Pipeline, aber neue Wohnraumprojekte für Einheimische gibt es kaum.

"Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, grün zu bauen", betonen die Brüder Dietzold. 199 Millionen Afrikaner südlich der Sahara hausen in Slums: "Durch Wohnraum Wohlstand schaffen", nennt die UN-Organisation Habitat als Lösung für Afrikas Armenviertel. Die Macher in Fumba sehen das ähnlich, schaffen Arbeitsplätze in der Region. Eine geplante Bus-Shuttle-Linie zwischen der Hauptstadt und Fumba organisieren etwa Kleinunternehmer des benachbarten Dorfs Nyamanzi. Jeder ausländische (Fach)-Gastarbeiter bildet mindestens zehn einheimische Maurer, Schreiner oder Gärtner aus, darunter viele Frauen. 180 junge Permakulturisten, die nachhaltig anbauen und recyclen, wurden bereits geschult.

Zur Ökostadt gehört auch eine Farm. (Foto: CPS)

Was die Planung der Stadt angehe, "haben wir gelernt, auf unsere Zielgruppe zu hören", sagen die Brüder Dietzold. "Zu eng gesetzt", fanden manch muslimische Interessenten die Reihenhäuser, zeigten Luft nach oben bei Preis und Ausstattung. Für sie werden jetzt teurere "Bustani"-Villen mit Glasfronten ab 180 000 Euro integriert. Die Stadt wird durchmischter. Gewollter Nebeneffekt: Die kostspieligeren Häuser finanzieren die Infrastruktur der anderen mit.

Vergleichbare Projekte sind in Afrika rar. In Marokko tüfteln Planer seit 13 Jahren an einer Hochhaus-Vorstadt für Casablanca mit Fahrradspuren und klimafreundlichen Bussen. Doch "Zenata", wie das ambitionierte Vorhaben heißt, kommt aus der Planungsphase nicht heraus.

Sonnenuntergang in Fumba, wie im Schnelldurchlauf plumpst die Sonne sechs Grad südlich des Äquators in den Indischen Ozean, 365 Tage im Jahr kurz vor 19 Uhr. Goldenes Abendlicht bescheint die Terrassen von Bungalows, vor denen Kinderroller stehen, während zwei Stichstraßen weiter noch Land vermessen wird und die Gerippe vierstöckiger Apartmenthäuser auf Fenster warten. Zu den Problemen des 2015 gestarteten Projekts gehören Lieferverzögerungen: Ein halbes Jahr gab es keinen Bausand; ein Jahr lagen Fenster im chaotischen Hafen von Sansibar fest. "Alles lokal zu produzieren muss unser Ziel sein", sagt Tobias Dietzold. Dazu passt das Angebot einer örtlichen Farm, die neuerdings einen wöchentlichen "Green Basket" mit Spinat, Süßkartoffeln und saisonalem Obst für umgerechnet vier Euro zusammen stellt. Abgeholt werden kann der Lieferservice in Saids Büdchen. Nur Anschreiben läuft dabei nicht.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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