Woche der Krokodilstränen:Tristesse im Nerz

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Neue deutsche Weinerlichkeit: In einer sonderbaren Woche der Krokodilstränen weinen Milliardäre, Millionäre und Regierungschefs.

Kurt Kister

Fast muss man Ferdinand Piëch dankbar sein. Er entspricht zwar vielen Klischees, die sich zum Bild des klassischen Erb-Kapitalisten formen. Aber wenigstens weint er nicht in der Öffentlichkeit. Das und die Tatsache, dass er sich am Ende erfolgreich durchsetzt, unterscheidet ihn von Wolfgang Porsche, Wendelin Wiedeking und Madeleine Schickedanz.

Von der Rührung über das eigene Schicksal übermannt: Der Milliardär Wolfgang Porsche wischt sich Tränen aus den Augen. (Foto: Foto: dpa)

Die Woche der Krokodilstränen begann mit den Verarmungsphantasien der aus dem Milliardärsstand abgestürzten Quelle-Eignerin. Sie setzte sich fort in Kiel, wo Ministerpräsident Carstensen öffentlich schrecklich leiden musste, als er seine SPD-Minister hinauswarf. Nähme man Carstensen beim Wort, was man tunlichst vermeiden sollte, dann hatte er zu den SPD-Leuten im Kabinett größeres Vertrauen als zu sich selbst. Jedenfalls litt er überhaupt nicht darunter, dass nur ein einziger CDU-Abgeordneter ihm im Landtag das Vertrauen ausgesprochen hat.

Natürlich weinte auch die SPD in Gestalt der einen oder anderen Ministerin, die, wie das eben so ist, nach der Aufkündigung der Koalition entlassen wurde.

Geben, was zu geben ist

Den Höhepunkt fand die neue deutsche Weinerlichkeit auf der Betriebsversammlung von Porsche. Eigentlich ist das eine Firma, in der harte Männer hartgefederte Autos für die oberen zwei Prozent der Einkommenspyramide bauen.

Trotzdem: Als man zu verkünden hatte, dass VW nun Porsche als Schwesterchen von Skoda und Seat zwangsadoptieren wird, greinte Wolfgang von der namensgebenden Sippe ebenso wie Wiedeking, der im vergangenen Jahr fast 100 Millionen verdient hat, weil die Firma kurzfristig erfolgreich auf dem Finanzmarkt spekulierte. Porsche steht heute hoch verschuldet da, Wiedeking dagegen ist noch reicher als vorher.

Es ist relativ müßig, darüber nachzudenken, ob Wiedeking nun ein guter, gar ein besserer Mensch ist, weil er seine Abfindung zum Teil spendet und zum Teil als Steuern berappt.

Nach allem, was man weiß, ist er ein ehrlicher Mensch, der anders als Zumwinkel & Co. dem deutschen Staat auch gibt, was er zu geben hat. Und Wiedeking ist auch ein großer Stifter, was zu belobigen ist. Aber er war genauso stets ein maximal Selbstgerechter, der von der Höhe eines Rosses mit Drei-Meter-Stelzen aus über Politiker, Managerkollegen und natürlich Journalisten urteilte. Dass er jetzt anderthalb Millionen aus seiner Abfindung an Hilfswerke für notleidende Journalisten gibt, ist löblich.

Goldener Stinkefinger

Es entspricht aber auch seiner Art, jener Branche, von der er sich mutwillig missverstanden, gelegentlich auch verfolgt glaubte, auf diese Weise den goldenen Stinkefinger zu zeigen.

Was aber treibt die Damen Schaeffler und Schickedanz, die Herren Porsche und Carstensen zu der nun gepflegten Form des emotionalen Exhibitionismus? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu viel Trash-Talk im Zappelfernsehen sehen, wo sich dicke, tätowierte Menschen anschreien und anweinen, ist gering. Das macht man nicht in diesen Kreisen, jedenfalls nicht öffentlich.

Und gerade die Herren im teuren Tuch sind vor Mikrofonen gerne überlegen einsilbig nach dem Motto: Wir wissen schon, was wir tun, und andere brauchen das nicht zu wissen.

Worüber also sind die exponierten Tränentiere zwischen Neckar und Förde so traurig, dass sie vor aller Augen weinen müssen? Es kann nicht einmal um die Bitterkeit der Niederlage an sich gehen. In der Causa Porsche etwa haben zwar etliche irgendwie verloren, aber finanziell haben doch fast alle derer, die schon vermögend waren, noch einmal profitiert.

Nein, es geht um etwas anderes. Die Lebenserfahrung legt nahe, dass Porsche, Wiedeking und wohl auch Carstensen in ihrem unterschiedlich gelagerten Schmerz doch in erster Linie von der Rührung über ihr eigenes Schicksal übermannt wurden. Sie sind traurig darüber, dass sie so traurig sein müssen, und dass niemand sonst diese gewaltige Belastung verspürt oder versteht. Morbus Schaeffler war es, die Tristesse im Nerz.

© SZ vom 25.07.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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