Wirtschaftsweise:Manchmal heiter, meistens wolkig

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Die bisherigen Wirtschaftsweisen bei der Vorstellung ihres Jahresberichts Anfang November in Berlin. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die Wirtschaftsweisen betonen öffentlich ihre Harmonie. Inhaltlich fliegen die Fetzen, vor allem weil die künftige EZB-Direktorin Isabel Schnabel neue Ideen entwickelt.

Von Michael Bauchmüller und Alexander Hagelüken, Berlin/München

So ein bisschen Dissens wird ja wohl noch erlaubt sein unter Ökonomen. "Wir streiten in der Sache immer", sagt Christoph Schmidt, der Chef des Sachverständigenrats der Bundesregierung. "Aber wir können Inhalte und Persönliches sehr gut trennen." Ein Zerwürfnis müsse man da nicht befürchten. Schmidt ist einer von vier dunkel gekleideten Herren, dazwischen die Finanzökonomin Isabel Schnabel, in rot. Gemeinsam stellen sie ein Gutachten vor, in dem sie diesmal bei nur zwei von sechs Kapiteln einer Meinung sind. Mal hat der Duisburger Ökonom Achim Truger allein eine abweichende Meinung präsentiert, mal zusammen mit Isabel Schnabel. "Es muss auch möglich sein, dass man unterschiedlicher Meinung ist", sagt Schnabel. "Ich sehe das eher als Stärke und nicht als Schwäche."

Am Mittwoch sind die fünf bemüht, öffentlich auch das Harmonische herauszustellen, nachdem es intern ordentlich gescheppert hatte. Bei der konjunkturellen Diagnose etwa sei man einig, sagt Truger: Das Wachstum bleibt schwach. Konsens gebe es auch bei der Frage, dass es noch kein Konjunkturpaket brauche. Aber die Regierung müsse vorbereitet sein, um schnell reagieren zu können. Und da fangen die Differenzen schon an.

Denn konkrete Ideen für ein Konjunkturpaket formulieren nicht die drei Weisen Schmidt, Lars Feld und Volker Wieland - sondern nur Schnabel und Truger. Sie denken etwa an einen Kinderbonus. Oder daran, den Soli für die Mehrheit der Bürger schon früher abzuschaffen. Aber eben nur für die Mehrheit, nicht für die Topverdiener. Die eher marktliberale Mehrheit dagegen will den Soli für alle abschaffen, auch für die zehn Prozent Topverdiener. Schnabel und Truger halten dagegen: Weil Topverdiener nur einen geringeren Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben, bringe eine Abschaffung bei ihnen für die Konjunktur wenig. Dauerhafte Steuersenkungen hätten aber Risiken für den Haushalt, weil der Staat vielleicht andere Steuern erhöhen oder Ausgaben senken müsse.

"Es gibt zwei Lesarten", sagt Truger. Eine traditionell ordnungspolitische, nach der man strukturellen Problemen mit Strukturreformen begegnen müsse, etwa Steuersenkungen, Deregulierungen oder Sozialabbau. Die andere Lesart sei, das der Staat bei der Lösung helfen müsse, etwa durch Forschung, Bildung, Infrastruktur, öffentliche Investitionen - also viel Geld. "Da sehen wir den Bedarf, dass dann dieser Teil kreditfinanziert sein sollte."

Das beschreibt ziemlich genau die unterschiedlichen Sichtweisen der Sachverständigen - und warum sich der Streit auch an der Zukunft der Schuldenbremse entzündete. Der Frankfurter Geldpolitiker Volker Wieland nennt es Minuten später einen "Mythos", dass in Deutschland zu wenig investiert wird. Für eine Lockerung der Schuldenbremse bestehe "gar keine Notwendigkeit", es gefährde sogar die Glaubwürdigkeit.

So geht es hin und her. Dass Schnabel und Truger dabei eine Allianz bilden, ist durchaus bemerkenswert. Als die Gewerkschaften Truger 2018 als Nachfolger von Peter Bofinger nominierten, äußerte neben Lars Feld auch Schnabel öffentlich Zweifel an seiner Qualifikation - wegen der Zahl seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Inhaltlich liegen die beiden nun allerdings öfter auf einer Linie. Obwohl Schnabel zuvor selbst meist marktliberal argumentierte.

Kritiker streuen, Schnabels Sinneswandel hänge wohl mit ihrem baldigen Wechsel als Direktorin zur Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen - schließlich fordert die neue EZB-Chefin Christine Lagarde seit Jahren, Deutschland solle mehr investieren. Doch in Wahrheit hat Schnabel schon früher begonnen, ihre Position offener zu gestalten. Im Gutachten 2018 verdammte die marktliberale Mehrheit Ideen für ein eigenes Budget der Eurozone, um etwa konjunkturelle Schocks abzufedern. Schnabel dagegen äußerte vorsichtige Sympathien. Dass sie sich dieses Jahr für ein Konjunkturpaket aufgeschlossen zeigt, passt dazu.

Es gibt eine Reihe von Themen, bei dennen die fünf Weisen durchaus einig sind. Etwa in der Klimapolitik. Der Einstiegspreis von zehn Euro je Tonne Kohlendioxid, auf den sich die Regierung schließlich geeinigt hat, sei zu niedrig. "Wir hatten für den CO₂-Preis schon die Rolle des Hauptdarstellers vorgesehen, nicht die eines charmanten Nebendarstellers", sagt Schmidt. Auch bei der Industriepolitik liegen die Ökonomen auf einer Linie. Diese könne Innovationen und damit Wettbewerbsfähigkeit vorantreiben - einerseits. Durch Lobbygruppen aber könne sie "dazu missbraucht werden, alte Strukturen zu konservieren und den Strukturwandel aufzuhalten". Dieser Wandel von industriellen zu wissensbasierten Volkswirtschaften, der im Zentrum des Berichts steht, fordere Deutschland massiv heraus.

Unterschiedlich sehen die Weisen die Ungleichheit in Deutschland. Eine Vierer-Mehrheit argumentiert, dass die Einkommensverteilung in den vergangenen 15 Jahren weitgehend stabil geblieben sei. Das "ausgeprägte Steuer-Transfer-System" reduziere die Unterschiede zwischen Arm und Reich deutlich. Achim Truger hält dagegen, 2005 sei der falsche Vergleichspunkt, weil die Ungleichheit in den Jahren davor massiv zugenommen habe. Truger denkt an höhere Steuern für Reichere, wie er schon zuvor angekündigt hatte: "Der Spitzensteuersatz kann um ein paar Prozentpunkte steigen, ohne dass es ökonomisch Probleme bereitet".

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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