Wirtschaftspolitik:Hilfe, der Staat

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In Zeiten der Finanzkrise kann die Politik nicht anders - sie muss aktiv steuern. Sonst sollte sie es besser lassen.

Marc Beise

Die Deutschen sind ein wundersames Volk, besonders in Wirtschaftsfragen. Deutlich zeigt sich das in der gegenwärtigen Finanzkrise. Nicht nur dass sich immer mehr Menschen ohne gesicherte Datenbasis in Untergangsszenarien ergehen darüber, wie schlimm es mit den Finanzen, der Konjunktur und der Wirtschaft insgesamt bestimmt noch werde - sie opfern auch gleich ihre wirtschaftspolitischen Überzeugungen. Binnen weniger Monate ist die Soziale Marktwirtschaft, auf die man in Abgrenzung zum marktradikalen US-System immer so stolz war, zum Auslaufmodell erklärt worden. Vom Dreiklang genießt nur noch das Wort "Sozial" Zustimmung. "Wirtschaft" ist zum Angstbegriff geworden und "Markt" sogar ein Unwort.

Betroffene Gesichter: Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück verkünden in Berlin das Rettungspaket für den angeschlagenen Immobilienversicherer Hypo Real Estate. (Foto: Foto: dpa)

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass in den neunziger Jahren das ganze Ausmaß der planwirtschaftlichen Misere im Osten offenbar wurde und damit die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems. Aber rasch wuchsen die Zweifel am System, als im Zuge der Globalisierung auch andere Wettbewerber ihren Platz begehrten und der deutsche Wohlstand eben nicht mehr so einfach auf Kosten der restlichen Welt verdient werden konnte.

Heute, da es in der Finanzwirtschaft zu einer schweren Krise gekommen ist, wollen die Deutschen nicht etwa nur die Probleme dort beseitigt wissen, sondern ihr freiheitliches System gleich mit preis geben. Neidvoll gucken sie auf Frankreich, wo sich ein konservativer Präsident als Super-Macher präsentiert und per ordre d'Elysee gleich alles regeln will, was nicht wie gewünscht funktioniert. Die von Nicolas Sarkozy vorgeschlagene Teilverstaatlichung wichtiger Konzerne findet in Deutschland einer Umfrage zufolge breite Unterstützung.

Sehnsucht nach dem Regulator

Dass die Finanzwirtschaft gestützt und notfalls verstaatlicht werden soll, wird schon gar nicht mehr diskutiert; das versteht sich ja längst von selbst. Aber auch für die Beteiligung des Staats an der Strom- und Gaswirtschaft gibt es große Zustimmung, so die im Magazin Stern veröffentlichte Umfrage des Forsa-Instituts. Danach hielten 77 Prozent der Deutschen einen solchen Schritt für gut. Selbst im gegenüber staatlichen Eingriffen traditionell skeptischen bürgerlichen Lager ist die Mehrheit deutlich: 73 Prozent der Unions- und 70 Prozent der FDP-Anhänger befürworteten eine Teilverstaatlichung der Energiekonzerne. Die größte Mehrheit findet sich, das ist schon weniger überraschend, mit 84 Prozent bei den Grünen.

Und weiter: Auch eine Staatsbeteiligung an Fluggesellschaften, Bahn und Post findet der Umfrage zufolge bei einer Mehrheit eine Zustimmung von 60 Prozent. Die Anhänger von SPD, Grünen und Linkspartei wollten zudem die Chemie- und Pharmabranche mehrheitlich unter die Fittiche des Staats bringen - warum nicht auch gleich noch das Gesundheitssystem inklusive aller Ärzte und Apotheker? Die Umfrage deckt sich mit der gefühlten Stimmung im Land, die sich bei zahlreichen Veranstaltungen, in Meinungsbeiträgen und in anderen Umfragen messen lässt.

Allmachtsphantasien

Hinter solchen Forderungen steckt ein schreckliches Missverständnis: Dass nämlich die Marktwirtschaft eine Schönwetterveranstaltung sei. Nur dort, wo es nicht darauf ankommt, dürfe der Staat sich raushalten. Sobald Probleme auftauchen, oder in allen einigermaßen wichtigen Bereichen soll doch bitte der Staat Herr des Verfahrens sein. Hilfreich wäre hier die Erinnerung an das Demokratie-Wort des britischen Premier Winston Churchill aus dem Jahr 1947, das in abgewandelter Form lauten könnte: "Marktwirtschaft ist die schlechteste aller Wirtschaftsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Warum auch sollte ein einzelner Beamter, ein Minister, eine Kanzlerin, warum sollten ganze Beamtenapparate besser wirtschaften können als die Summe der Marktteilnehmer?

Allerdings, der freie Markt muss Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer bieten, also müssen verlässliche Regeln her, zwischen denen sich das freie Handeln entfalten kann: das kann man Ordo- oder auch Neoliberalismus nennen. Und die Verlierer des Systems fängt der Sozialstaat auf. Gegen die erste Regel hat die Politik im Bereich der Finanzmärkte eklatant verstoßen, die sie eben gerade nicht ausreichend und funktionierend geregelt hat - weshalb es dort zu den bekannten Exzessen gekommen ist. Statt sich aber darauf zu besinnen, diesen Fehler auszugleichen, entwickeln immer mehr Politiker Allmachtsfantasien.

Rettung im schnellen Stil

Kanzlerin und Finanzminister retten mal eben die Banken und werden ungnädig, wenn einzelne Häuser sich nicht retten lassen wollen. Die EU-Kommission kündigt hoppeldihopp die Rettung der Autobranche an, obwohl sie dafür gar keine Zuständigkeit hat. Demnächst, siehe oben, wird der Staat gerne auch die Energiepolitik neu regeln. Und natürlich sollen Konjunkturhilfen die Unternehmer in Investitionen und die Verbraucher in die Geschäfte treiben - auch wenn sie derzeit aus vielleicht guten Gründen nicht wollen.

Mit diesen und anderen Plänen und Maßnahmen wird eine gefährliche Handlungsillusion erzeugt. Auch das Reden vom "Schutzschirm für Jobs", womöglich durch eine Ausweitung des Kurzarbeitergeldes von zwölf auf 18 Monate, alarmiert. Jobs wachsen dauerhaft nicht durch neue staatliche Regeln, sondern nur über mehr und besseres Wachstum. Eine Rückkehr zur Staatsgläubigkeit dagegen wird in der globalisierten Wirtschaft nicht viel helfen - im Gegenteil.

© SZ vom 31.10.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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