Wirtschaftspolitik:"Gestolpert wird immer noch"

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Die Industrie kritisiert die fehlende Unterstützung durch die große Koalition, und die gibt sich deshalb zerknirscht.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Kanzlerin gibt es zu, der Wirtschaftsminister auch. Angela Merkel spricht von einem "hohen Anteil an Selbstbeschäftigung", Peter Altmaier von Eitelkeiten: "Wenn wir unendlich über jede Eitelkeit diskutieren, werden wir es nicht schaffen, die Probleme zu lösen." Selten ist eine Regierung so zerknirscht zu einem Tag der Deutschen Industrie gekommen wie diese. Keiner mag verhehlen, dass sich die Koalition zuletzt viel um sich gekümmert hat. Oder, wie Industrie-Präsident Dieter Kempf gleich zu Beginn sagt: "Gestolpert wird immer noch." Die Industrie warte "ungeduldig auf Wirtschaftspolitik der Bundesregierung".

Der Tag ist eine Art Hochamt der Industrie, doch es gibt viele ungelöste Probleme. Der Handelskonflikt rund um die USA etwa, mit dem sich Roberto Azevêdo befasst, der Chef der Welthandelsorganisation WTO. "Es gibt keinen Gewinner in dieser Situation", sagt der Brasilianer. Überall auf der Welt seien die Spannungen gestiegen, und damit die Verantwortung, sie abzubauen. Auch die deutsche Industrie könne da helfen. "Wir haben jetzt noch nachhaltiges Wachstum", sagt Azevêdo. "Aber es gibt viele Warnsignale."

Harte Worte aus der Wirtschaft, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) antwortet beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

So auch in Deutschland. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) revidierte seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr am Dienstag um einen Viertel Prozentpunkt nach unten, auf nun zwei Prozent. "Deutschland muss sich auf den Abschwung der Konjunktur gefasst machen", sagt BDI-Chef Kempf. Offenbar wollen die Wirtschaftsforschungsinstitute die Prognose noch stärker senken. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters gehen sie in ihrem Herbstgutachten nur von 1,7 Prozent aus - statt 2,2 Prozent.

Doch die Industrie treibt noch anderes um. Die Digitalisierung etwa, künstliche Intelligenz, die Energiepreise und der Klimaschutz. Zu letzterem hören die Teilnehmer recht unterschiedliche Signale. Merkel etwa mahnt erst mehr Realismus an - und macht dann klar, dass sich am Klimaziel für 2030, ein Minus von 55 Prozent Treibhausgasen gegenüber 1990, nicht mehr rütteln lässt. "Das wollen und müssen wir erreichen", sagt sie. Bei der Sicherung der Stromversorgung müsse man künftig europäischer denken. Auch Altmaier greift das auf, aber vor allem mit Blick auf die Strompreise. Noch in diesem Jahr wolle er sich mit der Industrie zusammensetzen, um über eine Entlastung bei den Stromkosten zu reden, vor allem für Mittelständler. SPD-Chefin Andrea Nahles dagegen kommt vom Schutz des Klimas gleich zum Schutz der Kohle. Es gebe Leute, die nur auf Klimaschutz schauten, nicht aber auf die Interessen der Wirtschaft und betroffener Regionen. Und es gebe Leugner des Klimawandels wie bei der AfD. "Beides sind unhaltbare Positionen." Selbst beim Klima reicht das Spektrum der Regierung weit.

Konkrete Zusagen hört die Industrie kaum. Altmaier verspricht, sie aus staatlichen Überschüssen zu entlasten, ohne konkreter zu werden. Nahles drängt auf mehr Europa, mehr ausländische Fachkräfte und mehr Qualifizierung. Merkel will sich für weitere Entlastungen beim Soli einsetzen, die mit der SPD zunächst nicht zu haben waren. Sie werde "immer und immer wieder versuchen, an dieser Frage etwas zu ändern", sagt sie. Also alles wie gehabt, eigentlich.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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