Wirtschaftsförderung in Wales:Tüftler aus den Bergen

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In Cardiff feierte eine Folge der BBC-Science-Fiction-Serie Doctor Who Premiere. Daher liefen als Blechbüchsen verkleidete Menschen durch die Stadt. (Foto: Adam Gasson/Getty Images)

Wales ist die ärmste Region Großbritanniens, die Kohle- und Stahlindustrie sind tot. Nun sucht die Regierung in Cardiff nach Lösungen und findet sie zum Beispiel in Games-Entwicklern. Doch mit London mithalten ist schwer.

Von Björn Finke, Cardiff/Pencoed

Junge Männer in T-Shirts starren auf die Bildschirme ihrer Rechner, hacken auf den Tastaturen. An den Wänden stehen mannsgroße Pappaufsteller mit Figuren aus Computerspielen: eine sehr leicht bekleidete Kriegerin und ein muskelbepacktes Monster mit mächtiger Kanone. Die Programmierer und Grafiker in diesem Großraumbüro erschaffen gerade weitere Helden für die virtuelle Welt, sie arbeiten an einem neuen Spiel. Doch ihr Büro befindet sich nicht in einem hippen Viertel in Berlin oder London, den europäischen Hauptstädten für Internet- und Computer-Start-ups, sondern in Pencoed, einem Städtchen mit um die 10 000 Einwohnern im Süden von Wales.

"Das ist ein sehr guter Standort für uns", sagt der Chef der Spielefirma, David Banner. "Es ist viel billiger als London, und es gibt in der Region zahlreiche Uni-Absolventen aus unserem Bereich." Games-Enthusiasten können an der Universität von Südwales Abschlüsse in Spiele-Design und -Entwicklung erwerben. Der heute 41 Jahre alte Banner gründete vor zwei Jahren zusammen mit einem Partner das Unternehmen Wales Interactive, um Spiele für Computer, Handys und Konsolen zu schaffen. Das Duo saß anfangs alleine in dem Büro in Pencoed vor seinen Rechnern, inzwischen arbeiten 20 Angestellte für den Betrieb. 16 Spiele warfen die Waliser schon auf den Markt, das bekannteste ist " Master Reboot", ein Abenteuerspiel, das sich 100 000-mal verkauft hat.

Die Spieleschmiede aus der Kleinstadt, 20 Autominuten westlich der walisischen Hauptstadt Cardiff, schreibt also eine Erfolgsgeschichte. Davon braucht Wales dringend mehr. Die bergige Gegend, die seit 1999 ein eigenes Parlament hat, hinkt dem Rest des Vereinigten Königreichs hinterher; die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist die niedrigste aller britischen Regionen und beträgt gerade mal 41 Prozent des Wertes von London, dem Spitzenreiter. Der Westen von Wales ist zusammen mit Cornwall der einzige Teil des Königreichs, der - wie etwa auch Ostdeutschland - weiter Hauptzielgebiet für EU-Fördermittel ist, weil das Wohlstandsniveau so deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegt.

Erst der Kohleboom, dann der Niedergang

Dabei war Wales einmal ein Zentrum der Industrie in Europa, riesige Kohlevorkommen ließen Minen und Stahlhütten boomen. Cardiffs Hafen galt als weltweit größter Umschlagplatz für das Grubengold. Vorbei. Erst starben die Minen, in den Achtzigerjahren erlebte dann die Stahlindustrie ihren Niedergang. Wichtigster Arbeitgeber ist heute der Staat, jeder vierte Waliser ist im öffentlichen Dienst beschäftigt, nur in Nordirland ist die Quote höher.

Viele der drei Millionen Waliser verdienen auch im Tourismus ihr Geld, dieser Zipfel des Königreichs lockt mit Bergen, Burgen und Stränden. Zudem gibt es weiterhin bedeutende Produktionsbetriebe, etwa aus der Medizintechnik-, Auto- oder Flugzeugbranche. Aber das ist kein Vergleich zu vergangener Industrieherrlichkeit. Um nun wieder mehr Wachstum und Jobs zu schaffen, fördert die Regionalregierung in Cardiff daher zukunftsträchtige Industriesparten wie eben Medizintechnik und IT oder Kreativbranchen wie jene, in der Wales Interactive tätig ist.

David Banners Firma profitierte gleich mehrfach von Staatshilfen. Das Unternehmen erhielt aus einem Waliser Fördertopf einen Zuschuss zu den Entwicklungskosten für sein Bestseller-Spiel "Master Reboot". Auch den Besuch einer Messe in Tokio subventionierte die Regionalregierung. In Cardiff organisierte Banner 2012 eine eigene kleine Spielemesse für die Gegend, die Wales Games Development Show. Im vorigen Monat fand die dritte Auflage dieser Branchenschau statt, mit 40 Ausstellern - und mit freundlicher Unterstützung der Regierung. "Die machen viel für unsere Industrie, das ist ein Standortvorteil", sagt der Waliser Banner.

Kommende Woche wird sich die Region kurz über weltweite Aufmerksamkeit freuen können: Cardiff ist Gastgeber des Nato-Gipfels. Die Regierung hofft, dass die Fernsehbilder im Ausland Neugier wecken, dass danach mehr Touristen und Investoren beim Begriff Großbritannien nicht bloß an England und Schottland denken, sondern eben auch an Wales. Interessieren sich Investoren aus dem Bereich Pharma und Medizintechnik für Wales, werden sie sicherlich Ian Barwick in seinem hübschen Büro besuchen. Der promovierte Chemiker ist Chef des Life Sciences Hub, einer Einrichtung, die er selbst als "Dating-Agentur für Firmen" beschreibt.

Das arme Wales gegen das reiche London

Im Juli öffnete diese Drehscheibe für Lebenswissenschaften ihre Pforten, eine lichtdurchflutete Etage in einem Gebäude in Cardiff Bay, dem früheren Kohlehafen, der nach seiner Sanierung nun ein schickes Büro- und Ausgehviertel ist. Barwick bringt hier etablierte Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen, Start-ups, Investoren und Universitäten zusammen. Die können in dem Life Sciences Hub Schreibtische und Besprechungsräume mieten oder Vorträge und Seminare besuchen. Finanziert wird das Hub von der walisischen Regierung. Die legte für die Branche außerdem bereits im vergangenen Jahr einen 125 Millionen Euro schweren Fonds auf, der in vielversprechende Firmen aus der Region investiert.

Davon finden sich einige in Wales: 300 Betriebe mit 10 000 Beschäftigten sind in der Sparte tätig, und den Nachschub an Fachkräften besorgen acht Universitäten. "Das ist eine echte Wachstumsbranche in einer Gegend, in der es sonst schwer ist, einen guten Job zu finden", sagt Manager Barwick. Das Life Sciences Hub soll ein Schaufenster dieses Industriezweigs in Wales sein; potenzielle Investoren aus dem Ausland sollen dort sehen, was die Region zu bieten hat. "Solche Leute dazu zu bewegen, Wales zu besuchen, ist manchmal schwer. Wir müssen unsere Stärken besser vermarkten", sagt der frühere Pharmaforscher. Dabei sprächen für Wales nicht nur die Fördergelder und die vielen erfahrenen Arbeitskräfte, sondern auch der einfache Zugang zur Regierung. "Wir sind ein kleines Land. Das Wirtschaftsministerium ist offen für Anfragen, und Entscheidungen werden schnell gefällt", sagt Barwick.

Doch sind die Waliser nicht die Einzigen, die große Hoffnungen auf Medizintechnik und Pharma setzen. Im April erst startete Londons Bürgermeister Boris Johnson die Initiative Medcity: Universitäten und Konzerne aus der Hauptstadt und den nahe gelegenen Forschungshochburgen Oxford und Cambridge sollen besser zusammenarbeiten, gemeinsam will man die Region als Standort bewerben. Das Life Sciences Hub in Cardiff kooperiert mit Medcity, zugleich ist die Initiative allerdings ein mächtiger Rivale beim Buhlen um Investoren. "Man muss schon sehr gut sein, wenn man im Wettbewerb mit London bestehen will", räumt Barwick ein. Er gibt sich jedoch zuversichtlich: "Der Markt ist groß genug für jeden von uns."

Das arme, kleine Wales gegen den reichen Moloch London - klingt nach David gegen Goliath. Aber Goliath hat ja nicht immer gewonnen.

© SZ vom 27.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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