Wirtschaft im Baskenland:Das bessere Spanien

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Wie schafft es eine Region in einem Krisenland, vom Niedergang verschont zu bleiben? Die Basken zeigen, wie es geht: Sie sind besser gebildet, weniger verschuldet und flexibler.

Von Thomas Urban, Bilbao

Hunderte Frauen in Businesskostümen und Männer in Anzügen mit Schlips und Kragen strömen morgens aus der Metrostation Abando und dem gleichnamigen Bahnhof in der baskischen Metropole Bilbao. Sie eilen, manche noch mit dem Pappbecher Morgenkaffee in der Hand, zu ihren Büros in der Großbank BBVA, in der Börse, in Consultingfirmen. Der blank geputzte Stadtteil Abando mit seinen Bürgerhäusern aus der Gründerzeit, mit seinem regelmäßigen Grundriss aus einem Gitternetz von Straßen erinnert an die alten und reichen Handelsplätze in Flandern, an die Hansestädte in Norddeutschland. Er sieht so gänzlich "unspanisch" aus, wie die Fremdenführer gerne bei Stadtführungen für ausländische Touristen betonen: "Das Baskenland tickt anders."

Aus dem Zentrum der Schwerindustrie wurde ein Technologie- und Finanzzentrum

Völlig anders als im spanischen Kernland sind nicht nur Sprache und Kultur, auch die Wirtschaft hat im Baskenland eine eigene Entwicklung genommen. Es führt unter allen spanischen Regionen seit mehr als einem Jahrzehnt die Statistik der Jahreswirtschaftsleistung pro Kopf an; 2015 waren es knapp 32 000 Euro, ein Drittel mehr als der spanische Durchschnitt und 40 Prozent über dem Mittelwert aller EU-Staaten. Das 2,2 Millionen Einwohner zählende Baskenland ist somit zu einem der Aufsteiger unter den europäischen Regionen geworden.

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung stabilisierte sich die traditionell unruhige Region, deren Bild nach außen Jahrzehnte lang die Terrororganisation Eta prägte: Nach den jüngsten Umfragen spricht sich nur noch ein Fünftel der Einwohner für eine Abspaltung von Spanien aus. Der Regionalpräsident Iñigo Urkullu, Vorsitzender der Baskisch-Nationalistischen Partei, die trotz ihres Namens gemäßigte Positionen vertritt, hat die Parole ausgegeben, dass die staatliche Unabhängigkeit "nicht auf der Tagesordnung steht". Ohnehin ist keine klare Trennungslinie zwischen Spaniern und Basken zu ziehen; ein Großteil der Einwohner bezeichnet sich als "Basken und Spanier". Auch sind in die Region viele Spanier aus anderen Ecken des Landes eingewandert.

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(Foto: mauritius images)

Das Glaspanorama des Bahnhofs Abando in Bilbao zeugt von langer Industrie- und Arbeitertradition.

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(Foto: mauritius images)

Die Straßenzüge erinnern jedoch eher an nordische Hansestädte als an spanische Metropolen.

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(Foto: Mauritius)

Und die Touristen kommen wegen des Gehry-Museums...

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(Foto: mauritius images)

...und des Nachtlebens.

Vor wenigen Jahrzehnten sah die Wirtschaftslage noch ganz anders aus: Stahl, Kohle, Maschinenbau und Chemie prägten die Küstenregion. Eine riesiges Glasfenster in der Halle des Bahnhofs Abando stellt die Vergangenheit Bilbaos in leuchtenden Farben dar, gleich unter der Kathedrale in der Mitte des prächtigen Panoramas sind Arbeiter in Bergwerksstollen und Eisenhütten auszumachen. Die Stadt war im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der Montanindustrie mit Arbeitervierteln geworden. Sie blieb es auch während der Franco-Zeit mit ihrem auf Autarkie angelegten Wirtschaftssystem.

Doch die Wiedereinführung der Demokratie nach dem Tod des Diktators 1975 fiel mit der Krise der europäischen Montanindustrie zusammen, die für Bilbao und seine Umgebung Massenentlassungen bedeutete. Etwa 100 000 Arbeitsplätze gingen verloren. Der traditionsreiche Schiffsbau an der Küste der Biskaya-Bucht erlebte innerhalb weniger Jahre einen beispiellosen Niedergang, die Basken hatten der Konkurrenz aus Asien, vor allem den Koreanern, wenig entgegenzusetzen. Die wirtschaftliche Depression war ein ideales Klima für die Eta; diese war in der Region durch ihren Kampf gegen das Franco-Regime populär geworden, das die baskische Sprache und Kultur unterdrückte. Die Organisation versprach eine leuchtende Zukunft in einem sozialistischen Staatswesen. Die zahlreichen Eta-Attentate, die Erpressung einer "Revolutionssteuer" und die Entführung von Unternehmern, die diese verweigerten, schreckten spanische wie internationale Investoren ab, der weitere Abstieg der Region schien kaum aufzuhalten zu sein.

Doch dann setzte die Regionalregierung in den Achtzigerjahren in der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz entschlossen ein Konzept für den Strukturwandel um. Gezielt wurden internationale Technologiefirmen angeworben, die Universität Bilbao setzte ebenfalls auf diese Richtung. Auch wurden Neugründungen einheimischer Unternehmer steuerlich begünstigt. Es gelang der Regionalregierung überdies, nach dem Ende der Diktatur ein historisches Fiskalprivileg zurückzubekommen: Das Baskenland und die Nachbarregion Navarra, in der auch viele Basken leben, durften traditionell selbst über den Großteil ihres Steueraufkommens verfügen.

Die Region ist kaum verschuldet, ganz im Gegensatz zum Rest des Landes

Aus allen anderen Regionen fließen hingegen etwa 70 Prozent nach Madrid. Die wirtschaftspolitische Wende wurde auch durch einen Umschwung im öffentlichen Klima begünstigt: Es regte sich Widerstand gegen den Eta-Terror, immer mehr Menschen gingen gegen das "Klima der Angst" auf die Straße. Zudem versetzten die Geheimdienste Spaniens und Frankreich der Untergrundorganisation empfindliche Schläge. Die Eta verlor so einen großen Teil ihrer führenden Kader, vor fünf Jahren erklärte sie das "Ende des bewaffneten Kampfes". Sie wurde vor allem von der jungen Generation abgelehnt, die europäisch tickt, die auf wirtschaftlichen Aufstieg setzt und mit dem Computerzeitalter vor allem in Bilbao Hunderte Firmen gründete.

So wurde das Zentrum der spanischen Schwerindustrie innerhalb einer Generation zum Technologie-, Finanz- und Dienstleistungszentrum. Doch wurde keineswegs die gesamte Industrie abgewickelt, vielmehr orientierte sich ein Teil der Firmen um: Die Maschinenbauer spezialisierten sich auf Präzisionsmaschinen; ein anderer Schwerpunkt wurde Umwelttechnologie, Firmen aus dem Baskenland bauen heute in der ganzen Welt Hightech-Kläranlagen und verzeichnen auch in der Energetikbranche mit ökogerechten Lösungen kräftig steigende Umsätze. Sie taten es auch an den Heimatstandorten, Luft- und Wasserqualität haben sich in den Industrieregionen spürbar verbessert. Im Zentrum Bilbaos wurde das Flussbett des Nervións saniert. Zum Symbol für den gelungenen Strukturwandel wurde das auf einer Industriebrache am Südufer des Flusses erbaute futuristische Guggenheim-Museum in Bilbao. Seit dessen Eröffnung 1997 brachte es dem Tourismus der Region einen neuen Schub, sodass Wirtschaftswissenschaftler den Begriff "Guggenheim-Effekt" prägten.

Außerdem, darauf weisen Soziologen von der Universität Bilbao gern hin, spielte beim Strukturwandel die baskische Mentalität eine Rolle. Sie sei mit ein Grund dafür, dass die Region weitaus weniger von der großen spanischen Krise erfasst wurde, die Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase vor neun Jahren war: Die Basken schreiben sich selbst einen rationalen Umgang mit Geld zu, gleichzeitig gelten sie als stark gemeinschaftsorientiert; da das Klima in der Region rau ist, und die Biskaya unfreundlich und stürmisch, seien sie abgehärtet und viel besser gegen Rückschläge gefeit als die Spanier am warmen Mittelmeer. Als Beleg wird die Verschuldung der öffentlichen Hand angeführt: Im Baskenland lag sie Ende 2015 bei etwa 4300 Euro pro Kopf, in ganz Spanien bei mehr als 23 000 Euro. Entsprechend macht die Verschuldung gerade 15 Prozent des baskischen Bruttoinlandsprodukts aus, in Spanien dagegen wurde in diesem Jahr die 100-Prozent-Marke überschritten.

Nicht nur die Industrie- und Haushaltspolitik spielten eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung der Region. Auch die Bildungspolitik trug dazu bei, der jungen Generation bessere Perspektiven in der Wirtschaft zu bieten, als dies in den anderen Regionen der Fall ist. Einer der Gründe liegt in der Zweisprachigkeit des Bildungssystems. Überdies hat der Englischunterricht in den Schulen eine herausragende Bedeutung, sodass die meisten Schul- und Universitätsabsolventen drei Sprachen sprechen. So stehen auch die Chancen nicht schlecht, dass das Baskenland sich in Spanien weiter an der Spitze hält.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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