In Deutschland wächst der politische Druck, das Haftungsprivileg für Wirtschaftsprüfer aufzuheben. "Dieses beschränkt die Haftung der Prüfer bei Fahrlässigkeit auf eine Million beziehungsweise vier Millionen Euro bei Aktiengesellschaften", sagt Fabio De Masi, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke der SZ. "Im Fall von Wirecard, wo 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlen und Ernst & Young darauf verzichtet hat, die Konten von Wirecard zu prüfen, ist das eine lächerliche Summe." Die Linksfraktion möchte den Antrag nach der Sommerpause im Plenum einbringen, zum zweiten Mal nach April 2019. Bislang hatte die Bundesregierung an diesem Thema kein Interesse gezeigt.
Juristisch können Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei Fehlern entweder wegen Fahrlässigkeit oder wegen Vorsatz in Verantwortung genommen werden. Bei Fahrlässigkeit greift laut §323 Handelsgesetzbuch die Haftungsobergrenze. Es ist in der Praxis äußerst schwierig einen Vorsatz nachzuweisen, daher müssen Prüfungsgesellschaften, auch wenn sie schwere Fehler gemacht haben, in aller Regel kaum haften. Dieser Umstand entzieht Anlegern und Insolvenzverwaltern Entschädigungsmasse, aktuell auch im Fall der Containerfirma P&R, wo Prüfer Luftbuchungen über Jahre hinweg nicht bemerkt haben. Auch in der Finanzkrise haben Wirtschaftsprüfer Banken Zahlungsfähigkeit attestiert, die wenig später in die Pleite rutschten.
"Eine Gesetzesänderung ist überfällig, sagt Peter Mattil, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Jeder Berufsstand, ob Anwalt, Arzt, Architekt oder Autoproduzent, hafte gesetzlich unbegrenzt für Fehlleistungen. "Dieses Privileg, ausgerechnet der so wichtigen Wirtschaftsprüfer, muss weg. Gerade bei börsennotierten Unternehmen, deren Testate so wichtig für die Öffentlichkeit sind, ist eine Verantwortung der Prüfer unerlässlich." Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich skeptisch; er sagte der FAS am Sonntag, man wolle das prüfen, allerdings: "Wenn die Idee einer höheren Haftung nur die Ausrede dafür ist, sonst nichts zu tun, dann ist das kein kluger Weg."
In den meisten anderen Staaten ist die Haftung bei schlampiger Buchprüfung strenger geregelt als in Deutschland. EY kennt das: Noch unter dem alten Namen Ernst & Young musste das Unternehmen 1992 dem amerikanischen Staat 400 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen. Es hatte Regierung und Anleger nicht früh genug über die Schieflage von US-Sparkassen unterrichtet. Der Enron-Skandal vor zwei Jahrzehnten kostete die Wirtschaftsprüfungsfirma Arthur Andersen die Existenz. Andersen hatte die Bücher des betrügerischen Unternehmens geprüft und keine Unregelmäßigkeiten gefunden. Als der Skandal aufflog, sollen die Prüfer Dokumente geschreddert haben. 2002 wurde Arthur Andersen wegen Behinderung der Justiz verurteilt. Zwar wurde das Urteil 2005 vom höchsten Gericht aufgehoben, aber da war die Firma schon Geschichte: Weil die Börsenaufsicht SEC keine Prüfberichte von strafrechtlich verurteilten Unternehmen annimmt, gab Arthur Andersen 2002 seine Lizenz zurück.
Die bei Wirecard eingesetzten EY-Prüfer müssen aber mit berufsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Wie bei Ärzten, Notaren und Anwälten wird die Berufsaufsicht bei den Prüfern von den Prüfern selbst ausgeübt - über die Wirtschaftsprüferkammer in Düsseldorf, die ihrerseits der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums unterliegt. Sie kann Mitglieder rügen, Geldbußen bis 500 000 Euro verhängen und die Berufsausübung untersagen.