Wie der spanische Ort Jávea mit der Krise umgeht:Ein Rebell räumt auf

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Es war ein Spiel, das nur Gewinner kannte: Viele Familien im spanischen Küstenort Jávea sind durch den Verkauf von Ackerland reich geworden, Bauträger verdienten viel Geld. Bis die Krise kam. Heute sind 60 Prozent der Jugendlichen ohne Job. Der junge Bürgermeister, ein gelernter Fitnesstrainer, sucht nach einem Ausweg.

Andrea Rexer, Jávea

Einmal im Jahr brennt Jávea lichterloh. Die Feuerwehr spritzt unaufhörlich die Wände der Häuser rund um den Placeta del Convent von oben bis unten nass. Nur so kann sie das Feuer in Schach halten, das in hohen Flammen aus den überlebensgroßen Pappmaché-Figuren schlägt.

Es sind vor allem Politiker, die in den Figuren kunstvoll karikiert werden - seit die Krise in Spanien ausgebrochen ist, schmelzen auch die verzerrten Gesichter von Bankern in den Flammen. Es ist die "Nit dels Focs", die Nacht der Feuer. Die Jugendlichen des spanischen Küstenortes springen lachend durch den Strahl aus den Wasserschläuchen. Die Krise scheint für ein paar Stunden vergessen zu sein.

Am nächsten Morgen ist das Fest vorbei, die Asche vom Pflasterboden gewischt, doch Jávea brennt noch immer. Die 33.000-Einwohner-Stadt liegt in der Region Valencia, die von der Krise mit am schlimmsten getroffen ist. Die Arbeitslosigkeit liegt hier weit über dem spanischen Durchschnitt, die Jugendarbeitslosigkeit erreicht sogar schwindelerregende 57 Prozent.

Irgendwann musste das böse Erwachsen ja kommen

Die Bauindustrie machte in den guten Jahren etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung der Stadt aus - davon abhängige Dienstleistungen wie Gärtnereien oder Möbelgeschäfte nicht eingerechnet. Doch seit die Immobilienblase 2008 platzte, herrscht Stillstand. Der einzige Baukran, den man im Umland des Städtchens sieht, ragt bewegungslos auf einem verlassen wirkenden Gelände eines Maschinenverleihs in den Himmel.

Jahrelang hat der Küstenort vom Bauboom Spaniens profitiert: Es war ein Spiel, bei dem es nur Gewinner gab. Und so überwucherten in den vergangenen zehn Jahren Villen und Apartmentbauten fast die gesamte Bucht und die darüberliegenden Hügel zwischen dem Cabo de la Nao bis zum Cabo de San Antonio. "Natürlich haben alle gewusst, dass irgendwann das böse Erwachen kommen muss", sagt Bürgermeister José Chulvi. Was er nicht ausspricht, ist, dass seine Vorgänger nicht den geringsten Anreiz hatten, das böse Spiel zu bremsen. Denn die Gemeinden kassieren in Spanien bei jedem Bauprojekt mit. Vier bis fünf Prozent des Grundstückswertes hat die Politik pro Umwidmung von Ackerland in Bauland eingestrichen.

Geld, das nicht gespart, sondern mit vollen Händen ausgegeben wurde: Jede Straße im Stadtzentrum wurde neu gepflastert, die Fassaden wurden restauriert. Wo früher ein staubiger Parkplatz war, öffnet sich heute die Einfahrt in eine Tiefgarage. Autos verirren sich nur selten in den Schacht, hin und wieder sieht man Touristen auf dem Weg zu den luxuriös ausgebauten unterirdischen Toiletten. Eine zweite Tiefgarage öffnet sich unterhalb der Bauruine des neuen Rathauses. Ihre spitz zulaufenden Giebel ragen wie ein Mahnmal in den Himmel. Bauzäune riegeln den Zugang ab, die Fenster starren leer auf die Bucht hinunter. Der vermeintliche Prestigebau war vor zwei Jahren fertig, dann kam die Krise - und es gab kein Geld mehr für die Möbel. Seither sucht die Stadt verzweifelt einen Mieter oder einen Käufer.

Der Bürgermeister musste indes in seinem alten Amt am Kirchplatz bleiben. Eine Strafe ist das nicht gerade: Das Gebäude wurde 2006 aufwendig saniert. Hinter dem Bürgermeisterschreibtisch hängt ein viel zu großes Ölbild, der Marmorboden ist so sehr poliert, dass man Angst bekommt, der junge Bürgermeister könnte ausrutschen, wenn er mit quietschenden Sohlen um den Schreibtisch läuft, um seine Besucher zu begrüßen.

2010 hatte der 41-jährige Sozialist die jahrelange unangefochtene Herrschaft der konservativen Bürgermeister gebrochen. Chulvi ist einer aus dem Volk: Der gelernte Fitnesstrainer ist mitten im Ort aufgewachsen, seine Eltern hatten eine kleine Bar nicht weit vom Rathaus entfernt. Eine Durchschnittsfamilie - weder reich noch arm. Auch die Chulvis sind Profiteure des Booms. Sie haben ein Stück Land besessen, am Cabo de la Nao. Als Ackerland war es kaum zu gebrauchen, doch die Villen, die heute dort stehen, haben einen phantastischen Blick auf das Meer. "Wir haben das Land verkauft, wie viele andere Familien auch", sagt der Bürgermeister.

Immobilienboom wurde für viele Geschäftstüchtige zur Goldquelle

Jede Familie, die Land verkauft hat, konnte sich plötzlich viel mehr leisten als zuvor. Der gestiegene Konsum ließ Gärtnereien und Kunstschmieden, Restaurants und Boutiquen entstehen. Der Immobilienboom wurde zum Wachstumsmotor für die ganze Stadt - und zum Goldquell für jeden, der einen Spürsinn für gute Geschäfte entwickelte. Jemanden wie Pepe Bañó. Der 62-Jährige ist der schillerndste Immobilieninvestor der Region. Anfang der achtziger Jahre begann er Grundstücke rund um den Hügel "La Sella" an der Straße zwischen Jávea und Dénia aufzukaufen. "Ich habe in vielen langen Verhandlungen 168 Familien ihren Grund abgekauft", erinnert sich Bañó.

Bevor er mit seinem Angebot an den Türen klopfte, war das Land so gut wie wertlos. "Der Preis stieg teilweise um das Hundertfache, wenn entschieden wurde, dass dort gebaut wird", sagt der Immobilienmann. "Ich bin auf viele Familien gestoßen, die bis dahin gar nicht festgelegt hatten, welchem Cousin welcher Fleck gehören sollte - so unattraktiv war das Land in ihren Augen", sagt Bañó. Bis die Erbstreitigkeiten geklärt waren, ging Zeit ins Land. Heute steht auf drei Millionen Quadratmetern eines der gigantischsten Projekte der Küste: 1350 Häuser, ein 18-Loch-Golfplatz und ein Fünfsterne-Hotel.

Neben "La Sella" stürzte sich Bañó auch in andere Projekte. "Er hat den ganzen Montgó mit seinen Villen zugekleistert", sagt einer seiner Konkurrenten abfällig. Die Villen rückten immer näher an die Grenze des Naturparks Montgó heran, dessen Hänge und Felsen die Nachbarstädte Jávea und Dénia voneinander trennen - und die eigentlich als Rückzugsort für Tiere und Pflanzen dienen sollen. Auf die Frage, ob sie nicht irgendwann Zweifel gehabt hätten, dass die Region so viele Bauten braucht, winken Bañó und sein Geschäftspartner Hans Pörtzgen ab: Klar hätten sie das früh gemerkt. "Aber man hat uns die Häuser aus der Hand gerissen, warum hätten wir aufhören sollen?", fragen sie.

Bauträger haben im Jahr 700 bis 800 Häuser verkauft

Welchen Reichtum Bauträger wie Bañó aufgehäuft haben, lässt sich nur erahnen: Wenn man 100 Häuser pro Jahr verkauft hat, konnte man je nach Qualität gut und gern eine Million Euro verdienen, heißt es in Bauträgerkreisen. Bañó sagt, dass er in den guten Jahren 700 bis 800 Häuser verkauft hat. Doch als in der Folge des amerikanischen Immobilienkrise auch die spanische Blase platzte, brach Bañós Geschäftsmodell von einem Tag auf den anderen wie ein Kartenhaus zusammen. "Wir haben kein Geschäft mehr, es wird nichts mehr gebaut", sagt Pörtzgen. Immerhin haben sie noch das Fünf-Sterne-Hotel: Bañó ist Hauptaktionär, Pörtzgen Generaldirektor.

Die Bauträger habe es von allen am schlimmsten erwischt: Um ein Projekt zu verwirklichen, gehen sie in Vorleistung. Sie kaufen den Grund, zahlen die Architekten und Baufirmen. Wenn sich das Haus dann plötzlich nicht mehr verkaufen lässt, stehen sie vor einem enormen Problem. "Es gibt keinen großen Bauträger, der nicht überschuldet ist", sagt Bañó. Die meisten dieser übrig gebliebenen Häuser sind mittlerweile in den Büchern der Banken - als Ersatz für die ausstehenden Kredite. In der Region Valencia waren vor allem die Sparkassen CAM und Bancaja aktiv. Beide sind mittlerweile vom Staat gerettet worden. Bancaja ist in die Bankengruppe Bankia eingegangen - jene Bank, die bislang die höchste Hilfszahlung benötigte.

Auf den Straßen Jáveas ist die Krise kaum zu sehen. Spaniens Elend flüchtet auf leisen Sohlen. Jene Einwanderer aus Südamerika, die früher auf den Baustellen halfen, sind wieder zurück in ihre Heimatländer gegangen. Mittlerweile folgen ihnen die Spanier. "Mein früherer Geschäftspartner geht jetzt nach Kolumbien. Das muss man sich mal vorstellen", sagt Fernando Tomas und schüttelt den Kopf. Wie Pepe Bañó hat er als Bauträger gearbeitet. Seit drei Jahren hat auch er keine neuen Projekte mehr. Er lebt von seinen Ersparnissen.

Früher hatte Tomás acht Mitarbeiter, die ihm bei der Vermarktung der Immobilien halfen. Jetzt ist nur noch eine Sekretärin da. Die Jüngeren würden zurück in die Dörfer im Landesinneren gehen und bei den Eltern Unterschlupf suchen. "Viele Handwerker halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Alles schwarz natürlich", erzählt Tomás, während er die Tür zu seinem Büro zusperrt.

Die Regierung tut nichts gegen die Arbeitslosigkeit

Initiativen der Regierung gegen Schwarzarbeit oder gegen die Jugendarbeitslosigkeit sucht man vergeblich. Lola Orihuela kann darüber nur den Kopf schütteln. Seit 2005 arbeitet sie als Chefin der Agentur Creama mit Menschen, die sich am Arbeitsmarkt schwertun: Ältere etwa, oder Jugendliche ohne Schulabschluss. Eigentlich hätte sie nun alle Hände voll zu tun, möchte man meinen.

Doch ausgerechnet jetzt steht die Agentur vor dem Aus. "Die Regionalregierung gibt uns kein Geld mehr. Sie zahlt noch nicht einmal die bei uns aufgehäuften Schulden", seufzt sie. Die Agentur zur Förderung aktiver Arbeitsmarktpolitik ist ein Zusammenschluss aus neun Gemeinden und der Regionalregierung in Valencia.

Nun überlegt Orihuela, Creama in eine Zeitarbeitsfirma oder eine private Vermittlungsagentur zu verwandeln. Die ersten Projekte zur Vermittlung von Arbeitnehmern nach Deutschland und in die Niederlande hat sie bereits angestoßen. Doch für Jobs im Ausland kommen nur wenige in Frage. "Es gibt eine klare Trennung zwischen der Elite-Jugend und dem großen Rest. Die einen sind exzellent ausgebildet, sprechen mehrere Sprachen - doch mehr als 50 Prozent schaffen den Schulabschluss nicht", sagt sie und rauft sich die kurzen grauen Haare.

Bildung war in den Augen der Jugendlichen überflüssig

Die Schuld an der Bildungsmisere gibt sie dem ungezügelten Immobilienboom. "Die Kinder haben gesehen, dass ihre Väter ohne jegliche Ausbildung am Bau mehrere tausend Euro im Monat verdient haben. Bildung war in ihren Augen überflüssig", sagt Orihuela. Doch derzeit hat sie nicht ein einziges Jugendprojekt in der Pipeline. Wer sollte das auch zahlen? Von der Politik ist sie enttäuscht. Nur auf Bürgermeister Chulvi angesprochen, leuchten ihre Augen auf. "Der ist anders", sagt sie.

Chulvi machte nach seinem Amtsantritt Schlagzeilen, als er bekannt gab, dass er auf sein Gehalt als Bürgermeister verzichtet. Auch Sitzungsgelder und Aufsichtsratsbezüge nimmt er nicht an. Er lebt stattdessen von den Bezügen, die er als Delegierter im Regionalparlament bekommt. "Warum sollte ich zweimal kassieren? Ich kann mit einem Gehalt gut leben", sagt er. Für beide Jobs würde er insgesamt 100.000 Euro brutto jährlich bekommen, mit den 50.000 Euro Bürgermeistersold finanziert er Stipendien für Jugendliche aus Jávea. "Das ist nicht populistisch", wehrt er sich. "Es ist nicht zeitgemäß, zweimal zu kassieren." Er hält es vielmehr für zeitgemäß, maximale Transparenz zu schaffen. Als er sich ein neues Auto kaufte, einen weißen Golf, konnte jeder auf seiner Seite beim Netzwerk Facebook nachlesen, was ihn der Wagen gekostet hatte.

In seiner eigenen Partei gilt Chulvi als Rebell - nicht nur, weil sein Verzicht ein schlechtes Licht auf jene Kollegen wirft, die ohne mit der Wimper zu zucken zwei oder drei Gehälter einstreichen. Der junge Bürgermeister erregt auch Aufsehen, weil er die Bürger über neue Projekte abstimmen lässt. "Ich habe ihnen 15 Projekte vorgelegt und sie entscheiden lassen, in was wir investieren", sagt Chulvi. Am wichtigsten war den Bürgern die Sanierung einer Straße. In manchen Siedlungen, die seit Jahren bestehen, gibt es immer noch keine geteerten Zufahrten. Dafür wird es weder eine Gedenktafel noch eine Schirmherrschaft geben. Chulvi ist klar, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, nach der großen Fiesta aufzuräumen.

© SZ vom 02.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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