Urteil:In privaten Whatsapp-Chats ist längst nicht alles erlaubt

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Wer sich in Whatsapp-Gruppen rassistisch oder sexistisch äußert und zu Gewalt anstachelt, kann sich nur im Ausnahmefall auf Vertraulichkeit berufen. (Foto: Andrea Warnecke/dpa)

Sieben Kollegen beschimpfen ihren Chef in einer Chatgruppe, das wird öffentlich - und die Männer verlieren ihre Jobs. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden: Das kann rechtens sein.

Wie privat ist eine Chatgruppe bei Whatsapp wirklich? Und was hat es für Folgen, wenn Arbeitnehmer in so einer geschlossenen Gruppe Kollegen oder Chefs beleidigen - und das dann öffentlich wird? Mit diesen Fragen hat sich das Bundesarbeitsgericht befasst und am Donnerstag ein Grundsatzurteil gesprochen. Demnach können Mitglieder solcher Chatgruppen bei rassistischen Äußerungen oder derben Beleidigungen nur im Ausnahmefall auf den Schutz durch Vertraulichkeit setzen. Das hänge einerseits von der Art der Nachrichten und andererseits von der Größe der Gruppe ab. Ihnen kann demnach durchaus eine außerordentliche Kündigung drohen, wenn menschenverachtende Pöbeleien öffentlich werden, entschied das Gericht.

Deutschlands höchste Arbeitsrichter haben sich in dem Verfahren erstmals mit der Frage beschäftigt, ob eine eher kleine Whatsapp-Gruppe ein geschützter, privater Raum ist, in dem Vertraulichkeit gilt. In dem könnten dann dementsprechend Beschimpfungen oder Beleidigungen ohne arbeitsrechtliche Sanktionen ausgetauscht werden. Worum es konkret ging:

Der Fall

Bis zu sieben befreundete Arbeitskollegen der Fluggesellschaft Tui Fly, darunter zwei Brüder, bildeten über Jahre eine Whatsapp-Gruppe und tauschten darin fleißig Nachrichten auf ihren privaten Smartphones aus. Ihr Arbeitgeber geriet in Turbulenzen, Umstrukturierungen standen an. Mitglieder der Chatgruppe sollten 2022 in eine Transfergesellschaft wechseln. Dann aber wurde ein Teil ihres Chatverlaufs mit wüsten Beschimpfungen eines ihrer Chefs kopiert und gelangte zunächst an den Betriebsrat, dann an den Personalchef - immerhin ein 316-seitiges Dokument. Dessen Echtheit bestätigte einer der Beteiligten schriftlich, wie aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen von Dezember 2022 hervorgeht.

Die Reaktion des Arbeitgebers

Dem Personalchef des Unternehmens wurde beim Lesen einiges zugemutet: Die Chats enthielten beleidigende, rassistische, teilweise menschenverachtende und sexistische Äußerungen sowie Aufrufe zu Gewalt. Unter anderem ist von "in die Fresse hauen" die Rede. Der Arbeitgeber reagierte mit außerordentlichen Kündigungen, denen der Betriebsrat zustimmte. Die Betroffenen zogen vor Gericht, und zwar bis in die letzte Instanz.

Die rechtliche Bewertung

"Bei kleinen, geschlossenen Chatgruppen wie oft bei Whatsapp ist die bisherige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unterschiedlich", sagt der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Die Beleidigungen in dem Fall aus Niedersachsen bezeichnete er als krass und menschenverachtend. "Die Frage ist, ob das noch privat und damit geschützt ist." Chat-Inhalte könnten schließlich weitergeleitet und gespeichert werden. Beleidigungen mit betrieblichem Bezug sind Thüsing zufolge "ein klassischer Grund für außerordentliche Kündigungen".

Im konkreten Fall hatten das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen den Klagen der pöbelnden Arbeitnehmer in den Vorinstanzen stattgegeben. Der Arbeitgeber sollte ihnen Gehalt nachzahlen. Das Landesarbeitsgericht, das eine Revision zuließ, begründete seine Entscheidung so: "Äußerungen in einer privaten Chatgruppe genießen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertraulichkeit vertrauen durfte."

Nun jedoch stellt das Bundesarbeitsgericht klar: Sind menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige Gegenstand der Chat-Nachrichten - wie im konkreten Fall - dann "bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben".

Das Bundesarbeitsgericht hat die Sache jetzt an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurückverwiesen. Der Kläger hat Gelegenheit, darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Erwartung der Vertraulichkeit haben durfte.

Die sozialen Medien

Grobe Beleidigungen und Ehrverletzungen von Kollegen und Arbeitgebern in den sozialen Medien spielen nach Angaben des Arbeitsrechtlers Thüsing zunehmend eine Rolle bei Streitigkeiten vor Gerichten in Deutschland. Das Spektrum sei breit: von der Weiterleitung intimer Fotos von Kolleginnen bis zur Kündigung per Whatsapp. Eindeutig sei die Rechtsprechung inzwischen, "wenn Beleidigungen nicht im Schutz einer kleinen Chatgruppe ausgesprochen werden". Das könnte außerordentliche fristlose Kündigungen rechtfertigen.

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