Weltwirtschaft:Keine Zeit für Zukunft

IMF, World Bank annual meetings

Olaf Scholz (rechts) im Gespräch mit Großbritanniens Finanzminister Sajid Javid.

(Foto: AFP)

Die Weltwirtschaft lahmt, und schuld sind nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs immer die anderen. Statt über andere zu klagen, sollten sie die Strukturprobleme im eigenen Land angehen. Aber das scheuen sie - auch in Deutschland.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, Washington

Wenn etwas bleibt von der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds, dann ist es wohl diese eine Frage, die Teilnehmer selbst stellten: Wie kann man nur so blöd sein? Die Weltwirtschaft lahmt, und schuld daran sind weder finstere Mächte, noch geheimnisvolle Konjunkturzyklen, ja, nicht einmal zockende Banker. Schuld sind gewählte Staats- und Regierungschefs, die tatsächlich glauben, im Auftrag ihrer Bürger zu handeln, wenn sie den globalen Aufschwung zerschießen: Donald Trump, der Zoll-Terminator, Boris Johnson, Chaosbeauftragter für den britischen EU-Austritt, Recep Tayyip Erdoğan, Kriegsherr im ohnehin explosiven Nahen Osten. Sie alle sorgen dafür, dass sich weltweit kaum noch ein Manager traut, in eine neue Fabrik oder zusätzliches Personal zu investieren.

Nun kann man es sich natürlich so einfach machen wie Olaf Scholz, der bei der IWF-Tagung den Spieß schlicht umdrehte: Wenn Trump beim Handel beidrehe und Johnson sein Land doch noch geordnet aus der EU führe, so der Bundesfinanzminister, dann könne die Wirtschaftsentwicklung auch spürbar besser ausfallen als jetzt befürchtet. Ja, stimmt - oder aber es kommt alles noch schlimmer: dann nämlich, wenn Trump und Johnson ihre sieben Sinne wider Erwarten doch nicht beisammen bekommen und Deutschland auf die sich beschleunigende konjunkturelle Talfahrt nicht richtig vorbereitet ist.

Das gilt umso mehr, als Scholz gelegentlich selbst Teil des Problems statt der Lösung ist. Der Minister, der hier einmal stellvertretend für die gesamte Bundesregierung stehen soll, ist maßgeblich mitschuldig daran, dass in Deutschland seit Jahren zu wenig investiert wird, dass Produktivität und Wachstum lahmen und der viel zu hohe Exportüberschuss entgegen allen Zusagen nicht spürbar sinkt. Auch in Washington verbreitete Scholz wieder die Botschaft, es mangele Deutschland gar nicht am Geld für Schulen, Straßen und Digitalausbau, sondern vor allem an den nötigen Planungsbeamten. Das ist, mit Verlaub, das Argument einer Bananenrepublik, denn wer hält den Staat davon ab, mehr Beamte einzustellen? Entscheidend ist aber wohl ohnehin eher, dass viele arme Gemeinden Investitionszuschüsse des Bundes ablehnen, weil sie den verlangten Eigenanteil nicht aufbringen können.

Dass dringende Projekte aus formalen Gründen stocken, ist ein Armutszeugnis, zeigt aber auch, dass viele aktuelle Probleme nicht allein der Inkompetenz der Herren Trump und Johnson geschuldet, sondern struktureller Natur sind. Seit vielen Jahren türmen sich diese Strukturprobleme wie ein unüberwindliches Gebirge am Horizont auf und werden bei Ministertreffen doch weitgehend ignoriert - so auch bei dieser IWF-Tagung. Dazu zählen Klimawandel, alternde Gesellschaften, Ungleichheit, geringe Produktivitätszuwächse und zunehmende Monopolisierungstendenzen, etwa in der Tech-Industrie.

Die ganz großen Sprünge waren zuletzt Mangelware

Hauptbetroffene sind die saturierten Volkswirtschaften Europas, der USA und Japans, wo das Trendwachstum langsam zurückgeht, weil der Anteil der Ruheständler an der Bevölkerung steigt, während zugleich viele Beschäftigte an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Produktivitätsfortschritte, der Motor für Wachstum und höhere Löhne, lassen sich so nur noch durch technischen Fortschritt realisieren. Genau daran aber hapert es: Denn auch wenn man das Gefühl hat, die Welt wandle sich immer schneller, waren ganz große Sprünge zuletzt Mangelware. Hinzu kommt, dass sich die Gewinne des Fortschritts auf immer weniger Konzerne verteilen, während die breite Masse leer ausgeht. Die zugehörigen Namen lauten etwa Google, Facebook, Apple und Amazon.

Ökonomen setzen vor allem auf ein Mittel, um die Volkswirtschaften des Westens zu beleben - dummerweise ist es jedoch ausgerechnet dasjenige, das von Populisten am meisten diskreditiert wird: Zuwanderung. Mehr junge Zuwanderer gleich mehr Arbeitskräfte gleich mehr Konsumenten gleich mehr Wirtschaftsleistung, so lautet, vereinfacht, die Rechnung. Dass sie stimmt, zeigt der Fall USA, wo das Wachstum ja nicht deshalb höher ausfällt als in Europa, weil das Wetter besser wäre. Vielmehr wächst die Bevölkerung schneller - und zwar weniger wegen der leicht höheren Geburtenrate als wegen der deutlich höheren Migrationszahlen. Aber warum auf Fakten verweisen, wenn man, wie im Fall Trump, auch jemand anderen feiern kann: sich selbst zum Beispiel.

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