Welthandelsorganisation WTO:Der größte Marktplatz der Welt

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Container wie hier in New York sind Symbole des globalen Handels: Ob jetzt beim WTO-Treffen ein Welthandelsabkommen zustande kommt, ist eine offene Frage. (Foto: Craig Warga/Bloomberg)

In Nairobi ringen die Handelsminister um weitreichende Freihandelsabkommen. Das Ergebnis wird vom Vermittlergeschick des WTO-Chefs abhängen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Franzose Pascal Lamy ist ein Urgestein des Welthandels. Vierzehn Jahre lang versuchte er, die internationale Staatengemeinschaft zu einem Welthandelsabkommen zu treiben, zuerst als für Außenhandel zuständiger EU-Kommissar, von 2005 an als Chef der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Trotz diplomatischer Fertigkeiten und viel Engagement war ihm in seiner Amtszeit kein Erfolg vergönnt.

Ob es bei dem an diesem Dienstag in Nairobi beginnenden Ministertreffen der WTO-Länder gelingen wird, das ersehnte Welthandelsabkommen zu schließen, dazu wollte sich Lamy, inzwischen Ehrenpräsident des Jacques-Delors-Instituts in Paris, vorab nicht äußern. Nach Nairobi, so kündigte Lamy an, werde er erklären, ob die Welt nicht einen ganz neuen Typ Handelsabkommen nötig habe.

Europäer und Amerikaner stehen sich skeptisch gegenüber

Lamy stellt damit zur Disposition, ob ein multilaterales Freihandelsabkommen überhaupt noch zeitgemäß ist. Die Schwäche der WTO offenbart sich nicht nur daran, dass bis heute kein globales Abkommen unterzeichnet wurde. Sondern auch daran, dass inzwischen regionale und überregionale Abkommen riesige Freihandelszonen schaffen.

Die Europäische Union etwa treibt bilaterale Abkommen mit Kanada und den USA voran. Diese Länder wiederum sehen sich auch anderswo nach Partnern um. Anfang Oktober haben zwölf Anrainerstaaten des Pazifik mit 750 Millionen Einwohnern das bisher größte Freihandelsabkommen geschlossen, die transpazifische Partnerschaft (TPP). Die Freihandelszone umfasst 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, es sind wirtschaftliche Schwergewichte dabei wie die USA, Kanada, Australien und aufstrebende Länder wie Mexiko und Vietnam.

Nicht nur TPP zeigt: Der globale Handel hat sich seit dem Jahr 2001, als in Doha erstmals versucht wurde, ein weltweites Freihandelsabkommen zu schließen, deutlich verändert. Die Unternehmen haben sich international mehr und mehr vernetzt, es werden deutlich mehr Güter und Dienstleistungen ausgetauscht. Es gibt mehr Bereiche, in denen sich der Handel potenziell liberalisieren lässt. Der elektronische Warenaustausch entwickelt sich rasant, IT-Produkte werden gehandelt, die vor Jahren gar nicht auf der Agenda standen. Das bedeutet, dass die Zahl der Dossiers, die auf Ministerialkonferenzen der WTO-Länder verhandelt werden müssen, unübersichtlich groß wird.

Zudem ändern sich die Gegenstände der Verhandlungen. Standen zunächst tarifäre Handelshindernisse wie der Abbau von Zöllen auf Güter, greifen Freihandelsabkommen heute tief in politische Prozesse der Vertragsparteien ein. Die transpazifische Partnerschaft TPP umfasst Investitionsschutz, Rechte an geistigem Eigentum, Wettbewerbsregeln, Arbeits- und Umweltstandards. Dies bedeutet, dass auch Länder, die an TPP gar nicht beteiligt sind, wie Deutschland oder China, von deren Auswirkungen betroffen sind.

Die Länder der Europäischen Union, allen voran Deutschland, wollen auf TPP antworten, in dem sie mit den USA selbst ein Freihandelsabkommen abschließen. Rein rechnerisch würden es der europäische Binnenmarkt und der US-Markt zur weltgrößten Freihandelszone bringen, noch einmal deutlich größer als TPP.

Aber: Die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) kommen schleppend voran, auch, weil sich Europäer und Amerikaner skeptisch gegenüberstehen, wenn e s gilt, Datenschutzrechte, Gerichtsbarkeiten oder Arbeits- und Umweltstandards zu übernehmen. Dass Skepsis durchaus angebracht ist, zeigt der aktuelle Abgasskandal um Volkswagen. Die USA haben strengere Stickoxid-Vorgaben, die Europäer ambitioniertere Klimagas-Grenzwerte. Es erschiene logisch, dass sich beide auf den jeweils umweltfreundlicheren Standard einigten, schließlich sollen Standards angepasst werden. Umso verwunderlicher ist, dass in den Verhandlungen diese Standards überhaupt nicht erwähnt werden.

Ein Durchbruch ist möglich

Problematisch ist, dass die WTO mit der Erlaubnis, Freihandelsmärkte zu schaffen, das Prinzip der gegenseitigen Nichtdiskriminierung durchbricht. Wenn sich einige wenige Partner einen zollfreien Raum schaffen und Standards angleichen, ergattern sie sich Vorteile zulasten der nicht teilnehmenden Staaten, deren Dienstleistungen und Güter nicht von Abgaben befreit sind oder wegen unterschiedlicher Standards nicht gehandelt werden dürfen. Das führt zu zwei Effekten. Auch andere Staaten bemühen sich, Freihandelszonen zu schaffen, in denen allerdings wieder andere Standards gelten, was den weltweiten Verdrängungswettbewerb forciert. Zudem verlagert sich der Handel zunehmend in die Freihandelszonen.

Die WTO als ordnungspolitische Instanz steht in Nairobi vor der Aufgabe, die regionalen und überregionalen Freihandelsabkommen anzugleichen, so dass kein Handelspartner diskriminiert wird. Die USA und die EU als größte Märkte müssen zugleich deutlich machen, dass sie die WTO weiter für die zentrale globale Handelsinstanz halten. Durchaus möglich, dass der erfahrende Unterhändler Lamy ahnt, dass es in Nairobi einen Durchbruch geben könnte - wenn es gelingt, die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft einzubinden, die im Jahr 2016 auch die G-20-Präsidentschaft übernimmt: China.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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