Am Vormittag ist Leben in der Bude. Die "Bude" ist eigentlich ein luftiger Holzpavillon im Innenhof eines Häuserblocks. Darin tobt eine fröhliche Kinderhorde, das Gründach des Pavillons dämpft Lachen und Geschrei und schützt so die umgebenden Wohnungen. "Die Lärmvorschriften wurden ganz ordentlich ausgeknautscht, damit die gemischte Nutzung von Kitas, Gewerbe und Wohnen in einem Häuserblock genehmigt werden konnte", erklärt Marco Lohmann, Vorstandsvorsitzender der gemeinnützigen Baugenossenschaft Bergedorf Bille, die zusammen mit einem Projektentwickler das Karree in der Hamburger Hafencity gebaut hat. "Wir brauchten Sondergenehmigungen, um das alles so hinzubekommen", ergänzt Jürgen Bruns-Berentelg, Geschäftsführer der städtischen Hafencity Entwicklungsgesellschaft, und spricht von "einem Kunstgriff baurechtlicher Lösungen".
Gleich zwei Kindergärten für 200 Kinder sind im Erdgeschoss untergebracht, ein nobles 3-Sterne-Restaurant neben einem Asia-Imbiss, dazu ein Fitnessstudio und kurioserweise ein Fachgeschäft für Kirchenorgeln. In den sechs Stockwerken darüber befinden sich Arztpraxen, Büros und 160 Wohnungen - inklusive der ersten Sozialwohnungen des Stadtteils. "Das ergibt ein sehr buntes Bild auf kleiner Fläche, ein urbanes Miteinander", so Marco Lohmann. Möglich wurde das nur, weil die Planungsbehörde den Häuserblock im Bebauungsplan baurechtlich in zwei Baugebiete aufgeteilt hat, ein "Kerngebiet", in dem Gewerbe möglich ist und ein "Allgemeines Wohngebiet".
Solche kreativen Lösungen im Umgang mit dem restriktiven deutschen Baurecht sind in der Hafencity unumgänglich, da hier gewollt ist, was das Gesetz bislang noch nicht vorsieht: Urbane Mischung. Gut die Hälfte der Hafencity ist jetzt fertig gestellt, das heißt 1700 Wohnungen, 500 Unternehmen, Kitas, Schulen, zahlreiche Restaurants, Hotels, Galerien, Einzelhändler und Ärzte - eben alles, was eine "richtige" Stadt ausmacht.
Seit 2001 entsteht Hamburgs jüngster Stadtteil schrittweise im ehemaligen Freihafen als größtes Konversions- und Stadtentwicklungsprojekt Europas. Standen in den Anfangsjahren noch Büroimmobilien, Unternehmenszentralen und Luxuswohnungen im Vordergrund, folgen nun mehr und mehr bezahlbare Wohnungen, Grünflächen, Nahversorgung und soziale Infrastruktur. In zehn Jahren sollen hier etwa 12 000 Menschen wohnen und 40 000 arbeiten.
Stadtplaner streben urbane Dichte und fußläufige Erreichbarkeit an
"Für die weitere Entwicklung wäre eine Änderung des Baurechts wünschenswert", sagt Jürgen Bruns-Berentelg. "Das aktuelle Baurecht ist darauf ausgelegt, alle Nutzungen möglichst zu trennen, nichts darf stören." Doch heute ziehen die Menschen wieder in die Zentren, gerade weil sie hier Leben und vielfältige Angebote vor der Haustür haben. Unter Stadtplanern gelten daher "urbane Dichte" und "fußläufige Erreichbarkeit" in der "durchmischten Stadt" als neues Leitbild.
Nicht nur die Hafencity folgt diesem Trend. In Hamburg-Altona wird der Fernbahnhof verlagert, um den neuen Stadtteil Mitte Altona zu schaffen. Einige Gleise wurden bereits beseitigt und mit dem Bau erster Wohnungen und Gewerbeflächen begonnen. Bei der Grundsteinlegung im Februar sprach Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz von der "einmaligen Gelegenheit, einen Stadtteil so zu bauen, wie wir ihn uns für die Zukunft vorstellen: urban und grün, kinderfreundlich und bezahlbar, ökologisch, barrierefrei und sozial gemischt".
Weitere neue Stadtteile entstehen außerdem im Süden und Osten von Hamburg. In Berlin, das wie Hamburg und viele andere Großstädte boomt, sollen sogar gleich zwölf neue Stadtteile für insgesamt 100 000 Menschen geschaffen werden, wie Engelbert Lütke Daldrup vor Kurzem auf einer Fachkonferenz in Hamburg erläuterte. Der Berliner Staatssekretär für Bauen und Wohnen sprach von einem Paradigmenwechsel in der Berliner Stadtplanung, weil erstmals nach 20 Jahren wieder neue Viertel auf der grünen Wiese entstehen ( Interview mit Engelbert Lütke).
Innenverdichtung und gleichzeitig Stadterweiterung in den Außenbezirken sind die zwei Strategien, mit denen viele Städte auf den anhaltenden Zuzug und die steigende Popularität ihrer Zentren reagieren. Und immer lautet der Anspruch: Urbanität durch Dichte und Mischung. Das ist aktuell der Tenor auf vielen Konferenzen und Symposien wie der Fachkonferenz "Wohnen in Hamburg 2030", zu der die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Ende April eingeladen hatte. Die Wunschliste an die Gastgeberin, Stadtwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt, war denn auch relativ kurz: Teilweise Aufhebung der baurechtlichen Trennung in Wohngebiete und Gewerbegebiete, Erhöhung der zulässigen Baudichte und Beschleunigung der Planungsverfahren.
Als Landesministerin konnte Dorothee Stapelfeldt keine Abhilfe versprechen, beschrieb aber ihr Ziel, auch in den Neubauvierteln "ein Mehr an funktionaler Nutzungsmischung und sozialer Vielfalt zu erreichen. Wir wollen mehr Stadt in der Stadt." Um dies in Zukunft einfacher erreichen zu können, hat ihre Stadtentwicklungsbehörde vergangenes Jahr auf der Bauministerkonferenz eine Initiative zur Änderung des Baugesetzbuchs gestartet (siehe Artikel "Urbane Zeiten").
Beispiel Rieselfeld in Freiburg: Hier wurde Innenstadt am Stadtrand simuliert
Profitieren könnten davon nicht nur boomende Metropolen, sondern auch kleinere Schwarmstädte wie Münster oder Freiburg. Die badische Universitätsstadt gilt als einer der Vorreiter in der Entwicklung urbaner Neubauquartiere. Neben dem bekannten Öko-Quartier Vauban ist der Stadtteil Rieselfeld besonders bemerkenswert, wo ein neues Viertel für 10 000 Einwohner entstanden ist - samt Straßenbahn, Marktplatz, Kirche, Schulen, Arztpraxen, Cafés, vielfältigem Einzelhandel und inzwischen etwa 1000 Arbeitsplätzen.
Die Planungen dazu begannen 1992, und jetzt im Juni wird der Schlussstein fertig gestellt: Das schlicht "Rieselfeld 1" genannte Bürogebäude am Eingang des Stadtteils.
Bewusst wurde Rieselfeld als gemischter Stadtteil angelegt, in dem die sozial sehr heterogene Bevölkerung möglichst alle Angebote des täglichen Bedarfs in der unmittelbaren Nachbarschaft findet. Um Urbanität zu erzeugen, wurde neben der Nutzungsmischung auch relativ dicht und bis zu sechsgeschossig gebaut. Einfamilienhäuser findet man hier kaum. Obwohl Rieselfeld am Stadtrand von Freiburg liegt, ist es aufgrund seines städtischen Charakters nicht mit den monotonen Stadterweiterungsgebieten früherer Jahrzehnte zu vergleichen. Hier wurde gewissermaßen Innenstadt am Stadtrand simuliert. Zu Baubeginn vor 20 Jahren war Freiburg damit seiner Zeit voraus. Heute macht diese Idee überall Schule - in Deutschland und darüber hinaus.
In Wien etwa wird aktuell die Seestadt Aspern auf dem Gelände eines ehemaligen Flugfelds im 22. Bezirk realisiert. Rund um einen künstlich angelegten See entsteht "eine große Vielfalt mit allen Arten von Angeboten: Wohnen, Büros, Gewerbe und ein Bildungscampus für Wissenschaft und Forschung, Märkte und ein Theater am See", wie Brigitte Jilka, Wiens Stadtbaudirektorin, auf der Konferenz in Hamburg erklärte. 20 000 Arbeitsplätze sollen hier entstehen, und 20 000 Menschen sollen auch hier wohnen. Wie überall in den heute geplanten urbanen Vierteln gelten die Erdgeschosszonen als entscheidend. Um möglichst belebte Straßenräume zu schaffen, vergibt eine Steuerungsgruppe die Ladenlokale an vorher definierte Branchen. "Wenn jemand anfragt, der aus der falschen Branche kommt, dann muss er einfach warten, bis in der Gegend seine Branche drankommt, um den Mix zu garantieren", erklärt Jilka das Verfahren in Wien.
In Rotterdam ist mit Kop Van Zuid aus einem früheren Hafenareal ein vitaler neuer Stadtteil mit vielfältiger Nutzungsmischung entstanden. Vergleichbare Projekte gibt es in Kopenhagen, Malmö oder auch in Bremen.
Ist Urbanität planbar oder ist Mischen impossible? Immer mehr europäische Städte zeigen, dass es funktionieren kann.