Volkswagen:Zurück in der Wagenburg

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Die ständige Krisenbewältigung der vergangenen Monate hätten ihn geschafft, berichten Kollegen über VW-Chef Matthias Müller. Noch aber halten die meisten ihn für den Richtigen. (Foto: Lisi Niesner/Bloomberg)

Er beschimpft Kunden, rüpelt gegen die Medien, redet Probleme klein: Konzernchef Müller hat sich schnell an die VW-Kultur angepasst. Was ihn retten könnte: Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Von Thomas Fromm und Max Hägler, München/Stuttgart

So ganz genau wussten auch die eigenen Leute in Wolfsburg nicht, was da jetzt wieder los war mit ihrem Chef. Selbstironie? Gezielte Medienschelte? Ein Ausrutscher? Überzeugung? Fragen, die man sich bei VW-Chef Matthias Müller stellen muss, Denn so ganz genau weiß man es nie bei ihm.

"Mir ist klar, wie frustrierend es ist, wenn man immer wieder in der Zeitung lesen muss, dass man in einem Unternehmen arbeitet, wo nichts passt", erklärte der Topmanager am Mittwoch bei einer Betriebsversammlung im Wolfsburger Werk. Es sei frustrierend, dass die VWler lesen müssten, dass sie in einem Unternehmen arbeiteten, "wo vermeintlich gierige Manager sich die Taschen voll machen auf Kosten der Mannschaft. Wo der Vorstandsvorsitzende angeblich die eigenen Kunden beschimpft. Wo man die Zukunft schon seit Jahren hoffnungslos verpennt habe." Dabei habe das von den Medien gezeichnete Bild nichts mit der Realität zu tun.

Laut Manuskript sagte Müller: "Das sind nicht wir!"

Nur: Wer ist dieses "wir" eigentlich? Selbsteinschätzung und öffentliche Meinung klafften bei VW immer wieder mal auseinander, noch nie aber fielen sie so weit auseinander wie heute, knapp anderthalb Jahre nach Beginn der Dieselkrise.

Warum sagt Müller so etwas? Weil es bei den Mitarbeitern gut ankommt, wenn ihr Chef direkt ist, glauben sie bei VW. Ihr da draußen, wir hier drinnen - Müller ist ein direkter Typ und er beherrscht die Wagenburg-Rhetorik. Andererseits: Was innen ankommt, wirkt nach außen ganz anders. Verletzend. Destruktiv. Auch wohlgesonnene Leute sagen: Noch mehr von diesen Patzern schadeten dem Unternehmen.

Das Jungenhafte, Schelmische, das Müller früher hatte - alles weg

Chronologie einer Kommunikation in der Krise: Im Januar erklärt Müller bei der Automesse in Detroit, dass VW in der Dieselaffäre kein "ethisches Problem" habe, sondern ein "technisches". Die Amerikaner waren, vorsichtig gesagt, "not amused". Vor einigen Tagen dann löste er mit einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wieder einige Empörung aus. Er erklärte darin, warum Kunden in Europa - anders als in den USA - nicht entschädigt werden. Müller fand: In Deutschland würde man die amerikanischen Gesetze gerne kritisieren, aber wenn es darum gehe, "selbst Vorteile daraus zu ziehen, scheint das amerikanische Recht auf einmal der richtige Weg zu sein". Und zu dem Vorwurf, die deutschen Autokonzerne hätten die Elektromobilität verschlafen, sagte er: Viele Deutsche handelten zwar "im Alltag grün", aber beim Thema E-Mobilität habe man "spitze Finger".

Nicht wenige im Konzern bekamen die Krise. Hatte da gerade jemand die Kunden beschimpft und ihnen Doppelmoral vorgeworfen? Ein Weggefährte Müllers stellt verärgert fest: Das Führungsteam sei dabei gewesen, "das Krebsgeschwür bei VW herauszuoperieren", das den Konzern vor langer Zeit erfasst hatte, diese alte Überheblichkeit gegenüber allem und jedem. "Jetzt streut der Krebs wieder."

Niedersachsens Landtagspräsident Bernd Busemann ging Müller direkt an. Dass die Kunden Schuld hätten am schleppenden Elektroauto-Verkauf, das sei nicht nachvollziehbar, sagte der CDU-Politiker: "Müllers Aussage ist eine Dummheit, die der kleinste Gemischtwarenhändler nicht begehen würde. Der Kunde ist König."

In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung teilte er dann kräftig aus: "Ich habe aber doch den Eindruck, dass die Führungsriege trotz aller Lippenbekenntnisse glaubt, man komme mit dieser Haltung doch schon irgendwie durch." Das ist die Frage: Kommt er damit durch, der VW-Chef? Oder ist Müller gerade dabei, nach einem durchwachsenen Jahr der Krisenbewältigung den Konzern und sich selbst ins Abseits zu manövrieren?

Leute im Konzern berichten, die vergangenen Monate hätten ihn geschafft. Immer mehr Entscheidungen, immer weniger Zeit zum Diskutieren, mit der Arbeitslast am Anschlag. Diese Dieselmonate, in denen die Dinge nur scheibchenweise vorangehen, und die internen Widerstände gegen den Umbau des Konzerns - das alles nerve ihn massiv. Man spürt es: Das Jungenhafte, Schelmische, das er früher als Porsche-Chef noch hatte - alles weg.

Aus Müller, der schon früher verletzend sein konnte, ist ein sehr ruppiger, vielleicht auch selbst verletzter Manager geworden. Noch aber halten die meisten zu ihm, erfuhr die Süddeutsche Zeitung aus Konzernkreisen. "Müller hat eine enorme Rückendeckung vom Betriebsrat und von den Eigentümerfamilien Porsche und Piech", sagt ein Insider und man gehe davon aus, dass der 63-Jährige seinen Vertrag bis zum Jahr 2020 erfülle. Andere, die auch nah dran sind, sprechen genauso.

Dass das so ist, muss nicht unbedingt nur an Müller selbst liegen. Zwar sind auch Müller und der mächtige Betriebsratschef Bernd Osterloh nicht immer einer Meinung. Dennoch steht Osterloh hinter Müller.

Denn der mögliche Nachfolger, der amtierende VW-Markenchef Herbert Diess, behagt ihm gar nicht. Der Mann mit dem Ruf eines knallharten Sanierers wurde im Sommer 2015 von BMW zu VW geholt, um die schwache Brot- und Buttermarke mit Modellen wie dem Passat und dem Golf aufzupäppeln. Er ist derjenige, der monatelang mit Osterloh über den so genannten Zukunftspakt verhandelt hatte, der zwar einerseits Investitionen in die Elektromobilität, aber eben auch den Abbau von 30 000 Jobs in den kommenden Jahren vorsieht. Die Verhandlungen sollen hart gewesen sein. Diess, der in der Münchner BMW-Kultur sozialisiert wurde, weiß seitdem, mit wem er es in Wolfsburg zu tun hat. Aber auch Osterloh weiß nun, wie Diess tickt: Anders als die Männer, mit denen er sonst zu tun hat. Als Diess neulich in Wolfsburg vor die Mikrofone trat, um die Verhandlungsergebnisse des Zukunftspakts vorzustellen, sagte er Bemerkenswertes. Die Marke solle "zugänglicher und sympathischer werden", kündigte er an. "Arroganz gehört der Vergangenheit an." Was meinte er damit? Jahrzehntelange Konzerngeschichte? Seine eigene Verhandlungsstrategie der vergangenen Wochen? Oder aber: Matthias Müller?

In Konzernkreisen weiß man natürlich um die kommunikativen Schwächen des Chefs. "Er ist immer noch ungeschickt", sagt einer, der nah dran ist. "Nicht alles läuft mit der notwendigen Geschmeidigkeit" und man befürchte, dass man hier "noch einige Klippen voraus" habe: "Der wird kein Kommunikations-Kunststück mehr", heißt es.

Andererseits: Viele andere Kandidaten für "diesen Höllenjob" in Wolfsburg gibt es eben nicht.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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