Volkswagen:Frei, aber nicht befreit

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Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler darf das Gefängnis verlassen - gegen Hinterlegung einer hohen Kaution. Mehr als vier Monate saß er in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird in der Abgasaffäre weiter ermittelt.

Von Klaus Ott

Den ganzen Sommer hat Rupert Stadler im Gefängnis gesessen, bis in den Herbst. Vom Chefsessel bei Audi in Ingolstadt direkt in Untersuchungshaft, schlimmer hätte es für einen langjährigen Spitzenmann der deutschen Autoindustrie in der Abgasaffäre kaum kommen können. Jetzt aber, nach fast viereinhalb Monaten hinter Gittern, ist Stadler wieder frei. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am Dienstag entschieden, dass er gegen eine Kaution in Millionenhöhe die Justizvollzugsanstalt in Augsburg-Gablingen verlassen darf. Von dort dauert es nur eine Autostunde bis nach Hause in Ingolstadt, allerdings ist es für Stadler nur eine halbe Rückkehr. Den Vorstandsvorsitz bei der Volkswagen-Tochter Audi musste er in der Zwischenzeit abgeben. Und ermittelt wird wegen des Vorwurfs des Betrugs nach wie vor gegen den früheren Audi-Chef. Es bestehe weiterhin ein "dringender Tatverdacht", befand das OLG.

Stadler ist frei, aber er ist deshalb nicht aus dem Schneider. Der Haftbefehl gegen ihn ist nur außer Vollzug gesetzt, aber nicht aufgehoben. Wie es für den früheren Vorstandschef und die 19 anderen Beschuldigungen im Fall Audi weiter geht, wird sich im nächsten Jahr zeigen, wenn die Staatsanwaltschaft München II das Ermittlungsverfahren zumindest teilweise abschließen will. Dass eine Anklage kommt, gilt in Justizkreisen angesichts der vielen Erkenntnisse über jahrelange Manipulationen von Diesel-Fahrzeugen bei Audi als sicher. Fraglich ist offenbar nur noch, wen es treffen wird. Vielleicht einzelne Ingenieure, die Autos so programmiert haben, dass sie bei den Messungen der Behörden auf einem Prüfstand wenig und auf der Straße viele gesundheitsschädliche Stickoxide ausstoßen. Vielleicht aber auch einzelne Manager bis hin zu Stadler.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm und den anderen Verdächtigen vor, Hunderttausende Kunden betrogen zu haben, denen schmutzige Diesel-Fahrzeuge als saubere Autos verkauft worden seien. Zudem soll Stadler versucht haben, die Ermittlungen zu verhindern. Verdunkelung wird das genannt, und das war auch der Grund für die Untersuchungshaft. Wie schon zuvor bei Wolfgang Hatz, ehedem Leiter der Aggregate-Entwicklung bei Audi und später Entwicklungsvorstand bei Porsche, einer anderen VW-Tochter. Hatz hat sogar neun Monate in Untersuchungshaft gesessen. Beide, Hatz wie Stadler, bestreiten die Vorwürfe. Sie hätten weder betrogen noch vertuscht oder verdunkelt.

Bei beiden hat die Münchner Justiz erst Härte gezeigt und lässt jetzt Milde walten, allerdings unter Auflagen. Um freizukommen, musste Hatz Mitte des Jahres drei Millionen Euro hinterlegen. Vergangene Woche halbierte das Amtsgericht München die Kaution auf 1,5 Millionen Euro. Das bestätigte Peter Gauweiler, einer der Verteidiger von Hatz, auf Anfrage. Drei Millionen, so viel wie zuerst bei Hatz, soll auch Stadlers Kaution betragen. Zur Höhe der Kaution wollten sich weder sein Verteidiger noch die Justiz äußern. Und noch eine Auflage verfügte das OLG für beide Beschuldigte: ein Kontaktverbot zu Personen, die für die Aufklärung der Affäre wichtig sind. Das soll verhindern, dass Stadler oder Hatz sich mit heutigen oder früheren Managern oder Mitarbeitern absprechen und so die Suche nach der Wahrheit erschweren könnten. Als Stadler ins Gefängnis kam und Hatz noch drin war, ordnete die Staatsanwaltschaft an, dass beide getrennt voneinander unterzubringen seien. Was insofern kein Problem war, als Hatz erst in München-Stadelheim saß und später nach einer Operation zur Reha am Tegernsee weilte, während Stadler nach Augsburg-Gablingen kam.

Die Ermittlungen im Fall Audi sind weit gediehen. Vertuschen ließe sich nicht mehr viel

Von Kontaktverboten, wie sie für beide Verdächtigte verordnet wurden, halten Staatsanwälte eigentlich nicht viel. Weil das schwer zu überwachen sei. Im Fall Audi sind die Ermittlungen aber offenbar so weit fortgeschritten, dass es nicht mehr viel zu verdunkeln gibt. So hat, unter anderem, das OLG München die Freilassung von Hatz begründet. So ähnlich findet sich das offenbar auf im Beschluss des Oberlandesgerichtes zu Stadler. Bei ihm kommt hinzu, dass er wegen seines Ausscheidens bei Audi dort gar nicht mehr auf Zeugen einwirken könnte. Und dass Fluchtgefahr bestehe, das ist oft auch ein Grund für Untersuchungshaft, haben die Behörden bei Stadler sowieso nicht angenommen, anders als bei Hatz. Wer im Verdacht steht, in die Abgasaffäre verwickelt zu sein, wird sich ohnehin hüten, Deutschland zu verlassen. Die Justizbehörden in den USA haben zwei frühere VW-Beschäftigte bereits eingesperrt und fahnden weltweit nach weiteren Ex-Managern bis hin zum ehemaligen Konzernchef Martin Winterkorn. Die Bundesrepublik liefert deutsche Staatsbürger aber nicht aus. Anwälte von Beschuldigten in der Abgasaffäre raten ihren Mandanten dringend, im Lande zu bleiben und nicht zu riskieren, in einem anderen Staat aufgegriffen und nach Übersee überstellt werden. Zurück zu Stadler. Der frühere Audi-Vorstandschef hat sich Mitte des Jahres im Gefängnis in Augsburg-Gablingen mehrmals vernehmen lassen. Den Staatsanwälten, die ihn verhörten, versuchte er wortreich zu erklären, warum er zu Unrecht im Gefängnis sitze. Dreh- und Angelpunkt war ein von den Ermittlern abgehörten Telefonat. Der damalige Audi-Chef hatte im Gespräch mit einem anderen Konzernmanagern erwogen, einen Beschäftigten beurlauben zu lassen, der möglicherweise mit Staatsanwälten kooperiert hat. Es ging um Ermittlungen bei der VW-Tochter Porsche, bei denen ein Audi-Mann geholfen haben könnte.

Stadler sagte dazu bei den Vernehmungen, er habe kein Problem, wenn Mitarbeiter mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiteten. Er hätte das nur gerne gewusst. Die Vernehmungsbeamten überzeugte das nicht. Sie verdächtigten Stadler, er habe ihnen in die Quere kommen wollen, und hakten immer wieder nach. Diese Frage sei nicht beantwortet, und jene auch noch nicht. Die Beamten ersparten Stadler auch nicht den Hinweis, seine Angaben müssten schon nachvollziehbar sein. An anderer Stelle fragte einer der Ermittler offenbar ziemlich barsch, ob der damalige Noch-Audi-Chef ihm, dem Vernehmungsbeamten, jetzt eine Antwort geben wolle. So ging das stundenlang hin und her. Und so schnell werden die Staatsanwälte bei Stadler auch jetzt nicht locker lassen.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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