Volkswagen:Aufruhr in Wolfsburg

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VW-Vorstandschef Herbert Diess will seinen Vertrag vorzeitig verlängern, um seine Position im Konzern zu stärken. (Foto: Silas Stein/pa/dpa)

VW-Chef Herbert Diess will noch mehr Macht: Das Ego des streitlustigen Vorstandschefs bringt die Aufsichtsräte zur Weißglut.

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Hamburg/München

Es war ein hektisch angesetzter Termin am Dienstagabend in Wolfsburg, außerhalb des regulären Terminkalenders. Das Präsidium des VW-Aufsichtsrates kam zusammen, um über ein einziges Thema zu beraten: Was ist mit dem Vorstandschef? Will Herbert Diess gehen? Muss er gehen? Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den engsten Zirkel um persönliches Erscheinen bittet, Coronavirus hin oder her.

Das Szenario kommt Beobachtern bekannt vor, denn es ist nicht das erste Mal, dass um den Verbleib von Diess im Vorstandsvorsitz gerungen wird. Erst im Frühsommer war es richtig eng für ihn. Damals hatte Diess, erzürnt darüber, dass Unternehmensinterna ständig nach außen dringen, seinen Aufsichtsräten "Rechtsbruch" vorgeworfen - ein Affront. Mit einer öffentlichen Entschuldigung rettete er in allerletzter Sekunde seinen Job.

Ein halbes Jahr später nun wieder ein Showdown. Warum? Kern der Konflikts ist, genau wie im Frühjahr: Diess verlangt eine vorzeitige Verlängerung seines noch mehr als zwei Jahre laufenden Vertrages, bis 2025. In erster Linie stellt er damit die Vertrauensfrage - auch weil er Schwierigkeiten hat, offene Vorstandsposten nach seinen Vorstellungen zu besetzen, weil ihm der Umbau des Konzerns zu langsam geht. Was anders ist als im Frühjahr: Diesmal spielt Diess bewusst im halböffentlichen Raum; er hat seinen Wunsch lanciert, wenn auch nicht ganz direkt. Und im Raum steht auch, dass er hinschmeißt, wenn er nicht bekommt, was er will.

Ist das ein Zeichen von Führungsstärke? Oder ein dreister Erpressungsversuch? Diess, das steht außer Frage, ist ein Mann, der mit Harmonie nicht viel anfangen kann. Der glaubt, nur wenn man die Dinge in Unruhe versetzt, könne man sie auch verändern. Besser machen. Nach vorne bringen. Und er will Volkswagen von einem Autokonzern mit vielen Marken zu einem Digitalunternehmen mit fahrenden Computern machen, so wie Tesla es ist, sein großes Vorbild. In den vergangenen Tagen hat er das noch einmal sehr deutlich und umfangreich kundgetan.

Diess will "alte verkrustete Strukturen" aufbrechen

Das finden die meisten in diesem Konzern prinzipiell richtig, 150 Milliarden Euro hat Diess eben erst bewilligt bekommen als Investitionsbudget für die kommenden fünf Jahre. Auch der mächtigste Mann im Konzern, Betriebsratschef Bernd Osterloh, hat zugestimmt, er hält den Weg hin zu mehr Elektroautos und mehr Digitalisierung für den richtigen. Aber der oberste Arbeitnehmervertreter im größten Industriekonzern Europas sorgt sich um Arbeitsplätze, und er ist genervt von Diess' Führungsstil. Der sagt, er wolle nur "alte verkrustete Strukturen aubrechen und das Unternehmen agiler und moderner aufstellen". Osterloh hört: ein drohendes Kostensenkungsprogramm. Auch deswegen blockiert er die Personalwünsche von Diess. Dessen Umfeld argumentiert: So könne man nicht arbeiten.

Das ist die Ausgangslage, die Aufsichtsräte kommen spät abends am Flughafen Braunschweig zusammen. Diess trägt seine Anliegen vor: Die Vertragsverlängerung, einen schärferen Sparkurs, die zwei Wunschkandidaten im Vorstand. Alles auf Spannung.

Zur Wahrheit gehört auch: Dass Diess schon wieder in einem Machtkampf ist, im ultimativen, kaum ein halbes Jahr, nachdem er mit Ach und Krach seinen Job retten konnte, liegt wohl auch an seinem angeknackste Ego. Es störe ihn wahnsinnig, dass er nach den Turbulenzen im Frühjahr nun in der Öffentlichkeit als angeschlagen gelte, hört man aus seinem Umfeld. Würde sein Vertrag nun vorzeitig verlängert, so sieht das Diess, würde dieser Makel korrigiert. Dann gebe es keinen Zweifel mehr daran, dass er den Aufsichtsrat hinter sich habe. Dann könne er sich besser durchsetzen. Zudem ist da sein Wunsch, eine Ära zu prägen. Diess' Vertrag läuft bis Frühjahr 2023, und zuletzt war im Umfeld des Unternehmens deutlich zu hören, dass eine Verlängerung darüber hinaus "sehr sehr unwahrscheinlich" sei. Aus Sicht vieler Aufsichtsräte ist Diess genau der Richtige, um jetzt Veränderungen anzustoßen, die schmerzhaft sind. Aber um das Unternehmen irgendwann wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bekommen, hoffen viele auf einen konzilianteren Typ als Nachfolger. Auf einen, der nicht alle paar Monate eine Krisensitzung provoziert. Diess weiß das genau - er braucht also einen Coup, um sich eine Vertragsverlängerung zu sichern. Aus seiner Sicht ist der Moment günstig: VW hat kein Interesse an einem Chefwechsel, potenzielle Nachfolgekandidaten sind noch nicht in Lauerstellung. Das könnte in zwei Jahren anders sein.

Er braucht einen Coup

Gelingt ihm also der ultimative Coup? Oder wird er scheitern? Wird die Ära Diess vorzeitig enden, weil er sich verpokert hat? Die Beratungen dauern drei Stunden, die Stimmung ist nervös. Währenddessen dringt nichts nach außen, das gibt es bei diesem klatschsüchtigen Konzern so gut wie nie. Am Ende geht die Runde auseinander: Diess ist noch im Amt. Aber die Vertragsverlängerung hat er nicht durchgesetzt, vielleicht nur noch nicht. Es werde in den nächsten Tagen über seine Anliegen beraten werden, hört man aus dem Konzernumfeld. Ein offizielles Statement gibt Volkswagen nicht ab - dennoch hört man von einem gewissen Unbehagen aufgrund seiner aggressiven Strategie. Manche Aufsichtsräte fühlen sich offensichtlich doch erpresst von Diess' Ansage: Erfüllt meine Wünsche, sonst schmeiße ich hin. Ob das gut geht? Es wird, so viel steht fest, Volkswagen auch noch in den nächsten Tagen beschäftigen. Mindestens.

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