Versicherungen:Hallo, ich muss ausgetauscht werden

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Sensoren melden, wenn Maschinen Ersatzteile benötigen. Die Industrie verbaut sie vermehrt - das verändert nicht nur diese Branche.

Von Christian Bellmann und Herbert Fromme, Köln

Der weltweit größte Rückversicherer Swiss Re und das japanische Maschinenbauunternehmen Hitachi tun sich zusammen. Sie wollen gemeinsam Industriekonzernen und Mittelständlern Systeme anbieten, die mittels Sensoren den Ausfall von Maschinen minimieren. Kommt es trotzdem zum Schaden, zahlt der Versicherer. "Internet of Things" (IoT) oder Internet der Dinge ist das Zauberwort.

Bislang kalkulieren die Versicherer vor allem auf Basis statistischer Auswertungen früherer Schäden. Das ändert sich bei der neuen Partnerschaft, sagt Andreas Berger, Vorstand der Swiss Re und Chef ihrer Industrieversicherungsabteilung Swiss Re Corporate Solutions. "Es geht bei den IoT-Partnerschaften um vorausschauende Risikoanalyse, das ist eine vollkommen andere Form der Risikobewertung."

Der Schritt ist Teil einer stillen Revolution in den Werkhallen. Die Industrie rüstet Maschinen mit Sensoren aus, die den Zustand des Geräts kontinuierlich messen. Sie melden zum Beispiel, dass in zwei Wochen wahrscheinlich ein Kugellager ausfällt - dann kann ein Techniker es rechtzeitig austauschen. Sie registrieren eine kleine Fehlfunktion oder eine ungewöhnliche Erschütterung und sorgen dafür, dass die Maschine angehalten wird, ehe ein größerer Schaden entsteht.

Sensorik gehört zu den großen Trends in der Industrie. Oft gilt sie als zu teuer oder zu komplex. Und für alte Systeme taugt sie schon mal gar nicht, heißt es, was ihre Unterstützer aber bestreiten. Klar ist - die Sensorik kommt. Turbinen, Druckgussmaschinen oder Windkrafträder kosten viele Millionen Euro, der Verzicht auf die Hilfsmittel kann fatale Folgen haben.

Denn kein Automobilzulieferer kann es sich leisten, zu spät zu liefern, sonst ist er bei den Herstellern schnell draußen. Um die Produktion präzise zu planen und ein verlässlicher Partner in den eng getakteten globalen Lieferketten zu sein, brauchen die Unternehmen dringend Maschinen, die selbsttätig Alarm schlagen, wenn es Wartungsbedarf und drohende Defekte gibt. Auch Maschinenhersteller brauchen die Daten. Sie bieten gerne Ausrüstung auf Leihbasis an. Steht das Gerät still, fließt keine Miete. Deshalb sind auch sie Fans der Sensoren.

Wenn Maschinen zuverlässiger sind, werden Schäden immer seltener

Für die Versicherer ist das eine schlechte Nachricht. Denn sobald Maschinen immer sicherer und zuverlässiger und dadurch Schäden immer seltener werden, sinkt die Nachfrage der Industrie nach Versicherungsschutz. Das reduziert die Prämieneinnahmen. Ohne Schaden keine Versicherung: Weniger defekte Maschinen, das bedeutet auch weniger Geschäft mit Maschinenschadenpolicen und eine geringere Nachfrage nach Betriebsunterbrechungsverträgen. Und wenn dieses Kerngeschäft schon negativ betroffen ist, könne man wenigstens mit der Erfahrung und den Daten an der Einführung der Sensorik teilnehmen und so noch etwas verdienen, sagen sich große Versicherer.

Die Munich Re hat 2018 ein Joint Venture mit Bosch gestartet, um Pilotprojekte voranzubringen, und bietet mit dem Roboterbauer Kuka und der Porsche-Beratungstochter MHP Sensorik-Projekte an. 2018 übernahm der Rückversicherer das Berliner Technologieunternehmen Relayr, das sich auf Sensoren für ältere Maschinen spezialisiert hat. Relayr macht sie "intelligent".

Gerade für die Rückversicherer ist das Thema Sensorik von großer Bedeutung. Sie machen nicht nur Geschäft mit Erstversicherern wie Allianz oder HDI, die ihrerseits Unternehmen versichern, sondern sind in der Regel auch direkt in der Versicherung von großen Konzernen aktiv. Außerdem verfügen sie über gewaltige Datenbestände, die bei der Bewertung der künftigen Risiken helfen.

Swiss Re kann durch die Kooperation mit Hitachi in dem umkämpften Geschäftsfeld einen größeren Erfolg verbuchen. Das japanische Unternehmen ist weit diversifiziert und baut vieles, von Druckgussmaschinen für Kfz-Zulieferer bis zu Schaufelradbaggern für Baukonzerne und Tagebauten. Der Konzern bietet mit seinen Maschinen auch die präventive Wartung über Sensoren an, die ihre Daten an spezielle Programme liefern. "Dabei werden statistische Modellierungen und Algorithmen verwendet", sagt Berger. "Da gibt es ein Algorithmus-Risiko." Das heißt: Wenn Daten fehlerhaft sind, es Programmfehler gibt oder die Interpretation der Daten falsch ist, zahlen die Schweizer.

Künftig sind die Systeme der Gesellschaft direkt mit den Maschinen und der Hitachi-Software verbunden. Berger hat große Erwartungen: "Wir haben das Potenzial hochgerechnet, es handelt sich um einen entstehenden Milliardenmarkt." Er weiß aber auch, dass sein Unternehmen so etwas nicht allein stemmen kann. "Wenn man an die Zukunft denkt, muss man an Innovationen, Technologien und Daten denken", sagt er. "Das funktioniert aber nur über Partnerschaften."

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