Versandhaus in Not:Der Mann an der Quelle

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"Dieses Schlachtschiff ist einfach zu groß": Quelle-Insolvenzverwalter Jörg Nerlich versucht beim insolventen Versandunternehmen zu retten, was zu retten ist.

Uwe Ritzer

Es gab eine Zeit, da kümmerte sich Jörg Nerlich persönlich um die Bestellung von Inkontinenzwindeln. Ein Seniorenheim war in Konkurs gegangen und das zuständige Gericht hatte den Kölner Juristen als Insolvenzverwalter eingesetzt. "Vier Jahre lang ging jede noch so kleine Ausgabe vorher zum Abzeichnen über meinen Schreibtisch", erzählt Nerlich.

Rettungsteam im Einsatz: Geschäftsführer Konrad Hilbers (links) und Insolvenzverwalter Jörg Nerlich auf dem Weg zu einer Sitzung des bayerischen Kabinetts in München. (Foto: Foto: ddp)

14.000 Beschäftigte

So lange, bis sich ein Investor fand. Das Heim gibt es heute noch. Ob allerdings auch das Versandhaus Quelle eine Zukunft hat, ist noch nicht erwiesen. Jörg Nerlich sagt, seine Herangehensweise sei im Grunde dieselbe wie damals beim Seniorenheim. "Ich versuche zu retten, was zu retten ist." Mit dem Unterschied, dass Quelle nicht Jahre lang von einem Insolvenzverwalter geführt werden könne. "Dazu ist dieses Schlachtschiff einfach zu groß", sagt Nerlich.

Bei der Frage, wohin dessen Reise künftig geht, kommt dem 46-jährigen Rechtsanwalt eine, vielleicht sogar die zentrale Rolle zu. Quelle ist bekanntlich Teil der angeschlagenen Arcandor AG. Vorläufiger Insolvenzverwalter für den gesamten Konzern ist Klaus Hubert Görg.

Um die mitbetroffene Versandsparte Primondo, zu der neben Quelle 19 weitere inzwischen ebenfalls insolvente Unternehmen gehören, kümmert sich Görgs Partner in der Kanzlei, Jörg Nerlich. Görg gebe die Linie vor, diskutiere und stimme sich jedoch mit ihm ab, schildert Nerlich die interne Aufgabenverteilung. Oder plakativer formuliert: "Er bestimmt als Bundeskanzler die Richtlinien und ich bin der zuständige Fachminister für die Versandsparte."

Als solcher ist Jörg Nerlich derzeit für insgesamt knapp 14.000 Beschäftigte verantwortlich. Wie deren Zukunft aussieht, hängt ganz wesentlich davon ab, zu welchen Erkenntnissen der Insolvenzexperte bis Ende August kommen wird. Bis dahin muss er ein Sanierungskonzept entworfen haben, auf dessen Basis Görg anschließend dem zuständigen Insolvenzgericht in Essen sagen kann, unter welchen Umständen die Firmen eine Zukunft haben oder nicht.

Naturgemäß fokussiert sich das größte Interesse dabei auf das Versandhaus Quelle. Jenes Traditionsunternehmen, das in diesen Tagen immer stärker in die Bredouille gerät, weil es seit fast vier Wochen ohne einen Cent eigener Einnahmen arbeiten muss. Wohl noch nie lebte ein Großunternehmen derart lange ausschließlich vom Wohlwollen seiner Lieferanten.

Es war der 11. Juni, als der Insolvenzverwalter Nerlich mit seinem kleinen Team in der Quelle-Zentrale an der Nürnberger Straße in Fürth einrückte. Dort, wo im großzügigen Treppenhaus noch die Ölbilder von Grete und Gustav Schickedanz von besseren Zeiten künden. Als Nerlich an besagtem Donnerstag erstmals eintrifft, erwartet ihn eine Überraschung.

"Außergewöhnlich große Einsatzbereitschaft"

"Obwohl in Bayern Feiertag war, saßen da 40, 50 Führungskräfte", schildert Nerlich. Quelle-Markenchef Konrad Hilbers, 46, mit dem Nerlich seither nicht selten im Duett auftritt, hatte sie zusammengetrommelt. Nerlich wertet ihr Kommen an diesem Fronleichnamstag als erstes Indiz "für die außergewöhnlich große Einsatzbereitschaft vieler bei Quelle, die den Laden wieder ins Laufen bringen wollen."

Per se gehen Insolvenzverwalter in zweierlei Hinsicht nach demselben Schema vor. Sie verbreiten zunächst Optimismus und Zuversicht, um die Geschäfte am Laufen zu halten. Damit Zeit gewinnend, gehen sie anschließend an die harte Analyse dessen, was an Substanz noch da ist. Nerlich und Görg mussten obendrein in komplizierten Verhandlungen einen staatlichen 50-Millionen-Euro-Massekredit loseisen, der zwar bewilligt, aber noch nicht geflossen ist. Bis Ende dieser Woche soll es so weit sein. "Ohne dieses Geld wäre es faktisch nicht möglich, die Sanierungsfähigkeit der Quelle zu prüfen", sagt Nerlich.

Die Wartezeit verbringt er damit, mit einer Handvoll Experten aus der Kanzlei und externen Fachleuten ein Sanierungsgutachten zu erstellen. Noch im Juli sollen die Eckpunkte stehen. Schon jetzt ist klar, dass Nerlich und Görg das Versandhaus im Kern erhalten und für einen Übernehmer flott machen wollen. Was nicht ohne den massiven Verlust von Arbeitsplätzen klappen wird. "Wir werden Quelle nicht so erhalten können, wie sie ist", warnt Nerlich. Und verspricht zugleich, den anstehenden Prozess transparent zu betreiben. Offen kommunizierte er vom ersten Tag an. Bewusst trat er ohne Stichwortzettel oder Manuskript bei zwei Betriebsversammlungen vor 4000 Quelle-Mitarbeiter. So etwas schafft Vertrauen.

Auch im Zwiegespräch wirkt der verheiratete Vater von drei Kindern alles andere als verschlossen. Der ehemalige Leistungsschwimmer, der zeitweise in einer Gruppe mit dem späteren Olympiasieger und Weltmeister Michael Groß trainierte (Nerlich: "Ich sah immer nur seine Füße von hinten"), gilt als Spezialist für Handel und Autozulieferer.

Etwa 2000 Insolvenzverfahren hat er in den vergangenen zehn Jahren betreut, zuletzt etwa bei der Zulieferfirma Edscha. Eigentlich hatte dem promovierten Juristen eine wissenschaftliche Karriere vorgeschwebt. Dann aber entschied er sich doch anders. "Verglichen mit klassisch arbeitenden Juristen hat ein Insolvenzverwalter auf vielen Ebenen sehr viele Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten", sagt Nerlich. Spielräume, die er immer möglichst offensiv nutzen wolle. Bei Quelle muss er sie erst noch finden.

© SZ vom 08.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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