Verrechnet:Zwei WM-Tickets beim Autokauf

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Die Konzerne werden die VIP-Eintrittskarten nicht los - nun könnten trotz riesiger Nachfrage selbst bei den Topspielen tausende Sitze leer bleiben.

Thomas Kistner und Klaus Ott

Glaubt man den Jubelmeldungen der Agentur ISE, dann sind die VIP-Tickets für die Fußball-WM eine begehrte Ware, um die sich die Kundschaft nur so reißt. "Nachfrage übertrifft alle Erwartungen", meldete das in der Schweiz ansässige Unternehmen schon im Januar.

Vor völlig leeren Rängen wird der Anstoß zwar nicht stattfinden - doch auch lichte Zuschauerreihen würden normale Fans daheim vor dem Fernseher erzürnen. (Foto: Foto: ddp)

Zuvor hatte die ISE dem Weltverband Fifa 350.000 Billetts für 170 Millionen Euro abgekauft, um sie rund um den Globus Konzernen anzudienen, die sich bei der WM als spendable Gastgeber präsentieren wollen.

Anfang April prahlte Agenturchef George Taylor: 82,5 Prozent der Plätze für die Prominenz seien weg.

"Tickets to heaven" nennt er sein teures Gut, aber manches spricht dafür, dass es noch höllisch viele davon gibt.

Sogar für die begehrtesten Spiele: Auf der Homepage der ISE sind noch 16 der 48 Vorrunden-Partien im Angebot, darunter die drei der deutschen Auswahl, inklusive des Eröffnungsspiels in München gegen Costa Rica.

Auftritte der brasilianischen Selecao, des WM-Favoriten, sind gleichfalls längst noch nicht ausverkauft.

Auch die 21 Sponsoren dieser WM werden offenbar nicht alle Tickets los, die ihnen die Fifa überlassen hat. Es droht ein Horrorszenario für den Weltverband: Dass trotz riesiger Nachfrage tausende Sitze leer bleiben; wie schon bei den vergangenen Turnieren in Frankreich 1998 und Japan/Südkorea 2002, was dort für viel Ärger sorgte.

Das war - und wäre - kein Zufall.

Fifa-Chef Sepp Blatter hat das Sportereignis längst zu einer gigantischen Geldmaschine umfunktioniert, auch bei den begehrten Billetts. Nur 3,1 Millionen sind verfügbar, doch ein großer Teil ist für das Stammpublikum gar nicht erhältlich oder erschwinglich.

490.000 Tickets bekamen die Sponsoren, meist weltweit agierende Großkonzerne wie Coca-Cola oder Mc Donald's. Vor allem für diese Klientel sind auch die 350.000 VIP-Sitze gedacht, inklusive Bewirtung und eigenen Parkplätzen.

Um die Prominenz artgerecht unterzubringen, genügt nicht einmal die Münchner Allianz Arena, Deutschlands modernster Fußballtempel mit den meisten Logen und Business Seats.

Die Ansprüche der Fifa sind größer. Für die Prominenz entsteht, wie in allen WM-Städten, eine Zeltstadt neben dem Stadion. Dort wird dann exklusiv getafelt.

Weitere Karten - insgesamt 63.000 - sind für TV-Sender reserviert, bei denen die Fifa ebenfalls kräftig kassiert und die wiederum ihre Werbekunden hofieren wollen.

Nur mit teuren Spots lohnen sich die horrenden Honorare für die Übertragungsrechte, die insgesamt weit über eine Milliarde Euro kosteten. Auch die Sponsoren, die gut 500 Millionen Euro beisteuern, benötigen Tickets, um die Investition in den Fußball zu versilbern.

Koppelgeschäfte sind an der Tagesordnung. Wer beim asiatischen Automobilkonzern Hyundai einen Neuwagen kauft, erhält zwei WM-Karten dazu.

Wer in Deutschland kürzlich Lotto oder Toto gespielt hat, darf hoffen, beim Finale auf der Tribüne zu sitzen; tausende Tickets wurden verlost. Die Konzerne wollen mit Hilfe der WM neue Käuferschichten erschließen und alte Kunden binden. Doch nicht alle Geschäfte funktionieren.

Längst nicht alle Firmen, die bei der ISE für Höchstpreise bis 156.000 Euro Logen gebucht haben, werden diese Einladungen an Politiker und Manager auch los. Etwa der Energiekonzern Vattenfall.

Der hat nach eigenen Abgaben 260 VIP-Karten geordert, kann aber nur 80 für den eigentlichen Zweck nutzen. Freikarten für Politiker gibt es bei Vattenfall nicht.

Der in Berlin ansässige Konzern will nicht wie Konkurrent EnBW aus Karlsruhe in den Verdacht geraten, Staatsdienern fragwürdige Geschenke anzubieten. Wegen kostenloser WM-Tickets ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen EnBW-Vorstandschef Utz Claassen und sieben Amtsträger.

Verlost an die Mitarbeiter

Vattenfall begnügt sich damit, Gastgeber für Geschäftspartner zu sein - und muss die Tickets auch noch höher versteuern, weil eine für die Bundesliga erzielte Übereinkunft von Klubs und Fiskus bei der WM nur teilweise gilt.

100 Tickets verlost Vattenfall nun bei einer Tombola, deren Erlös für einen guten Zweck gespendet werden soll, unter eigenen Mitarbeitern. Die restlichen 80 Karten will der Konzern an die ISE zurückgeben.

Die Agentur jubelt indes, sie habe schon 320.000 VIP-Billetts vermarktet, die restlichen 30.000 gingen bis zur WM auch noch weg.

Die werden aus "verkaufspolitischen Gründen zurückgehalten", sagt Deutschland-Chef Ullrich Linke - weil sie ihre wahre Qualität ja erst in Kenntnis der Zwischenrunden-Paarungen entfalteten. Das hartnäckige Branchen-Gerücht, dass es allein für die deutschen Gruppenspiele noch gut 13.000 Tickets gebe, entlockt Linke ein Lachen.

Es seien viel weniger, aber "ich würde es ungern beziffern". Eine Discount-Runde für nicht verkaufte Tickets kurz vor WM-Beginn sei aber ausgeschlossen.

Womöglich kommt die Freude zu früh. Auseinander gehen etwa die Einschätzungen über ein Treffen der Fifa mit den ISE-Oberen Anfang Mai, bei dem es auch um das weitere Verfahren mit den noch übrigen Karten gegangen sein soll.

Die Fifa mochte dazu gestern "infolge Abwesenheit der Spezialisten keine Stellung" nehmen, bei ISE Deutschland gilt das Treffen am Schweizer Hauptstandort als langfristig vereinbart.

Billetts aus der Karibik

Jedenfalls hat das WM-OK schon vorgesorgt für Tickets, die von Sponsoren und anderen Abnehmern zurückgehen - und frühzeitig ein zusätzliches Verkaufsprogramm installiert.

Es soll vermeiden, "dass trotz vorhandener Nachfrage zahlreiche Plätze in den Stadien unbesetzt bleiben", erfahren die nicht oder noch nicht wunschgemäß bedienten WM-Interessenten per E-Mail. Sybillinisch heißt es weiter: "Das Angebot richtet sich nach den erwarteten Ticket-Rückläufen."

Vielleicht gibt es dann auch noch Billetts aus der Karibik. Im WM-Teilnehmerland Trinidad & Tobago hatte zu Jahresbeginn Fifa-Vorständler Jack Warner große Empörung bei Fans und Politikern ausgelöst, als publik wurde, dass er alle 10.000 Tickets seines Verbandes über seine private Reiseagentur "Simpaul Travel" zu saftigen Preisen verhökern wollte.

Als der Eklat Europa erreichte, wurde Warner flugs bei der Fifa-Ethikkommission in eigener Sache vorstellig.

Ergebnis der frommen Untersuchung laut Fifa: "Die von Warner eingeleiteten Maßnahmen, Gewährleistung der Einhaltung der Ticketregeln durch Simpaul und anschließend sein Ausstieg und derjenige seiner Gattin aus der Firma, genügen den Vorgaben des Fifa-Exekutivkomitees, so dass der Fall abgeschlossen ist."

Nur hatten im Januar für Simpaul neben Jack und Gattin auch noch die beiden Warner-Söhne als Firmenchefs firmiert.

© SZ vom 12.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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