Vereinbarkeit von Beruf und Familie:Wirtschaftsforscher fordern 32-Stunden-Woche für Eltern

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Viele junge Eltern wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder. (Foto: dpa)

Arbeit, Haushalt, Kinderbetreuung - wenigen Paaren gelingt es, das fair zu regeln. Ungewollt entscheiden sich deshalb viele für die klassische Mann/Frau-Arbeitsteilung. Ökonomen schlagen nun eine Art "Elterngeld Plus" vor, bei dem beide Eltern eine "reduzierte Vollzeitstelle" annehmen.

Von Claus Hulverscheidt und Oliver Hollenstein, Berlin

Sabine Beckmann und Lukas Schmid ( Namen geändert) - Einserabiturienten, erfolgreiche Hochschulabsolventen, junge Ärzte, frisch verliebt - hatten gerade den Blinker gesetzt, um auf die Überholspur zu wechseln und in ihren Jobs so richtig durchzustarten, als vor ihnen die roten Lichter angingen und sie plötzlich in einem formidablen Stau steckten.

Die "Rushhour des Lebens" nennen Soziologen jene Zeit zwischen etwa Mitte zwanzig und Ende dreißig, in der für viele Menschen alles zusammenkommt: Berufseinstieg, erste Karriereschritte, feste Beziehung, Heirat, Kinder, Hausbau oder Wohnungskauf. Spätestens nach einigen Jahren ballen sich für viele Betroffene die Dinge derart, dass sie ihnen über den Kopf zu wachsen drohen.

Der massive Ausbau der Kita- und Krippenplätze in den vergangenen Jahren hat die Situation für junge Familien zwar vielerorts verbessert. Da viele Eltern ihre kleinen Kinder aber nicht permanent fremdbetreuen lassen wollen oder können, steigt am Ende meist doch jemand ganz oder teilweise aus dem Beruf aus. Meist ist es die Frau - mit allen Folgen, die das für die Karriere, die Bezahlung nach der Rückkehr in den Job und die Altersversorgung hat.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich im Auftrag der Friedrich-Ebert- und der Hans-Böckler-Stiftung darüber Gedanken gemacht, wie man die "Rushhour" wenigstens ein Stückchen entzerren kann. Fragt man nämlich junge Eltern, was sie wollen, kommt in 60 Prozent der Fälle die gleiche Antwort: eine faire Lastenteilung bei Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung. Doch nur jedes siebte der Paare schafft es auch, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. In 39 Prozent der Fälle arbeitet dagegen der Vater Vollzeit und die Mutter gar nicht. Bei weiteren 35 Prozent der Familien hat die Mutter lediglich einen Teilzeitjob.

Dass sich viele Paare - teils gewollt, meist aber ungewollt - immer noch für die klassische Mann/Frau-Arbeitsteilung entscheiden, hält das DIW für eine Folge der politischen Anreize: Ehegattensplitting, Minijobs, beitragsfreie Mitversicherung bei der Krankenkasse. Um fortschrittlichere Familienmodelle attraktiver zu machen, schlägt das DIW eine neue Subvention für Familien vor, die sie im Politikjargon als "Lohnersatzleistung bei Familienarbeitszeit" bezeichnen. Etwas griffiger könnte man von einem "Elterngeld Plus" oder einem "Jobsplitting-Zuschuss" sprechen.

Die Idee: Nachdem das Elterngeld spätestens 14 Monate nach der Geburt des Kindes ausgelaufen ist, erhalten die Familien bis zu drei Jahre lang den neuen Zuschuss, wenn beide Partner eine "reduzierte Vollzeitstelle" von jeweils 32 statt 40 Wochenstunden übernehmen. Der Staat würde - je nach Modell - zwischen null und mehr als 90 Prozent des Lohns ersetzen, auf den die Eltern im Vergleich zu zwei 40-Stunden-Jobs verzichten. Die Höhe des Zuschusses soll sich zudem nach der Höhe des Verdienstes richten. Ein Vorschlag: Wer das mittlere Nettoeinkommen von 1600 bis 1750 Euro nach Hause bringt, erhält 50 Prozent des Lohnausfalls ersetzt. Je weiter das Einkommen darunter liegt, desto höher fällt der Zuschuss aus - und umgekehrt.

Das Modell könnte für viele Elternpaare attraktiv sein, insbesondere für solche, die einen Großteil der Kinderbetreuung selbst leisten wollen - oder müssen, weil sie keinen Kita-Platz haben und die Großeltern weit entfernt wohnen. In ihrer Modellrechnung vergleichen die DIW-Forscher die möglichen Einkommen einer Familie, in denen der Vater voll und die Mutter halbtags arbeitet mit ihrem Vorschlag, bei dem beide Partner 80-Prozent-Stellen haben. Demnach hätten Eltern mit durchschnittlichen Löhnen bei Verwirklichung des DIW-Modells pro Monat zwischen 300 und 350 Euro mehr in der Tasche.

Die Untersuchung könnte auch Wirkungen auf die laufenden Koalitionsverhandlungen von Union und SPD entfalten. Die Sozialdemokraten sprechen sich für eine Familienarbeitszeit aus, meinen damit aber in erster Linie das Rückkehrrecht junger, teilzeitbeschäftigter Eltern auf eine Vollzeitstelle. CDU und CSU wollen dagegen die Betriebe bei der Einrichtung "vollzeitnaher Teilzeitstellen unterstützen", planen aber keine neue staatliche Leistung.

Wie viel ihr Modell kosten würde, können die DIW-Forscher nach eigenem Bekunden nur schätzen, da dies nicht nur von der Ausgestaltung, sondern auch von der Frage abhängt, wie groß die Anzahl derer ist, die den Zuschuss in Anspruch nehmen. Bisher ist es gerade einmal eines von hundert Paaren, bei denen Vater und Mutter jeweils einen Teilzeitjob mit etwa 30 Wochenstunden haben. Der Studie zufolge könnte dieser Anteil bei Realisierung des DIW-Modells zunächst um 0,5 bis 0,9 Prozentpunkte steigen. Die Kosten dafür beliefen sich auf etwa 70 bis knapp 140 Millionen Euro pro Jahr, wobei die zusätzlichen Steuer- und Beitragseinnahmen für den Staat schon berücksichtigt sind. Brächte das Modell dagegen den großen Durchbruch, vervielfachten sich auch die Kosten.

Abschließend gelöst wäre das Problem der "Rushhour" für viele Eltern aber auch dann nicht, denn schließlich ist die Betreuung des Nachwuchses auch nach vier Jahren keineswegs beendet. Im Gegenteil: Mit wichtigen Einschnitten im Leben des Kindes, der Einschulung, dem Übergang auf die weiterführende Schule oder der Pubertät etwa, kann er sogar wieder steigen - ganz unabhängig davon, dass viele Forscher eine einigermaßen regelmäßige Präsenz beider Elternteile als wichtig für die Entwicklung von Kindern erachten.

Soziologen wie Jutta Allmendinger, Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin, gehen daher noch weiter als das DIW: Sie plädieren für eine Durchschnittsarbeitszeit von 32 Wochenstunden, gerechnet über das ganze Erwerbsleben und mit mehr Zeit während der Familienphase, für die Pflege der Eltern oder anderer Angehörigen - und für jeden selbst.

© SZ vom 14.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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