Verbraucher:Der Motor stottert 

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Keine Entschädigungen für deutsche Verbraucher und jetzt das: Seit der Rückrufaktion und dem damit verbundenen Software-Update (hier ein Beispiel aus der Region Hannover) laufen viele Autos nicht mehr rund. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

VW kommt mit den Updates der Manipulationssoftware voran. Manche Kunden aber klagen über Probleme. Die EU fordert Schadenersatz.

Von Max Hägler, Kristiana Ludwig und Alexander Mühlauer, Berlin/Brüssel/Genf

Auf der Autobahnauffahrt Pforzheim fühlt sich Peter Friedmann neuerdings wie ein Sicherheitsrisiko. Sein Wagen fahre einfach zu langsam, sagt er. Der Skoda Octavia beschleunige nicht mehr wie früher, stattdessen mache das Getriebe nun merkwürdige Geräusche. Und wenn es draußen friert, "dann werde ich durchgeschüttelt", sagt Friedmann. So sehr stottere der kalte Motor. Der Wagen laufe nicht mehr rund, seit er im Oktober in der Werkstatt war. Dort bekam er ein Software-Update, kostenlos aufgespielt vom Volkswagen-Konzern. Die Veränderung am Bordcomputer sollte den Schummel-Mechanismus löschen, durch den Friedmanns Skoda nur auf dem Prüfstand die Abgasvorgaben einhielt, auf der Straße aber viel mehr Schadstoffe ausstieß als erlaubt. Nach diesen Reparaturen seien die Autos wirklich sauber, versprach VW seinen Kunden und der Politik. Von Nebenwirkungen war nicht die Rede. Friedmann, der seinen wirklichen Namen nicht nennen möchte, hat einen Anwalt eingeschaltet. Skoda will seinen Fall prüfen.

So wie er fürchten einige VW-Kunden mittlerweile die Konsequenzen des Rückrufs. Während Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) droht, dass Dieselwagen ohne Update in "allerletzter Konsequenz" stillgelegt werden können, fordert etwa der Bundesverband der Verbraucherzentralen zunächst eine umfassende Garantieerklärung von VW, die auch langfristige Schäden abdeckt.

Manche Anwälte empfehlen ihren Mandanten derzeit, den Werkstattbesuch abzulehnen. Denn vielleicht verliere man dabei einen Entschädigungsanspruch, für den sich derzeit die EU-Justizkommissarin Vera Jourova vehement einsetzt. Sie hält es für ungerecht, dass VW-Fahrer in den USA entschädigt werden, europäische Kunden aber leer ausgehen sollen. Wenn es nach ihr ginge, sollten die Kunden in Europa eine Art Extrazahlung oder eine freiwillige Entschädigung erhalten. Doch VW will davon nichts wissen. Es gebe keine Rechtsgrundlage, heißt es dort, und zudem seien die Kunden in Europa viel weniger beeinträchtigt: Die Stickoxid-Grenzwerte in den USA seien "sehr viel strenger". Die Lösungen, um US-Autos so sauber zu machen wie einst versprochen, seien deshalb weit aufwendiger als bei europäischen Autos, die einfach nur ein Update bekommen.

Es komme "in einer Anzahl von Fällen zu Problemen mit dem Abgasrückführungsventil", so VW

Wobei dies mitunter Ärger macht. Es komme "in einer Anzahl von Fällen zu Problemen mit dem Abgasrückführungsventil", räumt VW ein. Allerdings habe es im Verhältnis zu den reparierten Wagen - 1,6 Millionen in Deutschland - bislang nur "wenige" Beanstandungen gegeben und dieses Versotten des Ventils sei wohl ein generelles Problem dieses Motors. Umfangreich habe man untersucht, ob das Update negative Auswirkungen auf den Motor habe und auch mehrere Millionen Test-Kilometer zurückgelegt. Das Ergebnis, so sagt VW: Alles in Ordnung, das zeigten auch die stabilen Restwerte. Insofern sei "eine weitergehende Garantieerklärung aus unserer Sicht nicht notwendig." Deshalb seien keine Entschädigungen gerechtfertigt.

Kommissarin Jourova sieht das ganz anders. VW-Chef Matthias Müller kommt seit dem Auffliegen des Abgasskandals regelmäßig zu ihr nach Brüssel. Es sind für beide Seiten recht unbefriedigende Treffen: Der VW-Chef erklärt der Kommissarin, dass man mit den Updates gut vorankomme. Die Kommissarin wiederum dringt auf eine finanzielle Entschädigung der Kunden. Doch in dieser Frage bewegt sich nichts. Er macht seinen Job, sie macht den ihren.

Nun will Jourova bis Ende April gemeinsam mit den Behörden der Mitgliedsstaaten prüfen, ob sie gegen VW Strafzahlungen verhängen können. Das dürfte allerdings schwierig werden. "Die abschließende Klärung der Frage, ob Gewährleistungsansprüche einschließlich Schadenersatz bestehen, obliegt in Deutschland den unabhängigen Gerichten", heißt es etwa aus dem Bundesjustizministerium.

Die Bundesregierung müsse auf das Unternehmen Druck ausüben, fordert Renate Künast

So gut Jourovas Initiative bei den VW-Kunden auch ankommen mag, so umstritten ist sie in der EU-Kommission selbst. Kollegen von Jourova halten ihr Vorpreschen für nicht gerade zielführend. Viel mehr als politischer Aktionismus sei nicht dahinter, lautet die Kritik, auch wenn sich niemand damit zitieren lassen will. Allerdings: Seit Dezember laufen Vertragsverletzungsverfahren gegen jene Mitgliedsstaaten, die nach Auffassung der Brüsseler Behörde bei der Kontrolle von Auto-Abgaswerten versagt haben - darunter auch Deutschland. Die Regierungen sollen demnach die nationalen Vorgaben zur Verhängung von Strafen ignoriert haben, obwohl VW illegale Software genutzt habe. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), begrüßt Jourovas Anstrengung. Eine gemeinsame Aktion der Europäischen Union sei schließlich auch dann eine Argumentationshilfe für deutsche Behörden und Gerichte, wenn sie keine direkten Strafen nach sich ziehe. Es gehe um die Haltung. "Volkswagen sollte Kunden neue Gewährleistungsansprüche zusichern müssen", sagt sie. "Die Bundesregierung muss Druck machen." Außerdem fehle ein Gesetz, das Kontrolleure auf die Software im Auto ansetzt.

Bislang schauten sie nur auf die Symptome - nicht aber auf die Ursachen in der Elektronik. In Bottrop, in der VW-Vertragswerkstatt Verstege und Lux, hat Geschäftsführer Peter Lux die Symptome des Updates bereits kennengelernt. Bei zwei Wagen führte der Eingriff dazu, dass sie nicht mehr schneller fahren konnten als 30 Kilometer pro Stunde. Bei einem weiteren Auto funktionierte die Zentralverriegelung nicht mehr: Eine Tür blieb offen. "Beides wurde aber durch ein weiteres Update ausgebügelt", sagt Lux. Doch seine Kunden sind verunsichert, manche von ihnen verärgert. "Arglistige Täuschung", schreibt ihm ein VW-Fahrer in einem Brief: Dass die "Aktion 23R/ KRIT.H1-T1-22" auf seinem Auftragsblatt ein Update meine, habe er bei seiner Unterschrift nicht gewusst. Er hätte gern darauf verzichtet. Lux aber muss seinerseits der Rückruf-Pflicht gegenüber VW nachkommen. "Wir sind vertragsrechtlich gebunden", sagt er. "Wenn ein Kunde das Update nicht aufspielen möchte", dann bringe er die Stilllegung ins Spiel.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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