USA:Krawall und Geschäft

Lesezeit: 3 min

In den USA protestieren, wie hier in Seattle, Menschen seit Wochen immer wieder gegen Polizeigewalt und Rassismus. (Foto: LINDSEY WASSON/REUTERS)

Die Debatten über Rassismus zwingen Unternehmen in den USA, sich zu positionieren. Einige boykottieren nun Facebook, weil der Konzern Hassbotschaften Platz gibt.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es ist ja nicht so, dass Facebook gänzlich untätig wäre. Vergangene Woche etwa löschte das soziale Netzwerk gleich mehrere bezahlte Inserate von seiner Plattform, weil sie, so ein Sprecher, die firmeninternen Regeln gegen die Verbreitung von "organisiertem Hass" verletzt hätten. In den Anzeigen waren US-Bürger, die gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrierten, als "linksextremer Mob" beschimpft worden, der die USA ins Chaos stürzen wolle, garniert waren die Aussagen mit einem auf dem Kopf stehenden roten Dreieck, das die Nazis in den Konzentrationslagern zur Kennzeichnung politischer Gefangener verwendetet hatten. Auftraggeber der Inserate war ausgerechnet der bedeutendste Nutzer des Netzwerks: Donald Trump.

Eine Hassbotschaft weniger also, die Tausenden anderen aber, die täglich über Facebook verbreitet werden, bleiben - und das hat für den Konzern jetzt Konsequenzen: Immer mehr US-Unternehmen nämlich wollen nicht länger Anzeigen bei einer Plattform schalten, deren Geschäftsmodell auch darin besteht, mit der Verbreitung von Hass und Gewaltaufrufen Geld zu verdienen. Allein in dieser Woche kündigten ein halbes Dutzend bekannter Firmen an, Facebook für zunächst einen Monat zu boykottieren, darunter der Eiscremehersteller Ben & Jerry's sowie die drei großen Camping- und Sportausrüster The North Face, Patagonia und REI. "Wir können nicht einfach zusehen und zum Gewinn von Unternehmen beitragen, die ihrerseits zum Problem beitragen", sagte Patagonia-Marketingchef Cory Bayers dem US-Politikportal Politico.

Die Firmen folgen mit ihrer Werbeverweigerung nicht nur dem Aufruf von Menschenrechtsgruppen, sie treffen den Social-Media-Konzern und dessen Tochter Instagram auch an einer empfindlichen Stelle. Zwar bestreitet Facebook regelmäßig, dass der firmeneigene Algorithmus die Verbreitung von Hassbotschaften gegen Frauen, Minderheiten und andere Gruppen noch fördere. Dennoch gilt für Mark Zuckerbergs Imperium die einfache Gleichung: Je mehr Krawall im Netzwerk, desto größer die Klickzahlen, desto lukrativer der Anzeigenverkauf. Das Geschäft mit Inseraten macht 99 Prozent des Konzernumsatzes von zuletzt fast 71 Milliarden Dollar aus.

Mit dem Boykott setzt sich ein Trend fort, der die US-Wirtschaft zunehmend beschäftigt. Während die Unternehmen kontroverse gesellschaftliche Debatten früher gerne umschifften, um keine Käufergruppe zu vergrätzen, sehen sie sich angesichts der zunehmenden Politisierung und Polarisierung des Landes heute immer öfter gefordert, Stellung zu beziehen. Viele Manager haben das selbst erkannt, anderen wird die Debatte von engagierten Kunden oder Aktionären aufgezwungen, denen alte Ansprechpartner abhandengekommen sind: Der Kongress ist gelähmt, der Präsident spaltet, anstatt zu versöhnen, Aktionsgruppen finden nur noch in der eigenen Echokammer Gehör. Bleiben die Firmen.

Firmen geben Mitarbeitern am Wahltag frei. Früher waren diese verhindert - weil sie arbeiteten

Statt sich aus der Diskussion herauszuhalten, appellieren Konzernchefs heute an die Politik, gleichgeschlechtliche Ehen zuzulassen oder Menschen zu schützen, die als Kinder einst illegal mit ihren Eltern in die USA gekommen waren. Sie protestieren gegen Einreiseverbote für Muslime und den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimavertrag. Als Trump sich 2017 weigerte, die Ermordung einer linken Demonstrantin durch einen Neonazi eindeutig zu verurteilen, stiegen so viele Manager aus den Beraterkreisen des Präsidenten aus, dass dieser sich genötigt sah, die Gremien ganz aufzulösen. Dass jede Form der Positionierung fast immer zu Boykottaufrufen eines Teils der Kundschaft führt, nehmen die Firmen dabei notgedrungen in Kauf.

Wie sehr zumindest manche Manager ihre neue politische Rolle verinnerlicht haben, zeigt die jüngste Debatte: Wie können Minderheiten in den USA ihr Wahlrecht wahrnehmen? Bisher verzichten viele Menschen auf dieses Recht, weil sie sich recht mühsam registrieren lassen müssten oder aber es am Wahltag - traditionell ein Dienstag - vor lauter Arbeit schlicht nicht ins Abstimmungslokal schaffen.

Während manche Politiker deshalb die Briefwahl fördern wollen, was Präsident Trump aus Angst vor zusätzlichen Stimmen für die Demokraten ablehnt, gehen viele Unternehmen einen anderen Weg: Firmen wie der Fahrdienstvermittler Uber, die Elektronikkette Best Buy oder die Essensanbieter &Pizza und Blue Apron gewähren ihren Mitarbeitern am Wahltag bezahlten Urlaub, kürzen ihre Öffnungszeiten oder schließen ganz, damit jede und jeder die Chance hat, wählen zu gehen. Uber und der Konkurrent Lyft bieten zudem vergünstigte Fahrten zum Wahllokal an, mehr als 500 Firmen haben eine Patagonia-Petition unterzeichnet, die Unternehmen dazu auffordert, die eigenen Mitarbeiter besser über ihre Rechte aufzuklären und ihnen die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen.

Bei so viel Einsatz der Kollegen will auch Zuckerberg nicht länger hintanstehen: Er möchte via Facebook "vier Millionen Menschen bei der Registrierung für die Wahl helfen". Auch die Anzeigenboykotte nimmt das Unternehmen nach eigener Aussage ernst. Man sei, so der Konzern, mit den Anzeigenkunden wie auch mit Menschenrechtsgruppen im Gespräch darüber, "wie wir gemeinsam eine Macht für das Gute sein können".

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: