USA: Autokonzerne in großer Not:In den Sand gesetzt

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Detroits Autokonzerne hatten sich von der Wirklichkeit entfernt, jetzt werden sie von ihr eingeholt. Die ehemalige Vorzeigebranche steht am Abgrund - und könnte stürzen.

Nikolaus Piper

Im Jahr 1960 warb General Motors mit einem wunderbar naiven Slogan: "See the U.S.A. in your Chevrolet". Die Botschaft, dass man Amerika mit seinem Chevrolet besuchen soll, bedurfte keiner weiteren Erklärung. General Motors baute damals jedes zweite Auto auf Amerikas Straßen, und Chevrolet war dessen wichtigste Marke. Der Chevy, besungen in vielen Rocksongs, war der blechgewordene amerikanische Traum: Das Auto erlaubte es Amerikanern aus den Mittelschichten, die Schönheiten ihres Landes zu entdecken. Gleichzeitig setzten die steigenden Löhne, die bei dessen Produktion in Detroit und anderswo gezahlt wurden, Standards für das ganze Land: Die Angehörigen der Mittelschichten wurden zahlreicher und wohlhabender.

GM-Produktion: Die US-Autohersteller haben trotz steigender Energiekosten Spritfresser produziert - die sie heute nicht mehr verkaufen. (Foto: Foto: Reuters)

Die Gegenwart von Chevrolet lässt sich am besten durch den Silverado charakterisieren, einen benzinverschwendenden Kleinlaster. Er gehörte im vergangenen Jahr noch zu den Verkaufsschlagern von GM. Seitdem ist der Absatz um 23,7 Prozent eingebrochen, General Motors Marktanteil in den Vereinigten Staaten ist auf 22 Prozent geschrumpft, und der einstmals größte Autohersteller der Welt ist an der Börse noch knapp zwei Milliarden Dollar wert, Konkurrent Toyota dagegen mehr als 100 Milliarden Dollar. GM-Chef Rick Wagoner musste in den vergangenen Wochen zusammen mit seinen Kollegen von Ford und Chrysler zwei Mal nach Washington fahren, um im Kongress um Geld zu betteln. Wenn heute ein Durchschnittsamerikaner sein Land besichtigt, dann macht er dies im Zweifelsfall mit einem sparsamen Toyota Prius, einem der jüngsten Stars auf dem US-Markt.

GM-Abschlüsse - ein Standard in der Branche

Der Niedergang der amerikanischen Autoindustrie hat vermutlich am 14. September 1970 begonnen. An diesem Tag rief die Gewerkschaft United Automobile Workers of America (UAW) ihre Mitglieder zu einem großen Streik gegen General Motors auf, um höhere Löhne und bessere Leistungen für die Krankenversicherung durchzusetzen. 400.000 Arbeiter blieben 67 Tage lang den Fabriken fern. Schließlich siegten sie. Die eh schon hohen Löhne stiegen weiter, die Firma übernahm die Krankenversicherung auch für pensionierte Mitarbeiter, nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit durfte künftig jeder mit viel Geld in Rente gehen, egal, wie alt er war.

Die GM-Abschlüsse wurden Standard in der Branche, niemand wagte noch, sich dagegenzustellen. Heute belastet alleine die Krankenversicherung der Rentner jedes in Detroit gebaute Auto mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 1000 Dollar.

Die Konkurrenten holten schnell auf. Im Herbst 1973 brach die erste Ölkrise aus, die Kosten des Autofahrens wurden plötzlich zum Thema, der Siegeszug der japanischen Hersteller begann. Sie boten nicht nur billige Autos an, sie zeigten auch, dass man in Amerika selbst profitabel Kraftfahrzeuge bauen kann - meist in den Südstaaten und ohne Einfluss der Gewerkschaften.

Die deutschen Hersteller Daimler, BMW, Porsche und Audi besetzten das Segment der teuren, schicken Wagen. Und GM, Ford und Chrysler wurden irgendwo dazwischen aufgerieben. Die UAW musste ein Rückzugsgefecht nach dem anderen liefern. Der jetzige UAW-Chef Ron Gettelfinger handelte im vergangenen Jahr einen Kompromiss aus, nachdem die Konzerne von 2010 an aus der Verantwortung für die Gesundheitskosten der Pensionäre entlassen werden.

Detroit ist wie ein System, das sich von der Wirklichkeit selbst abgekoppelt hat. Das Magazin Fortune schrieb in einer bezeichnenden Wendung, GM baue nur noch "Red-State-Cars", also Autos, die nur noch in republikanisch regierten Staaten verkauft werden, wo die Menschen patriotisch sind und amerikanische Autos auch dann kaufen, wenn sie nicht besonders gut sind. Die Tragik liegt darin, dass der heftigste Widerstand gegen eine Rettung Detroits mit Steuermitteln genau aus dieser politischen Richtung kommt: aus dem republikanischen Süden der USA.

© SZ vom 13./14.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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