USA:Ausbeutung im Knast

Lesezeit: 3 min

Weggesperrt: einer von 2,2 Millionen Menschen, die in US-Gefängnissen einsitzen. (Foto: AP)

Nirgendwo sind so viele Menschen in Haft wie in den Vereinigten Staten. Ein Großteil der Gefängnisse dort ist privatisiert - ein Geschäft, das boomt, aber auch zunehmend Proteste hervorruft. Zum Beispiel an Universitäten.

Von Kathrin Werner, New York

16 Monate haben sie gekämpft. Sie haben schweigend vor der Tür ihres Universitätspräsidenten demonstriert und einen Sitzstreik organisiert. Stundenlang saßen sie in den kalten, glänzenden Marmorhallen der Columbia University in Manhattan, Schilder in der Hand: "Gefängnisse tun Gewalt", "Haft ist nicht Gerechtigkeit" oder "Menschen sind wichtiger als Profite" stand darauf. Sie haben sich immer wieder zu Versammlungen getroffen, Plakate gemalt, einen Blog und eine Facebook-Seite gegründet. Die Studenten wollten nicht mehr dabei zuschauen, wie ihre Elite-Universität die Studiengebühren in private Gefängnisse investiert.

Jetzt haben sie ihren Willen bekommen. Die Columbia ist die erste amerikanische Universität, die sich offiziell gegen Investitionen in die Gefängnisindustrie entschieden hat. Ein Rat der Treuhänder des 9,2 Milliarden Dollar schweren Universitätsfonds hat dafür gestimmt, das Geld aus dem privaten Gefängnis- und Sicherheitsdienst G4S abzuziehen, an dem der Fonds Aktien hält, und in Zukunft nicht mehr in ähnliche Unternehmen zu investieren. "Dies passiert inmitten der größeren, fortwährenden Diskussion über Massenhaft, über die sich Bürger von allen Seiten des politischen Spektrums Sorgen machen", teilten die Fondsverwalter mit.

In Amerika nimmt die Kritik an der Strafpolitik zu. Das ist nicht nur ein gesellschaftliches Problem

Die Universität war vor knapp zwei Jahren in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, als eine Gruppe Studenten aufdeckte, dass der Columbia 230 432 Aktien am Gefängnisbetreiber Corrections Corporation of America (CCA) im Wert von acht Millionen Dollar gehören. Daraufhin gründeten sie die Protestgruppe Columbia Prison Divest. Die Uni hat die CCA-Aktien inzwischen verkauft. "All diese Arbeit haben Studenten, vor allem farbige Studenten dieser Uni erledigt", sagt Dunni Oduyemi, eine der Anführerinnen der Campus-Zeitung Columbia Daily Spectator. "Es ist eine Geschichte, wie Studenten ein kleines bisschen Macht an sich reißen, was wiederum für eine größere Bewegung steht."

In den USA wächst der Protest gegen die Strafpolitik. Kein Land hat mehr Häftlinge. Mehr als 2,2 Millionen Menschen sind derzeit in Haft, in den vergangenen 40 Jahren ist die Zahl um 500 Prozent gewachsen. Obwohl US-Amerikaner nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, leben 25 Prozent der weltweit inhaftierten Menschen in Gefängnissen in Amerika. Die Vereinigten Staaten haben die zweit- und drittplatzierten Länder in dieser Statistik, Ruanda und Russland, weit abgehängt. Und ein weit überproportionaler Anteil der amerikanischen Häftlinge sind schwarze junge Männer. Das Ganze ist nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein wirtschaftliches: Die Gefängnisplätze kosten Geld. Wenn etwas viel Geld kostet, lässt sich damit auch verdienen. Die private Gefängnisbranche boomt. Die Häftlinge arbeiten für billiges Geld, davon profitieren die zwei großen amerikanischen Betreiberfirmen Geo Group und CCA. Eine ganze Schar anderer Privatfirmen verdient ebenfalls an den Massen in Haft, darunter der Gefängniskost-Verkäufer Aramark Corporation, der Gefängnis-Krankenversicherer Corizon und allerlei Firmen, die Insassen als Billiglöhner anheuern. Außerdem gibt es in den USA wie sonst nur auf den Philippinen eine private Kautionsindustrie, die sogenannte Bail Bonds verkauft. Manche Bundesstaaten und die Bundesregierung in Washington haben einen Teil ihrer Gefängnisse privatisiert - teils aus Kostengründen, oft trotz Protesten von Menschenrechtlern. Mehr als 130 000 Menschen sitzen in privaten Anstalten in den USA. Bei Straftaten, für die die Bundesregierung zuständig ist, sind es fast ein Fünftel. Die Bedingungen seien dort deutlich schlechter als in öffentlichen Einrichtungen, findet zum Beispiel American Civil Liberties Union: "Die Kontrolle von Gefängnissen an Privatunternehmen mit Gewinnabsicht zu übertragen, ist ein Rezept für Missbrauch, Verwahrlosung und Fehlverhalten."

Die Plätze kosten Geld. Wenn etwas viel Geld kostet, lässt sich damit auch verdienen

Vor allem die Proteste an der Columbia haben die Privatgefängnisse in den öffentlichen Fokus gerückt. Der Aktienkurs von CCA ist in drei Monaten um mehr als 18 Prozent gefallen. Seit einigen Jahren ist es mehr zum Thema geworden, was Universitäten mit ihrem Geld anstellen. Auch die sogenannte CO2-Divestment-Bewegung hat in Universitäten begonnen. Sie will den Klimawandel aufhalten, indem sie schmutzigen Projekten das Geld entzieht. Studenten werben dafür, dass die Hochschulen ihre Fondsmilliarden nicht mehr in schmutzigen Unternehmen anlegen. Vor einem Jahr hatte zum Beispiel die Stanford University aus Kalifornien versprochen, ihre 18,7 Milliarden Dollar nicht mehr in Unternehmen für Kohlebergbau zu investieren. Viele Teilnehmer der Divestment-Bewegung hoffen, dass ihre Geldanlage-Entscheidungen dazu beitragen, dass die Politik die Gesetzgebung zum Klimaschutz oder zu Gefängnisstrafen überdenkt - auch wenn selbst die Uni-Milliarden nur einen winzigen Bruchteil etwa der Investitionen in Öl- und Kohleunternehmen ausmachen.

Den Divestment-Verfechtern geht es vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Vor einem halben Jahr hat die Beratungsfirma Arabella Advisors berechnet, dass bereits 654 Privatinvestoren und 180 Institutionen wie Unternehmen, Stiftungen, Pensionsfonds, Kirchen und lokale Regierungen offiziell ihre Investitionen aus fossilen Energieträgern abgezogen haben, das entspreche mehr als 50 Milliarden Dollar.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: