US-Börsen: Unfaire Praktiken:Schwarze Löcher an der Wall Street

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Der Aktienhandel abseits der regulären Börsen wächst und wächst. Nun klopft die US-Börsenaufsicht den Zockern auf die Finger.

Nikolaus Piper

Der Aktienhandel in den USA steht vor einer umfassenden Neuordnung. Die Börsenaufsicht SEC startete eine öffentliche Befragung zu den Praktiken im computergetriebenen Extremhandel. Ziel der Behörde ist es, normale Anleger davor zu schützen, bei ihren Kauf- und Verkaufsaufträge von den Händlern großer Investmentbanken und Spezialfirmen übervorteilt zu werden.

Immer mehr Aktienhandel findet in freien elektronischen Handelsplätzen statt. Investmentbanken und Spezialfirmen setzen deutlich öfter auf diese "Dark Pools", die der US-Börsenaufsicht SEC ein Dorn im Auge sind. Die SEC möchte normale Anleger vor einer Übervorteilung und "unnötigen Risiken" schützen. (Foto: Foto: AFP)

Tempo, Tempo

In den vergangenen vier Jahren hat sich, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, der Aktienhandel grundlegend verändert.

Getrieben von immer leistungsfähigeren Rechnern, hat sich das Tempo auf zuvor unvorstellbare Weise beschleunigt. Zwischen Kauf und Verkauf vergehen oft nur noch Millionstel von Sekunden. Für viele Marktteilnehmer kommt es nur noch darauf an, Aufträge vor den anderen zu platzieren.

Nach einer Studie der Beratungsfirma Tapp Group wurde 2008 in diesem sogenannten Hochfrequenzhandel insgesamt 21 Milliarden Dollar verdient; neuere Zahlen gibt es noch nicht. Goldman Sachs verdankt die guten Zahlen zu einem erheblichen Teil diesem Geschäft.

Nach den Zahlen der SEC dauerte es vor vier Jahren im Durchschnitt noch 10,1 Sekunden, bis ein Durchschnittsauftrag an der New York Stock Exchange (NYSE) ausgeführt wurde, 2009 waren es nur noch 0,7 Sekunden.

Gleichzeitig vervielfachte sich die Zahl der täglich abgewickelten Käufe und Verkäufe von 2,9 auf 22,1 Millionen. Noch überraschender: 2005 wurden noch 79,1 Prozent des Handels mit Aktien, die an der NYSE notiert sind, auch tatsächlich an der NYSE abgewickelt, im vorigen Jahr waren es nur noch 25,1 Prozent.

Der Rest wanderte ab in freie elektronische Handelsplätze; einige davon sind vollkommen intransparent: In diesen so genannten "Dark Pools" (wörtlich: dunkle Teiche) handeln große Investmentbanken und Spezialfirmen untereinander, in der erklärten Absicht, dass dabei die offiziellen Aktienkurs nicht beeinflusst werden.

Vor- oder Nachteil für Aktionäre

Umstritten ist, ob dies normalen Aktionären nützt oder schadet und ob die Stabilität des Finanzsystems gefährdet wird. Die Befürworter von Hochfrequenzhandel und unkontrollierten Handelsplätzen behaupten, auf diese Weise werde Liquidität zur Verfügung gestellt, was dem Markt nütze. Kritiker wenden ein, dass Hochfrequenzhändler ihre Gewinne zulasten anderer Marktteilnehmer erzielten.

Besonders kritisch geht der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman mit den neuen Praktiken ins Gericht: Spekulation sei im Prinzip zwar nützlich, nicht jedoch Spekulation, "die auf Informationen beruht, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden", schrieb Krugman in einer Kolumne für die New York Times: "Aufgabe der Börse ist es, Kapital in die produktivsten Funktionen zu lenken. Es ist kaum einzusehen, wie Händler, die ihre Aufträge um ein Dreißigstel schneller platzieren als alle anderen, zu dieser Funktion beitragen."

In ihrem 74-seitigen Konzept zu der Untersuchung enthält sich die SEC jeder Wertung. Trotzdem ist klar, in welche Richtung ihr Interesse geht: "Die Kommission will sicherstellen, dass die gegenwärtige Marktstruktur den Interessen langfristiger Anleger dient, die das Risiko des Aktienbesitzes über die Zeit akzeptieren und die unerlässlich für die Kapitalbildung sind", heißt es. Mit anderen Worten: Nicht auf den Spekulanten, auf den Anleger soll es ankommen. Die Vorsitzende der Kommission, Mary Schapiro, erklärte zudem, sie wolle "unnötige Risiken" für Investoren vermeiden.

Verbot von "Blitzgeschäften"

Bei einigen, besonders extremen Auswüchsen des computergetriebenen Handels hat die SEC bereits reagiert: So empfahlen die Aufseher, sogenannte "Blitzgeschäfte" ("Flash Trades") zu verbieten.

Dabei erhalten privilegierte Marktteilnehmer, in der Regel große Investmentbanken, das Recht, Kauf- und Verkaufsaufträge 30 Millisekunden vor ihrer Veröffentlichung einzusehen. Für das Recht bezahlen sie eine Gebühr. Ihre Computer können dann ermitteln, wie sich die Aktienpreise aufgrund dieser Aufträge entwickeln werden, und entsprechend reagieren. Weil es dabei auf Bruchteile von Millisekunden ankommt, minimieren die Hochfrequenzhändler die Übertragungszeit dadurch, dass sie ihre PCs in räumlicher Nähe zu den Servern der Börsen oder Handelsplätze aufstellen. Die SEC glaubt, dass die Händler sich so unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Eine andere Praktik, die die SEC unterbinden will, heißt "Nackter Zugang" ("Naked Access"). Dabei vermieten Investmentfirmen ihren Zugangscode zu Handelsplätzen an Hochfrequenzhändler und erlauben diesen anonym Geschäfte zu tätigen.

Die Börsenaufseher fürchten, dass die Händler im Schutz der Anonymität Märkte stabilisieren könnten. Mary Schapiro dazu: "Wenn eine Firma ihre Schlüssel verleiht, muss sie nicht nur im Auto bleiben, sondern auch sicherstellen, dass der Fahrer die Regeln befolgt, ehe das Auto losfahren darf."

Zwischen der Untersuchung der Börsenaufsichtsbehörde SEC und der Finanzkrise gibt es einen klaren Zusammenhang: Fast alle Praktiken im Hochfrequenzhandel machen die Börsengeschäfte weniger durchsichtig. Intransparenz und verdeckte Risiken haben aber 2008 wesentlich zum Zusammenbruch der Finanzmärkte beigetragen.

© SZ vom 20.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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