Universelles Immobilien-Design:Schwellenloses Land

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Viele Ruheständler wollen lange zu Hause wohnen. Komfortables Bauen wird aber auch für Junge immer attraktiver.

Von Friederike Nagel

Jung oder alt - das sind nicht die Kategorien, in denen Dieter Soth denkt. "Bauen ohne Schwellen, enge Ecken und verwinkelte Räume, so bequem will doch im Grunde jeder in seiner Wohnung oder seinem Haus wohnen", sagt Soth, Gründer und Vorstand der Initiative Leben ohne Barriere (LoB).

Barrierefrei, aber luxuriös: ein ebenso geräumiges wie luxuriös ausgestattetes Badezimmer (Foto: Foto: ddp)

Auch ihm ist klar, dass noch nicht alle Bauherren die Vorteile des barrierefreien Wohnens sofort in seiner ganzen Tiefe erfassen. "Zunächst denken alle nur an das Badezimmer", sagt Soth. Dabei ginge es um weit mehr als nur ein paar Haltegriffe. Viele Architekten müssten die Menschen durch eine intensive Beratung für die Vielschichtigkeit des Themas erst sensibilisieren.

Denn der Begriff barrierefrei bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Leider gehe von ihm auch immer noch eine stigmatisierende Wirkung aus, weiß Berater Soth. "Wir arbeiten dafür, dass sich das ändert."

Sehe man hinter den Begriff, so zeige sich, dass er nichts anderes bedeute als komfortables Wohnen: Die bodengleiche Dusche sieht toll aus, vor allem junge Leute begeistern sich in modernen Bädern dafür. Außerdem sei Barrierefreiheit nicht etwas, das allein der Rollstuhlfahrer braucht, sondern auch die ältere Dame, die Mutter mit dem Kinderwagen oder der Skifahrer mit Gipsbein.

Individualität und DIN-Normen

Aus Soths Sicht macht ein barrierefreies Bauelement, das gut aussieht, leicht Furore. Außerdem beobachtet er zunehmend, dass vielen Bauherren Ideen von vorbeugenden, einfachen Baubesonderheiten wichtiger werden.

Umrüsten oder sich wohnlich komplett verändern, das nehmen die meisten Menschen dann erst wieder um die 60 vor. "Da sind die Leute bereit, Geld für sogenannten erschwinglichen Komfort auszugeben", sagt Soth. An 34 Standorten in Deutschland hat er spezielle Handwerks- und Dienstleistungsnetzwerke aufgebaut.

So soll eine Kooperation zwischen den Betrieben beim Thema Barrierefreiheit gewährleistet werden. Auch eine spezielle Fachkompetenz soll der Kunde so erfahren. Zusammen mit der Dekra-Akademie wurde ein eigenes Schulungsprogramm entwickelt, das Unternehmen zu speziellen Fachbetrieben weiterqualifiziert. Da geht es dann nicht selten um Innovationen bei der Beleuchtung, den Fenstern oder in der Küche.

Normalerweise schätzen Experten, dass sich bei einer barrierefreien Wohnung etwa 60 Prozent als standardisiertes Grundprogramm umsetzen lassen. Der Rest wird individuell angepasst. "Da gibt es bestimmte DIN-Normen", sagt Soth. Beratung und erste Hilfe bekommen Interessierte bei den öffentlichen Trägern. Auch spezielle Wohnberatungen können weiterführende Tipps geben.

Viele Experten sind davon überzeugt, dass der Markt für barrierefreies Bauen ein großes Wachstumsfeld ist. Schon die Werterhaltung einer Immobilie sei besser, der eigene Wohnkomfort deutlich erhöht und die Möglichkeit, lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen, steige damit.

Dass so viel Nutzen natürlich seinen Preis hat, liegt auf der Hand. Die Beraterin und Architektin Insa Lüdtke sagt: "Grob gerechnet kommen drei Prozent obendrauf, auch wenn das Mehr an Komfort nur sehr schlecht in Zahlen zu fassen ist - es geht ja nicht nur um Barrierelosigkeit."

Lüdtke bevorzugt inzwischen den internationalen Begriff, das sogenannte Universal Design, wenn es um die Planung von funktionalen Wohnkonzepten geht. "Dieser universelle Ansatz will nicht mehr, dass für besondere Gruppen oder Defizite geplant wird, sondern hier wird überlegt, was für alle sinnvoll ist."

Auch wenn es um das praktische Design von Milchtüten oder ganze Städtebaukonzepte geht, wird der Ansatz des Universal Design immer öfter angewandt, berichtet Lüdtke. Mit ihrer Beratungsfirma Cocon Concept begleitet die Architektin das Thema Wohnen im Wandel. "Durch den demographischen Wandel wird bei dem Thema automatisch die Nachfrage steigen", sagt Soth. Verbände der Bauwirtschaft rechnen es schon seit längerem vor: Von etwa 40 Millionen Wohnungen im Bundesgebiet sind lediglich gut 350.000 seniorengerecht. Daraus folgt für die Branche, dass mittelfristig zwölf bis 13 Millionen altersgerechte Immobilien benötigt werden. Die Verbände gehen von einem jährlichen Investitionsvolumen von bis zu zehn Milliarden Euro aus.

"Für viele gehört eine Stufe anscheinend zur richtigen Hausoptik dazu"

Bisher, so Alexander Rychter vom BFW Bundesverband Freier Immobilien und Wohnungsunternehmen, sind in Deutschland nur 0,8 Prozent der Wohnungen altersgerecht. Was vor zehn Jahren noch als sogenannter Sonderkomfort galt, wird immer mehr zum Muss: Im Jahr 2050 wird jeder vierte Deutsche mehr als 65 sein, die Zahl der Über-80-Jährigen wird bis dahin um 300 Prozent anwachsen. Immer mehr Menschen werden dann auf schwellenfreie Wohnungen angewiesen sein.

Diesem Zukunftsmarkt hat sich der Architekt Christian Horn aus Aachen verschrieben. Seit etwa zehn Jahren befasst er sich mit dem Thema, seit fünf Jahren arbeitet das Büro Horn mit der LoB-Initiative zusammen. Bei seinen Kunden beobachtet er, dass "das Thema häusliche Pflege immer stärker in den Vordergrund rückt". Denn wer zu Hause wohnen bleiben möchte, muss das Pflegepersonal dort auch mit unterbringen können.

"Zum großen Rundumschlag holt allerdings bisher nur ein kleiner Teil der Bauherren aus", sagt Horn. Soth bestätigt das. Viele rüsten allerdings stückweise um, manche feste Vorstellungen müssen umschifft werden. An einen schwellenlosen Zugang zum Haus oder zur Wohnung wagt sich nur, wer es unbedingt muss. Architekt Horn hat beobachtet, dass viele seiner Kunden "fast an einer Stufe vor der Haustüre zu hängen scheinen". Oft sei es erstaunlich schwer, den barrierefrei Bauwilligen diese 20 Zentimeter auszureden. "Für viele gehört eine Stufe anscheinend zur richtigen Hausoptik dazu", sagt Horn.

So erging es auch Isolde Kretz aus Eschweiler. Als bei ihr eine komplizierte Knie-OP anstand, setze sie einen Plan um, den sie schon lange hegte. Sie ließ ihr Grundstück teilen, verkaufte ihr Haus und beauftragte Horn, in dem ehemaligen Garten ein neues, barrierefreies Haus für sie zu bauen. Ohne Stufe vor der Haustür und mit einem kleinen separaten Wohnbereich im ersten Stock, damit für mögliches Pflegepersonal in der Zukunft auch eine Unterkunft vorhanden ist.

Weil aber barrierefreies Wohnen vor allem Komfort bedeutet und die Materialien keineswegs mehr nach Krankenhaus aussehen, kommen solche Umbauten auch für Jüngere immer öfter in Frage. "Doch allein mit diesem Segment könnte ich mein Büro noch nicht am Laufen halten", sagt Architekt Horn. Aber er freut sich schon heute über seinen Wissensvorsprung. "Es ist ein Thema, das viel Erfahrung braucht", sagt Horn.

Viele Vorteile für bodentiefe Fenster

Für die Zukunft sieht er sich gut vorbereitet. Tatsächlich steige die Zahl der Anfragen an, bestätigt der Architekt - nicht nur von Senioren. Statistisch gesehen haben nur fünf Prozent der Behinderten ihr Handicap von Geburt an. Alle anderen haben erst im Lauf ihres Lebens ihre Einschränkung erlitten. Immer mehr Menschen brauchen schwellenfreie Wohnungen, weil immer mehr Menschen immer länger leben.

Beispiele, warum universelles Design aber für alle Menschen schon frühzeitig sinnvoll ist, kann Horn viele aufzählen: Bodentiefe Fenster beispielsweise - die sähen schick aus, und das 20 Liter Kölschfässchen kann problemlos mit der Sackkarre für die Grillparty nach draußen transportiert werden. Oder auch Sportverletzungen. Wer da weniger Stufen im Haus habe, der freue sich während der sechs Wochen Zwangspause zu Hause.

Oder: "Der Fernsehanschluss im Schlafzimmer gilt immer noch als verpönt." Dabei ist er im Fall der Genesung zu Hause ein guter Langweilekiller. All solche Kleinigkeiten haben nichts mit einer Behinderung zu tun - vielmehr mit einem universell guten Baukonzept.

© SZ vom 08. 01. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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