Unbekanntes China (4):Smart in Shanghai

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Jung und dynamisch, aber nicht immer erfolgreich: Wie ein deutscher Jungunternehmer in Shanghai ein Unternehmen gründet und dabei ganz unterschiedliche Lektionen über den chinesischen Markt lernt.

Jakob Tanner

Alexander Weng mag erst 29 Jahre alt sein, doch er hat schon erlebt, was andere Unternehmer in Jahrzehnten nicht erleben. Er gründete eine Firma im Ausland, die schnell erfolgreich wurde, er sah, wie in einem RTL2-Bericht Unwahrheiten über ihn verbreitet wurden, er scheiterte mit Expansionsplänen (vorerst), er ging fast pleite und er kriegte die Kurve.

Das Finanzzentrum von Shanghai - die Stadt schläft nie. (Foto: Foto: AP)

Vielleicht liegt es an der Stadt, die so dynamisch ist wie kaum eine andere in der Welt. Weng lebt in Shanghai, seit fünf Jahren schon. Er hat miterlebt, wie der Hype über China kam, wie die Stadt und die Zahl der Ausländer wuchs. Die Liebe zu China hat er von seiner Mutter, sagt Weng. Sie bereiste China schon in den 1980er-Jahren. Ihr Sohn musste nur einmal mitkommen, um vom China-Virus gepackt zu werden.

Er begann ein BWL-Studium mit China-Spezialisierung in Mannheim, verbrachte Auslandssemester in China - und während eines Praktikums in Shanghai gründete er mit zwei Freunden smartshanghai.com. Was als Seite für Partybilder begann, ist heute eine umfangreiche Lifestyle-Seite mit Restaurantkritiken, Eventkalender, Online-Dating und Ticketservice. Das Angebot ist so vielfältig, dass früher oder später jeder "Expat" auf smartshanghai.com landet. Zumindest ist das der Anspruch von Weng, der die Firma als alleiniger Chef leitet.

In den Himmel gelobt

Die zwei Freunde gingen nach kurzer Zeit zurück nach Deutschland, Weng brach sein Studium ab und blieb in Shanghai. Als China immer mehr ins mediale Rampenlicht rückte, wurde das deutsche Fernsehen auf Weng aufmerksam - auch zum Leidwesen des Portraitierten. "Nach dem RTL2-Bericht war es richtig peinlich, nach Deutschland zu reisen. Die hatten mich als wahnsinnig erfolgreichen Deutschen Shanghais mit was weiß ich wie vielen Mitarbeitern in den Himmel gelobt."

Dabei folgte Weng niemals einem bestimmten Businessplan. Sie machten, was sie wollten, erzählt Weng, der sich die technische Seite selbst angeeignet hat - und sahen an den Klickzahlen, dass sie anscheinend gute Ideen hatten. Die Seite wuchs und zog auch deshalb gute Mitarbeiter an, weil der Chef eine ganz einfache Devise ausgab: Schreibt, was ihr wollt. "Im Gegensatz zu vielen unserer Konkurrenten bietet unsere Seite auch kritische Texte", sagt Weng.

Lesen Sie weiter, warum das Thema Zensur irgendwie doch kein Thema ist.

Das Thema Zensur ist für Weng dann auch recht einfach zu umfassen. "Dieses ganze Gerede von Internet-Zensur in China ist meiner Meinung nach übertrieben", sagt der Jungunternehmer. Er kann sich nur an zwei Begebenheiten erinnern, wie die Behörden sich in seine Arbeit einmischten. "Einmal wurde unser Userforum gesperrt, weil wir keine Lizenz dafür hatten - und nach dem Erdbeben im Mai wurden wir aufgefordert, unsere Seiten schwarz einzufärben und 5000 Yuan zu spenden." Und wenn er nicht gespendet hätte? "Über Konsequenzen wurde uns nichts gesagt. Aber in China spendest du dann einfach."

Alexander Weng lässt sich auch von einem großen Schuldenberg nicht einschüchtern und sucht seinen Weg in China. (Foto: Foto: oH)

Abgesehen davon keine regelmäßige Zensur? Im Gegenteil, sagt Weng. Einmal habe ein Redakteur eine Pekinger Band vorgestellt, die aufgrund einer Textzeile ihre Platte nicht verkaufen durfte. "Wir haben genau diese Textzeile bei uns veröffentlicht und geschrieben: Das ist sie, die verbotene Zeile, wegen dieser Zeile durfte die Band ihre Platte nicht verkaufen." Keine Konsequenzen. "Mich wunderte es damals fast ein bisschen", sagt Weng amüsiert.

Erboste Leser-Mails

Die härteste Zensur erfahre seine Webseite jedenfalls nicht von den Behörden, sondern von Werbekunden und - überraschenderweise - von den ausländischen Lesern. "Wir bekommen regelmäßig E-Mails von erbosten Usern, was uns denn einfiele, wir seien hier schließlich in China."

Doch wirklich problemlos ist es dann doch nicht, ein erfolgreiches Unternehmen in China zu etablieren, wie Weng erst kürzlich erfahren musste. "Man hört hier viele solcher Geschichten", sagt er. Über Investoren, die viel Geld verspielen. Über die Unsicherheiten des Marktes, die es besonders dem Mittelstand schwermachen. Über Verträge, die nicht eingehalten werden. Und über die fehlende oder unzureichende Rechtssicherheit, um schlechte Vertragspartner zur Ordnung zu rufen. Doch dass es seine eigene Firma wegen unzuverlässiger Investoren fast bankrott gegangen wäre, hat Weng nicht erwartet.

Der Hesse hatte Expansionspläne, sein Konzept sollte auch in Peking und Guangzhou etabliert werden. Außerdem waren weitere Features für die Seite geplant. Alles kostspielige Unterfangen, für die Weng viele neue Mitarbeiter einstellen musste. Ein Investor war schnell gefunden, die Verträge wurden unterzeichnet und Wengs Team machte sich an die Arbeit. Doch das versprochene Geld, das Weng schon ausgegeben hatte, kam nie an.

Mitarbeiter entlassen, Pläne auf Eis gelegt

"Der Investor ging wegen eines anderen geplatzten Geschäfts pleite und sagte uns nichts davon", sagt er. Der Deutsche musste viele Mitarbeiter entlassen und alle Pläne vorerst auf Eis legen. In Krisensitzungen sei auch mehrmals der Gedanke aufgekommen, das Ganze einfach seinzulassen. "Doch nach so langer Zeit will man dann doch nicht aufgeben", sagt Weng. Die Lektion über den unberechenbaren chinesischen Markt hat er gelernt, nun will er weitermachen.

Knapp am Bankrott vorbei geschlittert und mit einem großen Schuldenberg zurückgelassen, plant der Jungunternehmer die nächsten Schritte. Eine Fusion mit dem Shanghaier Talk Magazine ist angedacht, eine Kooperation mit schönem Nebeneffekt. Hinter dem Magazin steht ein chinesischer Verlag, was dem Deutschen etwas einbringen könnte, was er noch nicht hat und was ihm in Zukunft im härter werdenden Wettbewerb die Arbeit erleichtern kann: guanxi, Beziehungen. "In der ersten Stunde der BWL-Vorlesung haben wir gelernt, dass ohne guanxi kaum etwas läuft in China", sagt der Studienabbrecher. "Und wir haben als ausländische Firma bisher überhaupt keine Beziehungen."

Aber Weng ist ja noch jung und steht am Anfang seiner beruflichen Karriere.

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