Umweltschutz:Klima des Kleinmuts

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Die Bundesregierung schreddert auf dem Weg zum klimafreundlichen Europa kräftig mit. Die Schnittmenge der Vorbehalte ist der kleinste gemeinsame Nenner.

Michael Bauchmüller

Wie geht es dem deutschen Autofahrer doch gut! Die Spritpreise fallen und fallen, inzwischen liegen sie schon gut 40 Cent unter den Höchstpreisen vom Sommer. Kauft sich der deutsche Autofahrer einen neuen Wagen, bekommt er ein Jahr lang die Kfz-Steuer geschenkt. Und wenn er noch ein bisschen wartet, erhält er vielleicht sogar zinsgünstige Darlehen für den Kauf und eine Abwrackprämie, damit er sein altes Auto auch wirklich und für immer aus dem Verkehr zieht. Solche Überlegungen gibt es schon.

Die Industrie soll verbrauchsarme Autos ausliefern - aber erst 2015. (Foto: Foto: AP)

Braucht die Autoindustrie Hilfe, ist die Politik, namentlich die deutsche, selten fern. Das hat Tradition, da unterscheidet sich die Regierung Merkel nicht von der Regierung Schröder. Hunderttausende Arbeitsplätze hängen daran, viele deutsche Ministerpräsidenten haben die Autofabrik gleichsam vor der Haustür. Ob die Hersteller wichtige Innovationen verschlafen oder verzögern - etwa bei verbrauchsarmen Motoren - spielt im Zweifel keine Rolle: Diese Industrie darf nicht leiden, zu wichtig sind ihre Exporte.

In dieser Tradition steht auch die Haltung Deutschlands zu den Klimavorgaben für Europas Autohersteller. Am Montag haben EU-Parlamentarier und Mitgliedstaaten diese gemeinsam gestutzt. Zwar soll die Industrie verbrauchsarme Autos ausliefern, aber nicht 2012, sondern erst 2015. Sie soll zwar das Fünf-Liter-Auto anstreben, darf allerdings alle möglichen "Öko-Innovationen" anrechnen. Bis 2020 soll sie Autos mit weniger als vier Liter Verbrauch je 100 Kilometer bauen - aber nur, wenn sich die Staaten das nicht noch anders überlegen: 2013 wird das Ganze noch einmal überprüft.

Der Vorgang ist symptomatisch für Europas Klimapolitik im Allgemeinen und die deutsche Haltung dazu im Speziellen. In internationalen Verhandlungen, etwa bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen diese und nächste Woche in Posen, führen die Europäer große Worte im Munde, reden von der Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen bis 2050. In Deutschland will die Kanzlerin angeblich nicht am Klimaschutz rütteln lassen, und für ihren Umweltminister geht es nicht unter einer "dritten industriellen Revolution". Sie haben sogar recht, in allen Punkten. Nur: Sie handeln nicht danach. In der Theorie sind sie stark, in der Praxis zaudern sie.

Mag sein, dass im Klimaschutz bisher keiner weiter ist als die EU. Ein Ziel für die Automobilindustrie bleibt ein Ziel, auch wenn es erst drei Jahre später gilt. Nur ist es schon so verwässert, dass es der Weltgemeinschaft kaum noch als Vorbild taugt, im Gegenteil: Solcher Kleinmut entlarvt das Getöse der Europäer. Nicht anders sieht es bei der größten Errungenschaft Europas im Klimaschutz aus, dem Handel mit Emissionsrechten. Lange ein Gebilde der ökonomischen Theorie, führten die Europäer ihn als bisher Einzige ein.

Seit 2005 müssen Firmen Emissionsrechte besitzen, wollen sie die Atmosphäre mit zusätzlichem Kohlendioxid belasten. Doch die EU-Staaten haben dem Emissionshandel alle Zähne gezogen. Das Instrument blieb bisher nahezu wirkungslos. Jetzt, unter dem Druck eines beschleunigten Klimawandels, könnten die Staaten den Emissionshandel verschärfen; nächste Woche beraten sie darüber in Brüssel. Und was passiert? Regeln werden aufgeweicht, Lasten in Entwicklungsländer verschoben, ganze Branchen ausgespart. Auch die deutsche Bundesregierung schreddert mit, auf dem Weg zum klimafreundlichen Europa hat jeder Staat seine Vorbehalte. Die Schnittmenge der Vorbehalte ist der kleinste gemeinsame Nenner. Klimafreundlich wird Europa so nicht.

Weite Teile der Wirtschaft wollen es so. Zwar dürfe der Klimaschutz auf keinen Fall Opfer der Finanzkrise werden, fordern Vertreter bis hinauf zum Oberindustriellen Jürgen Thumann. Wie recht er hat! Doch das ist längst geschehen, denn schon im nächsten Satz fordert auch Thumann Schonung: Neue Lasten dürften durch Klimavorgaben nicht entstehen, zumindest nicht für die Wirtschaft, schon gar nicht in diesen Zeiten.

Dahinter steckt ein Grundmissverständnis, das auch dem faulen Autokompromiss zugrunde liegt. Demnach ist gegen Klimaschutz zwar im Prinzip nichts einzuwenden - aber nur so lange, wie Märkte und Technologien das hergeben. In dieser Logik dürften Vorgaben erst dann verschärft werden, wenn die Unternehmen in der Lage sind, sie einzuhalten. Genauso gut könnte sich ein Tempolimit an der Geschwindigkeit des schnellsten Autos orientieren. So aber funktionieren Umweltauflagen nicht, so bewirken sie schlimmstenfalls sogar das Gegenteil: Sie verlangsamen die Veränderung.

Die Europäer müssen aufpassen, dass sie nicht von Treibern zu Getriebenen des Klimaschutzes werden. Dem Ziel, die Emissionen der Industrieländer bis 2020 um mindestens ein Viertel zu senken, werden sie noch lange nicht gerecht. Womöglich werden die deutschen Autohersteller bald mehr damit zu tun haben, Vorgaben aus den USA Barack Obamas zu erfüllen als jene mutloser Regierungen in Europa. Eines sollte die Industrie ohnehin nicht vergessen: Sinkende Öl- und Spritpreise sind ein Phänomen der Wirtschaftskrise, sie werden wieder steigen. Wer nicht rechtzeitig in sparsame Technologien investiert, der wird vom Markt verschwinden. So einfach ist das.

© SZ vom 03.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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